Eklat in der HRK: Wie die Debatte über ein Papier zur Frauenförderung eskalierte
Bei ihrer Vollversammlung in Jena diskutierten die Rektorinnen und Rektoren spontan über eine Beschlussvorlage zur Chancengleichheit. Es folgten schräge Argumente, die Stimmung kippte.
ES MUSS HOCH HERGEGANGEN sein in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) am Dienstagnachmittag. "Ich habe noch nie eine so intensive Diskussion erlebt über etwas, das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte", sagte danach eine Teilnehmerin, und das meinte sie nicht positiv. Eine andere Rektorin fühlte sich angesichts einiger der geäußerten Argumente ins 18. Jahrhundert zurückversetzt, und wieder eine andere zog für sich die Schlussfolgerung, dass die HRK soeben eindrucksvoll demonstriert habe, warum es den geforderten Kulturwandel so dringend bräuchte.
Was war passiert? Am Montagnachmittag, am Tag vor der offiziellen HRK-Vollversammlung in Jena, traf sich der informelle Arbeitskreis der Präsidentinnen und Rektorinnen, man diskutierte über Zahlen. Vor allem über die von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK), denen zufolge zwar der Anteil von Frauen bei Promotionen bei 45 Prozent liegt – bei den Habilitationen jedoch auf 35 Prozent und bei den Professuren auf 26 Prozent absinkt.
Spontan entstand in der Runde der Plan, der Vollversammlung ein Papier zur Abstimmung vorzulegen, Arbeitstitel: "Stellungnahme der HRK zur Situation von Frauen auf Karrierewegen an deutschen Hochschulen". Die Kernaussagen: Die HRK nehme "mit großer Sorge zur Kenntnis, dass sich der Anteil von Frauen auf allen Karrierestufen viel zu langsam erhöht". Maßnahmen wie das Kaskadenmodell, Mentoring- und Coaching-Angebote oder auch das individuelle Engagement einzelner erbrächten nicht die gewünschten Erfolge. "Die langsame Entwicklung" zeige, dass es eines "Kulturwandels" bedürfe, auch und gerade in den Berufungsverfahren. Und schließlich: "Mittel- und langfristig ist jede zweite Professur fächerübergreifend mit einer Frau zu besetzen, wenn eine angemessene Repräsentation der Geschlechter erreicht werden soll. Das ist nur zu erreichen durch eine entschlossene, von allen getragene Politik."
Je länger die Debatte dauerte, desto aufgeheizter wurde sie
Wie gesagt: Bei aller Ungeduld in den Formulierungen inhaltlich wenig überraschend und, eigentlich, sollte man denken, konsens- und beschlussfähig unter den Hochschulspitzen der Republik. HRK-Präsident Peter-André Alt stimmte zu, dass der "Onepager" in der Vollversammlung am Dienstag zur Diskussion und Abstimmung gestellt wurde, als sogenannte "Tischvorlage". Doch dann ging es los.
Eine Stunde lang reihte sich Wortmeldung an Wortmeldung, nicht nur männliche Rektoren meldeten jede Menge Bedenken an. Es ging um Wörter und Formulierungs-Details im Textvorschlag, und je länger die Debatte dauerte, desto aufgeheizter wurde sie. Von einem "Geeiere" berichteten anschließend Teilnehmende. Einzelne Äußerungen in der Debatte sorgten bei einigen für zusätzlichen Unmut. Zum Beispiel, dass gar nicht genug Frauen da seien. Und dass den Rektoraten und Präsidien die Hände gebunden seien, weil die Fakultäten nicht wollten. Gänzlich zu kippen drohte die Stimmung, als ein Rektor die GWK-Zahlen anzweifelte und die langsame Zunahme des Frauenanteils mit dem Lauf des Amazonas verglich, der allmählich auch immer mehr "Dreck" aufnehme, doch das brauche eben seine Zeit. Zugute halten muss man dem Mann laut Anwesenden, dass er den Vergleich arglos formuliert habe – und nicht mit der Absicht zu verletzen.
