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Heidelberger Aufruf: Ein paar Professoren und ihr seltsames Verständnis wissenschaftlicher Qualität

Die FAZ hat in ihrer gestrigen Ausgabe einen "Heidelberger Aufruf gegen die Akkreditierung" veröffentlicht. Zwei Dinge fand ich daran bemerkenswert, noch bevor ich einen Satz gelesen hatte. Erstens: Der Aufruf, gerichtet an "die Wissenschaftsminister und die Landtage aller Bundesländer", steht da auf der Seite ohne Hinweis "Anzeige" oder ähnliches. Das heißt: Er gehört zum redaktionellen Teil. Zweitens: Obwohl er zum redaktionellen Teil gehört, wird der Text mit keinem Wort, nicht einmal mit einer Unterzeile, eingeordnet. Warum steht er da? Wer sind die Unterzeichner? Was ist der Kontext? Und weshalb sind die FAZ-Kollegen zum Ergebnis gekommen, ihn dort so prominent abzudrucken?

Ein Haufen Fragen, die wohlgemerkt nichts mit dem Inhalt oder der Stoßrichtung des Aufrufs zu tun haben. So stieg ich aber schon mit einer gewissen professionellen Verwunderung in den Text ein. Und die steigerte sich bei der Lektüre. An sich ist es ja nichts Neues, dass sich da eine Reihe von Hochschullehrern (übrigens ausschließlich mit Professorentitel versehen, dazu reichlich Ehrendoktorwürden, die allesamt aufgeführt werden) gegen die Akkreditierungspraxis von Studiengängen wendet, erst recht nicht, seit die Politik höchstrichterlich bescheinigt bekommen hat, dass es so, wie es gegenwärtig läuft, verfassungsrechtlich nicht in Ordnung geht.

Dass die Unterzeichner aber gleich im ersten Absatz erklären, die Universitäten hierzulande verfügten über ein "in den Jahrhunderten ihres Bestehens" quasi von selbst entwickeltes System der Qualitätssicherung, "dessen Strenge ihresgleichen (sic!) sucht", ist gelinde gesagt mutige Behauptung. Erst recht, wenn man sich folgende Begründung auf der Zunge zergehen lässt: "Der Weg zur Professur ist in Deutschland lang, schmal und steinig. Wer ihn hinter sich gebracht hat, ist nachweislich qualifiziert, nun seinerseits sinnvolle Studiengänge zu konzipieren."

Ich überlege, ob ich das für sich stehen lassen sollte. Muss man das überhaupt noch kommentieren? Meinen die das wirklich ernst? Seit Jahren diskutieren wir darüber, dass wir dringend die verkrusteten Karrierewege in der Wissenschaft aufbrechen müssen, dass vielerorts eben nicht wissenschaftliche Exzellenz, sondern der Zufall, Beziehung, was auch immer, darüber entscheidet, wer durch den Flaschenhals zur Professur kommt, und ein paar von denen, die es geschafft haben, erklären nun in ihrem Aufruf ausgerechnet dieses überkommene System zum entscheidenden Beweis für – was eigentlich – ihre eigene Qualität als Hochschullehrer? Und dann noch diese gedankliche Verknüpfung, eine wissenschaftliche Ochsentour überlebt zu haben qualifiziere für die Schaffung vernünftiger Studiengänge?

Man kann ja lange und gut über die Akkreditierung diskutieren, und das wird auch passieren in den nächsten Monaten. Der "Heidelberger Aufruf", den die FAZ gestern abgedruckt hat, ist aber im Grunde nur peinlich. Und zwar für die Unterzeichner.

Kommentare

#1 -

Josef König | Do., 12.05.2016 - 18:15
Lieber Jan-Martin,

ein Zitat dazu zum Schmunzeln:

"Die verbreitete Praxis, dass Professoren ihre Lehrstühle innerhalb der Familie oder praktischerweise gleich an ihre Söhne weitergaben, hat den Ruf der Institutionen auch nicht gerade verbessert. An der Universität Basel gab es 1666 nur einen einzigen Professor, der nicht mit allen anderen verwandt war. Heidelberg bestätigte noch 1767, Professorensöhne, sofern ausreichende qualifiziert, könnten selbstverständlich den väterlichen Lehrstuhl erben." (Aus: Valentin Groebner, Wissenschaftssprache, Konstanz University Press, 2012, S. 44)

Wer weiß, vielleicht will man langfristig dazu zurück ;-)

Lieber Gruß
Josef

#4 -

Klaus Diepold | Di., 17.05.2016 - 14:09
"Der "Heidelberger Aufruf", den die FAZ gestern abgedruckt hat, ist aber im Grunde nur peinlich. Und zwar für die Unterzeichner. "

Diese Aussage unterzeichne ich.

