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Nürnberger Bruch

Sie war die erste staatliche Uni-Neugründung seit Jahrzehnten: die TU Nürnberg. Doch schon nach drei Jahren hat Ministerpräsident Söder das UTN-Konzept über den Haufen geworfen, jetzt muss auch der Gründungspräsident gehen.

ALS HANS JÜRGEN PRÖMEL im Februar 2021 sein Amt als Gründungspräsident der TU Nürnberg antrat, war der mit einem ruhigen Naturell ausgestattete Mathematiker für seine Verhältnisse richtiggehend euphorisch. "Wenn Sie fast 20 Jahre in der Leitung von etablierten Hochschulen zubringen, führen Sie im Kopf eine Liste, was Sie alles anders machen würden, wenn die Strukturen nicht schon so festgelegt wären, dass sie Veränderungen kaum noch zulassen", sagte er im Interview hier im Blog. "Und genau diese Liste kann ich jetzt abarbeiten."

Gut drei Jahre später wurde am Dienstag öffentlich, dass Prömel geht. Oder, wenn man die Zeichen richtig liest: gegangen wird. Weit vor Ablauf seiner fünfjährigen Amtszeit und für Insider doch nicht völlig überraschend. Zu sehr hatte sich in den vergangenen Monaten die Geschäftsgrundlage verändert für das, was vor wenigen Jahren als ein deutschlandweit einzigartiges Hochschulprojekt begonnen hatte.

Anderes hätte Prömel 2021 auch kaum noch einmal aus seiner Wahlheimat Berlin weggelockt, wohin er nach zwölf Jahren als Präsident der TU Darmstadt zurückgekehrt war und nun mit 67 eigentlich vorgehabt hatte, sich stärker um seine Familie und seine Enkel zu kümmern. Doch war da zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine Landesregierung, die sich wieder an die Neugründung einer staatlichen Universität wagte (zuletzt hatte das 1994 Thüringen mit der Wiederherrichtung der Universität Erfurt getan). Und dann das ausgerechnet in der Heimatstadt des kurz vorher ins Amt gekommenen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), was finanziell auf Klotzen statt Kleckern hinauslief. Mit einem komplett neuen Uni-Campus, mit geplanten 5000 bis 6000 Studierenden, aber gleichzeitig mit so vielen Professoren – 200 bis 250 im Endausbau –, wie anderswo doppelt und dreimal so große Unis haben.

Noch faszinierender war freilich der konzeptionelle Ehrgeiz zum Andersmachen, von dem Prömel so schwärmte und der schon in dem Gründungskonzept angelegt war, das eine eigens dazu einberufene Expertenkommission unter Führung des ehemaligen Präsidenten der TU München, Wolfgang Hermann, erarbeitet hatte. Mit interdisziplinären Aktivitätsfeldern und Departments statt Fakultäten und Lehrstühlen. Mit Englisch als Haupt-Lehrsprache. Und, bereits vor Corona so vorgesehen, mit dem konsequenten Einsatz digitaler Methoden in Forschung, Lehre und Verwaltung. Angesichts seiner zentralen Rolle dachten viele, dass "TUM"-Patricharch Hermann, von jeher ausgestattet mit besten Verbindungen in die bayerische Politik, sich mit der neuen "UTN" eine neue Betätigungsstätte nach seinem altersbedingten Abschied in München suchen wolle.

Zum Hoffnungsträger auserkoren

Doch Hermann entschied anders, der Wissenschaftsrat gab 2020 ein bemerkenswert skeptisches Votum zum Gründungskonzept ab, und Söder wurde unruhig. Nach außen jubilierte der Ministerpräsident über das "einzigartige Konzept", für das der Wissenschaftsrat nun "grünes Licht" erteilt habe, nach innen machte er Druck. Und der Mann, der wie kaum ein zweiter die nötige Ruhe, Erfahrung, Weitsicht, aber auch Konsequenz zu verkörpern schien, wurde zum Hoffnungsträger erkoren: Hans Jürgen Prömel. Zum Konzept der Gründungskommission sagte er damals, noch längst nicht alles sei "in Stein gemeißelt, in der konkreten Umsetzung wird sich bei manchen Dingen herausstellen, dass man sie anders machen muss."

Und der vom Ministerium als Gründungspräsident eingesetzte Prömel machte. Um ihn und den ebenso erfahrenen Kanzler Markus Zanner wuchs das Präsidium: Isa Jahnke, international vernetzte Expertin für digitale Didaktik, wurde 2022 Gründungsvizepräsidentin für Studium, Lehre und Internationales, der ehemalige Darmstädter Vizepräsident Alexander Martin übernahm 2023 das Ressort für Forschung, Innovation und Entrepreneurship. Ein Interimsgebäude wurde angemietet, während der Campusbau Fahrt aufnahm. Schon Mitte 2024 soll der erste Neubau, der sogenannte Cube One, fertig sein. Im Oktober 2023 überstieg die UTN-Personalzahl die 100er-Grenze, wobei 25 davon wissenschaftliche Mitarbeiter waren.