Irgendwann reichte es einer Hochschulchefin. Sie stellte den Antrag, jetzt doch bitte über das Papier so abzustimmen, wie es reingegangen war ins Plenum. Das geschah – und die Vollversammlung lehnte es ab. Mit einer Stimmenverteilung übrigens, bei der sich Frauen und Männer jeweils auf beiden Seiten befanden.
Die HRK muss dringend klären, wie tiefgehend die Gegensätze wirklich sind
Der darauf bei allen einsetzende Schreck und die Verwirrung (Hat die HRK damit das Papier als Ganzes und endgültig abgelehnt?) führten dazu, dass man sich auf einen Kompromiss verständigte. HRK-Präsident Alt und die für Diversität zuständige Vizepräsidentin Dorit Schumann sollen jetzt auf der Grundlage des Papiers und der Debatte eine ergänzte Fassung formulieren, in der sich die HRK zur Chancengleichheit bekennt. Und das Papier soll dann zusammen mit einer Pressemitteilung verschickt werden.
Auf den Text darf man gespannt sein. Und auf das nächste Kapitel der Debatte. Denn die Hochschulrektorenkonferenz muss dringend klären, wie tiefgehend die Gegensätze wirklich sind, die da aufgebrochen sind. Ist die Sitzung nur unglücklich gelaufen, wie einige inzwischen versichern? Oder hat die HRK, um bei Sprachbildern aus der Natur zu bleiben, am Dienstag nur die Spitze des Eisberges gesehen?
Dieser Beitrag erschien heute zuerst in meinem wöchentlichen Newsletter.
Kommentare
#1 - Um im Bild zu bleiben: Es scheint doch eher so zu sein, als…
#2 - Dieser Blogeintrag geht zu locker mit dem Begriff…
#3 - @Rufus:Ganz abgesehen davon, dass es komplett daneben ist,…
Ganz abgesehen davon, dass es komplett daneben ist, hier das widerwärtige Bild eines Flußes, der "Dreck" aufnimmt, auch noch zu perpetuieren...aber vielleicht gefällt es Ihnen ja? Und das ist Ihre Sicht auf Frauen in der Wissenschaft?
Die männlichen Partikel haben die bessere Mentalität? Das sind genau die Einstellungen, die Vorstöße wie die der Rektorinnen innerhalb der HRK so notwendig machen. Es ist erschreckend und abstoßend, dass Meinungen wie die des vor mit Kommentierenden den Hochschulbereich immer noch prägen.
#4 - Wie so häufig stellt sich doch die Frage, ob denn…
#5 - Könnte es nicht sein, dass Frauen im Mittel doch nicht das…
Was ja auch für weibliche Interessen und gegen männliche sprechen könnte ...
Und wäre das wirklich ein Abstrich an der Gleichberechtigung?
Gleichheit der Chancen besteht vielerorts schon, ist ggf. durchzusetzen.
Gleichheit der Interessen aber lässt sich nicht erzwingen.
#6 - Wenn in der HRK-Versammlung über „Zahlen“ der…
"Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung. 26. Fortschreibung des Datenmaterials (2020/2021) zu Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen."
In dieser Schrift wird unter Abschnitt 2.2.5, S.18f. zu den Geschlechterproportionen im Berufungsgeschehen eine detaillierte Statistik zu dessen einzelnen Stadien an den verschiedenen Hochschularten geboten. Daraus ergibt sich für das Jahr 2020, dass an den Universitäten die Frauen bei den Bewerbungen mit 29,5% vertreten waren, aber bei den Berufungen mit 38,9% - sie sind dort also mit 9,4% überrepräsentiert im Verhältnis ihren Bewerbungen. Bei den Fachhochschulen beträgt diese Überrepräsentanz 12,8%.
Das Übergewicht der Männer bei den Bewerbungen ist eindeutig, die Wahrscheinlichkeit einer Bewerberin für eine Berufung ist ebenso eindeutig höher als die eines Bewerbers.
Das ist u.a. ein Ergebnis des Professorinnenprogramms. Da man den Hochschulen für die Berufung von Frauen aus naheliegenden Gründen keine Quoten vorschreiben kann, gibt es an Stelle der Quote Geldprämien.
