Smartphone-Eskapismus
Die Debatte über Handyverbote an Schulen wird hitzig geführt – dabei lenkt sie vom eigentlichen Problem ab: fehlender Medienbildung, unklaren Regeln und einer stockenden Schulentwicklung. Ein Gastbeitrag von Ralph Müller-Eiselt.
Ralph Müller-Eiselt ist seit Oktober 2023 geschäftsführender Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung. Foto: Forum Bildung Digitalisierung / Phil Dera.
SMARTPHONES IN DER SCHULE – ja oder nein? Kaum ein bildungspolitisches Thema wird so intensiv diskutiert wie der Umgang mit Handys. Die Hoffnung hinter ihrer möglichen Verbannung aus der Schule ist nachvollziehbar: weniger Ablenkung im Unterricht, mehr soziales Miteinander und besserer Schutz für Kinder und Jugendliche. Aktuelle Studien mahnen ebenfalls zum Handeln.
Auslöser der aktuellen Debatte sind die Ergebnisse neuer Studien über zunehmende psychische Belastungen und ein riskantes Social-Media-Nutzungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen. Die identifizierten Gefahren sind vielfältig und real: Cybermobbing, Suchtverhalten, digitale Desinformation, mangelhafter Datenschutz, Zugang zu nicht altersgerechten Inhalten.
Der Ruf nach einer stärkeren Regulierung sozialer Plattformen wird dementsprechend lauter, zuletzt sprach sich Bildungsministerin Karin Prien für eine gesetzliche Altersbeschränkung aus. Zuvor hatte sie bereits ein Verbot privater Handynutzung an Grundschulen gefordert. Vorbild für solche Maßnahmen ist Australien, wo die Regierung im November 2024 ankündigte, Jugendlichen unter 16 Jahren die Nutzung von Social Media untersagen zu wollen, und zuvor schon Smartphones aus Schulen verbannt hatte. Priens Unionskollege Markus Söder hält Social-Media-Beschränkungen für "realitätsfremd" und "altbacken", kurzum "totalen Quatsch", baut aber gleichzeitig in anderen Äußerungen einen Gegensatz zwischen "digitalem Lernen" und "klassischer Bildung" auf, die er wieder stärker fördern möchte.
Je länger die Diskussion läuft, desto stärker werden verschiedene Themen miteinander vermischt, Smartphone- und Social-Media-Nutzung gleichgesetzt oder gar die digitale Transformation von Schule insgesamt infrage gestellt. Längst geht es nicht mehr nur darum, ob ein schulisches Smartphone-Verbot für weniger Ablenkung im Unterricht sorgt. Es geht um die Inhalte und die Intensität des Konsums sozialer Medien, letztlich um das Wohlbefinden junger Menschen. Ein sehr wichtiges Thema, das aber weit über die Handynutzung an Schulen hinausgeht und wenig mit der dringend nötigen digitalen Unterrichts- und Schulentwicklung zu tun hat.
Pauschale Verbote greifen zu kurz
Keine Frage, wir brauchen klare Regeln für Smartphones an Schulen. Doch pauschale Verbote greifen zu kurz. Sie lösen nicht das problematische Nutzungsverhalten auf Social Media. Ein Großteil dessen findet außerhalb der Schulzeit statt. Smartphones zu verbannen, erlöst Lehrkräfte und vor allem auch Eltern nicht von der zentralen Aufgabe, Kindern und Jugendlichen einen kritisch-reflektierten Umgang mit diesen Geräten und den sozialen Medien zu vermitteln.
Statt digitalem Rückzug sind differenzierte Lösungen nötig, um den unbestreitbaren Risiken zu begegnen. Denn: Auch bei einem schulischen Nutzungsverbot bleiben Smartphones Teil des Alltags junger Menschen. Die Schule muss daher ein Ort sein, an dem diese Lebenswirklichkeit nicht ignoriert, sondern pädagogisch begleitet wird. Das wirksamste Mittel gegen Cybermobbing, digitale Desinformation und Social-Media-Sucht ist also Medienkompetenz. Zudem ist digital gestützter Unterricht oft auf die privaten Smartphones der Schüler:innen angewiesen – schlicht weil die Ausstattung mit schulischen Geräten häufig noch immer unzureichend ist.