Ein paar Tage vorher hatte die UTN ihrer erste Studierenden immatrikuliert, genau zu dem von Prömel fast drei Jahre früher vorhergesagten Start des Lehrbetriebs zum Wintersemester 2023/24. Los ging es mit dem Masterprogramm "Artificial Intelligence and Robotics", wobei angesichts von zunächst nur acht Studienanfänger Prömels Statement in der Pressemitteilung an Bayerns neun anderen Universitäten für einen gewissen Spott sorgte. "Wir sind begeistert, so viele talentierte Studierende aus aller Welt begrüßen zu dürfen und freuen uns auf die interkulturelle Perspektive, die sie am Innovationsstandort Nürnberg einbringen werden." So viele? In jedem Fall, sagten manche anderswo, seien es die echt teuersten Studierenden im Freistaat. Wobei zur Wahrheit gehört, dass es bereits mehr Doktoranden (22) als Studierende gibt.

Für Überraschung sorgte, als Prömel im Januar 2024 die Berufung der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm zur Professorin für Energiesysteme und Marktdesign bekanntgab – war Grimm doch zuvor an der Universität Erlangen-Nürnberg tätig gewesen. Ein unfreundlicher Akt gegenüber dem Nachbarn? Bei Amtsantritt hatte Prömel noch versichert, die UTN werde "kein Monolith, sondern eine Gelegenheit für alle Wissenschaftseinrichtungen in der Region Nürnberg und darüber hinaus." Als eine seiner ersten Handlungen nach seiner Berufung sei gewesen, "dass ich den Präsidenten der Universität Erlangen-Nürnberg angerufen habe, um zu sehen, was wir gemeinsam auf die Beine stellen können. Die TUN darf kein Stand-Alone werden, das bei anderen nur Neid hervorruft."

Söders besondere Aufmerksamkeit

Neid gab es aber, und er nahm zu, je stärker die Haushaltsnöte nach Corona und Ukrainekrise, etwa in Form höherer Energiekosten und ausbleibender Sanierungen, auch auf Bayern und seine Hochschulen durchschlugen. Und die besondere Aufmerksamkeit von Ministerpräsident Söder bekam zunehmend eine Kehrseite in Form eines ständigen Hineinregierens. Schließlich musste sogar ein ganz neues Innovationsnarrativ musste her, und so verkündete der CSU-Politiker im Dezember 2023, in Nürnberg solle Deutschland erste reine auf Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Universität entstehen, und das Schlagwort lieferte Söder auch gleich dazu: "Franconian University of Artificial Intelligence".

Da der Lehr- und Forschungsbetrieb an der TU Nürnberg noch am Anfang stehe, werde der weitere Aufbau ab sofort unter dem Fokus auf KI erfolgen, erläuterte ein Sprecher des Wissenschaftsministeriums laut Süddeutscher Zeitung die Pläne. KI-Universität bedeute, dass es künftig keinen einzigen Fachbereich geben werde, in dem KI keine Rolle spielen werde. Auffallend war, dass Präsident Prömel sich zu all dem nicht äußerte.

Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) sprach zwar von einer "Weiterentwicklung" des UTN-Konzepts, doch musste man inmitten der konzeptionellen Brüche schon sehr nach den Kontinuitäten suchen. So blieben Fragen und Unsicherheiten. Vor allem: Wo blieb in all den einseitigen Ansagen aus dem Ministerium die Stimme der Wissenschaft? Was sagte das Präsidium zu dem Strategiewechsel? Welche Geltung hatte noch das aufwändig von der breiten Expertengruppe erarbeitete Gründungskonzept?

Am Dienstag nachmittag um kurz vor 16 Uhr machte die TU Nürnberg Prömels Abschied per Pressemitteilung offiziell: "Nach drei Jahren erfolgreicher Gründungs- und Aufbauarbeit findet im Zuge der KI-Fokussierung ein Stabwechsel im Amt des Gründungspräsidenten statt." Michael Huth, derzeit Professor of Computer Science und Leiter des Departments of Computing am Imperial College London, "übernimmt" von Prömel das Präsidentenamt. Eine Formulierung, die in Sachen Freiwilligkeit von Prömels Abgang wenig Interpretationsspielraum ließ. Doch wollte dieser auf Anfrage seinen Abschied nicht kommentieren.

Am 31. März ist sein letzter Tag an der UTN. Bis Huth im Oktober startet, übernimmt Vizepräsident Martin kommisarisch die Uni-Leitung. Auch Kanzler Zanner und Vizepräsidentin Jahnke bleiben Amt.

Ein Satz wie ein Schienbeintritt

Blume fand immerhin lobende Worte für Prömels Wirken, dieser habe gerade im Bereich der Berufungen Maßstäbe gesetzt, so sind beide Department Chairs Leibniz-Preisträger. Diesen Pfad des hochqualitativen Aufbaus setzen wir nun mit klarem Fokus fort." Ministerpräsident Söder hingegen war auch in der Pressemitteilung längst in anderen Sphären unterwegs. "KI ist wie ein Urknall für das Wissensuniversum", verkündete er darin. "Dabei wollen wir vorne mitmischen und machen die UTN zur ersten auf KI spezialisierten Universität. Als Präsident ist Professor Michael Huth dafür die Idealbesetzung. Er ist eine Koryphäe im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Seine Verpflichtung ist ein sensationeller Erfolg, mit dem die UTN von Anfang an voll durchstarten kann."

"Von Anfang an voll durchstarten": ein Satz wie ein Schienbeintritt gegen den seit drei Jahre amtierenden Gründungspräsidenten Hans Jürgen Prömel. Mit Kaltblütigkeit zum Erfolg? Es werden spannende Monate an der UTN.


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