Das Ziel der Gleichstellung wird also mit einer individuellen Ungleichbehandlung der Bewerber erreicht. Insofern ist der Titel „Chancengleichheit“ der zitierten Schrift in Anführungszeichen zu setzen.
#7 - Die männlichen Partikel haben mit keinen besonderen…
Rufus, welch Traum ein männliches Partikel sein zu dürfen!
#8 - Die akademische Wahrnehmungsverweigerung einer…
Diese Diskussion in der HRK und folgend zeigt(e), wie notwendig es ist, etwas zu ändern. Die Bildsprache (Dreck, Amazonas und Atlantik) sowie die Fokussierung auf Zahlenspiele (sind es wirklich 26%?) zeigen die Hilflosigkeit mit der manch einer (!) mit dem Thema umgeht. Geschäftsordnungsanträge, Polterei und Grummelei sowie Zwischenrufe erinnerten eher an das Haus of Commons; man hätte fast damit gerechnet, jemand ruft laut: „order“.
Und doch fühlt es sich eher an nach *quod erat demnstrandum*, denn nichts anderes zeigte diese aus dem Ruder gelaufene Diskussion in der HRK mit folgendem Eklat, weil abgelehntem Antrag im ersten Durchlauf.
Es gibt viel zu tun, packen wir es an.
#9 - Den etwas unseriösen Umgang der HRK mit Zahlen kann man…
Der sich aus dem Kaskadenmodell ergebende Frauenanteil bei den Neubesetzungen ist im übrigen erreicht (35 Prozent Frauenanteil bei den Habilitationen, 38,9 Prozent bei den Neubesetzungen von Professuren, s.o.).
#10 - "Zugute halten muss man dem Mann laut Anwesenden, dass er…
Muss man das? Erschreckend, dass die Anwesenden dieser Meinung sind. Menschen mit Dreck zu vergleichen ist meine Ansicht nach niemals arglos, und in diesem speziellen Kontext schon mal gar nicht.
#11 - Die Besetzung von Professuren sollte einmal in weit…
#12 - @Naja Sie beabsichtigten vermutlich zu sagen:…
Warum ist dieser Unterschied so wichtig? Gleichberechtigung, oder Chancengleichheit, sollte in einer offenen und meritokratischen Gesellschaft selbstverständlich sein. Gleichstellung, oder Ergebnisgleichheit, begünstigt illiberale und anti-meritokratische Maßnahmen in der Manier von Black Lives Matter oder Critical Race Theory.
#13 - Nicht wenige der hier hinterlassenen Kommentare…
#14 - Der Beitrag verwechselt mal wieder etwas fundamental. Ich…
Fair = demokratisch = Chancengleichheit = Gleichberechtigung = equal of opportunity ≠ equality of outcome = Gleichstellung = Ergebnisgleichheit = Neomarxismus = unfair
#15 - Lieber Herr Wiarda,ich teile Frau Riedels Einschätzung zur…
ich teile Frau Riedels Einschätzung zur Widerwärtigkeit des Sprachbildes und möchte daher anregen, die Relativierung der Verwendung einer solchen Metapher zu überdenken. Ich zumindest möchte dem Mann nichts "zugute halten müssen", das ließe sich vielleicht zurückhaltender formulieren.
Beste Grüße
#16 - @Christoph Müller: Dass Frauen bei Bewerbungen…
#17 - @Susan B. Anthony: ja, danke fuer die Richtigstellung,…
@Working Mum: mir scheint es eher so zu sein, dass Beiträge wie der Ihre in entwaffnender Offenheit demonstrieren, wo das Problem liegt. Es geht manchen gar nicht um Argumente und Fakten, sondern um moralisches framing.
#18 - Der angebliche "Eklat" wird mE im Blog (incl. Kommmentaren)…
#19 - Gemach… beschreibt es am Besten
#20 - @Gemach... hat Recht."Gemach... beschreibt es am Besten".…
"Gemach... beschreibt es am Besten". Ein wahrhaft überzeugendes Argument ))))))
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