Uneindeutige Studienlage, uneinheitliche Rechtslage
Ein neues Orientierungspapier, herausgegeben vom "Forum Bildung Digitalisierung", unterstützt Politik und Schulpraxis dabei, verantwortungsvolle Lösungen für die Nutzung von Smartphones in der Schule zu finden. Es wirft ein Schlaglicht auf die uneindeutige Studienlage zu den Auswirkungen von Smartphone-Verboten auf Lernprozesse und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Zudem bietet die Publikation einen Überblick zur aktuellen Rechtslage in den Bundesländern und ausgewählten Ländern im internationalen Vergleich. Dabei fällt auf: Die Smartphone-Regelungen sind in den Bundesländern, obgleich die Bildungsminister:innen mitunter anderes behaupten, aktuell sehr uneinheitlich. Sie reichen von einem grundsätzlichen Verbot der privaten Nutzung an Grundschulen und weiterführenden Schulen bzw. nur an Grundschulen (fünf Bundesländer) über die Verpflichtung für Schulen, individuell verbindliche Regelungen zu treffen (drei Bundesländer) bis hin zur Nichtregulierung in den übrigen acht Bundesländern, die den Schulen den Umgang mit dem Thema selbst überlassen.
Schulen brauchen Rechtssicherheit und Orientierung, um den Umgang mit Smartphones im Schulalltag für alle Beteiligten angemessen, klar und verbindlich zu regeln. Tatsächlich haben viele Schulen aber bereits eigene, passgenaue Smartphone-Regeln entwickelt. Es wäre wünschenswert, wenn dieses Vorgehen zum Standard würde: Lehrkräfte, Eltern und vor allem die betroffenen Schüler:innen sollten solche Regeln gemeinsam festlegen. Denn wer mitbestimmen darf, hält sich eher an Absprachen – und lernt, Verantwortung für das eigene Medienverhalten zu übernehmen.
Ein starkes Plädoyer dafür kommt von den Jugendlichen selbst, die in der Debatte viel zu wenig gehört werden. In einer Fokusgruppe beim Forum Bildung Digitalisierung sprachen sie sich gegen ein pauschales Verbot aus. Stattdessen betonten sie die Bedeutung von Medienbildung und Eigenverantwortung – sowie die Notwendigkeit, auch Lehrkräfte in diesem Bereich gezielt fortzubilden.
Die digitale Transformation von Schule und Unterricht darf durch die aktuelle Smartphone-Debatte keinesfalls ausgebremst werden. Im Gegenteil: Schüler:innen müssen lernen, digitale Medien gezielt fürs Lernen einzusetzen und sicher mit neuen Technologien wie KI sowie deren Chancen und Risiken umzugehen. Nur so bereiten wir sie auf ein selbstbestimmtes Leben in der Kultur der Digitalität vor. Letztlich geht es um die Frage: Wie gelingt es am besten, digitale Schulentwicklung voranzubringen, Medienkompetenz zu vermitteln und gleichzeitig einen störungsfreien Unterricht zu ermöglichen? Die Antwort darauf ist komplexer als die Rufe nach Verboten.
Kommentare
#1 - Ich persönlich finde es…
1. Kinder sind 6-11 Jahre alt. Alle Empfehlungen sehen vor, dass Kinder frühestens mit dem Eintritt in die weiterführende Schule ein eigenes Handy mit Internetzugang nutzen sollten.
2. Im Unterricht tragen private Handys nichts bei, ganz im Gegenteil, sie schaden und stören eher.
3. Ohne rechtlichen Rückhalt ist es schwierig Handys nachhaltig aus dem Schulleben zu verbannen, denn Hauptakteur sind da die Eltern (Bsp für ähnliche Regelungen, die auf freiwilliger Basis nicht funktioniert: Absprachen zu Abholzonen) Um es kurz zu machen: ein Handyverbot an Grundschulen ist aus meiner Sicht ein No-Brainer.
Die im Artikel erwähnte und in der Studie zur Begründung angeführte Fokusgruppe bestand (soweit ersichtlich) aus Jugendlichen über 16 Jahren. Die Jugendlichen befinden sich damit in der Regel ausschließlich an Gymnasien bzw. Gesamtschulen und dort in der Oberstufe. Grundschulkinder oder (es handelt sich ja dort um 6-10/11 jährige Kinder!) deren Eltern, Unterstufe und Mittelstufe (also die Altersgruppen, bei denen nach allem was so bekannt ist zu viel Bildschirmzeit besonders kritisch ist), waren nicht vertreten.
Wichtiger Teil der digitalen Bildung ist im übrigen auch: (soziale) Räume definieren und schaffen, die verbindlich handyfrei oder sogar nicht digital sind.
#2 - Smartphone-Einschränkung
Zitat: "Es steht also einem 14-Jährigen nichts im Wege, beispielsweise ein falsches Alter oder Geburtsdatum einzugeben und ein uneingeschränktes Erwachsenenkonto einzurichten, das diese zusätzlichen Sicherheitsfunktionen nicht bietet", so Grant.
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