"Deutsche Professoren - Wahn und Wirklichkeit." Das wird der Buchtitel den ich wähle, wenn ich mal ein Buch schreibe in dem ich meine Erlebnisse an deutschen Universitäten zusammenfasse.

#5 -

Laubeiter | Fr., 10.06.2016 - 16:12
Ich versteh nur Bahnhof. Was die Heidelberger Unterzeichner formuliert haben, war Ihre Befriedigung darüber, dass ein Urteil des BVerfG ihre Auffassung, Akkreditierung kollidiere mit Hochschulautonomie, bestärkt habe. Hier wird aber über ihre Selbstbeschreibung diskutiert.
Mag sein, dass nicht jeder findet, dass die Vergabe von Professuren nur nach Qualifikation stattfindet, aber was ist mit dem Urteil des BVerfG? Warum wird über das hier nicht diskutiert? Ich sehe in ihm eine Ohrfeige für Akkreditierung. Und ich fand auch, dass es einem perversen Geschäftsmodell ähnelt, wenn Akkreditierungs-Büros erst Kriterien beschliessen können und dann diese Kriterien auf Bewerbungen anwenden dürfen in einer Art, die staatlichem Handeln zuvorkommt. Nach meinem Verständnis von Rechtsstaat müssen Kriterien durch die Exekutive festgelegt werden, nicht von privater Seite, und dürfen Privilegien wie die Vergabe von Abschlüssen nicht durch private Einrichtungen geprüft werden.

#7 -

Christopher Deninger | Do., 23.06.2016 - 19:57
Ich bin Professor für Mathematik in Münster und habe Akkreditierungen aus der Nähe verfolgt. Die Agenturen kümmern sich nicht um die wissenschaftlichen Inhalte, denn dazu haben sie nicht die Experten. Nach wie vor kann jeder Fachbereich anbieten, was er möchte. Die Agenturen prüfen lediglich, ob die komplizierten und teilweise widersprüchlichen formalen Vorgaben der Bachelor - und Master Studienordnungen implementiert wurden. Für diese administrative Aufgabe werden in Deutschland jedes Jahr viele Millionen von Euro von Forschung und Lehre abgezogen. Gegen diese Verschwendung wendet sich der Aufruf.

#8 -

J. J. Rousseau | So., 26.06.2016 - 15:10
In der Schweiz gibt es keine Akkreditierung von Studiengängen außerhalb der Unis, gab es auch nicht bei der Einführung von "Bologna". Die Folgen : Alles lief wesentlich reibungsloser, kostengünstiger, und - nicht zu unterschätzen - die Texte der Studienpläne sind wesentlich kürzer.

#9 -

Jakob Schmidt-Hieber | Mi., 26.10.2016 - 01:19
Vielen Dank für den wunderbaren Kommentar zu dem auch aus meiner Sicht fragwürdigen Heidelberger Aufruf.

Ich glaube, die Professoren haben sich und ihren Kollegen keinen Gefallen getan. Niemand in der Wissenschaftspolitik spricht den Professoren die Kompetenz ab, über Fachinhalte entscheiden zu können. Die fachinhaltliche Seite war in den Verfahren, die ich in den letzten 8 Jahren mitgemacht habe nie das Problem. Aber zu jedem guten Bauprojekt gehören eben nicht nur gute Architekten sondern auch Statiker. Und genau da liegt eben das Problem. Kurse zum Curriculumsdesign und Studiengangdesign sind nicht Bestandteil der "Ausbildung" zum Professor.

Bei allem Autonomiewunschdenken wird leider ebenfalls oft vergessen, dass die Hochschulen mehrheitlich öffentlich-rechtliche Einrichtungen mit einem öffentlichen Bildungsauftrag sind. Studiengänge müssen eben immer auch strukturellen Mindestanforderungen genügen. Und genau hier hat das bisherige System der in der Tat sehr teuren Kungelei zwischen Gutachtern/Agenturen und dem Lehrpersonal leider versagt. Mehr Rechtsklarheit und die Möglichkeit, auch einmal in rechtlich nicht zu beanstandender Weise eine begehrte Akkreditierung ablehnen zu können, macht das System sicherlich nicht schlechter.

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