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Empfehlungsexegese

Seitdem der Wissenschaftsrat seine Stellungnahme zur TU Nürnberg abgegeben hat, kursieren die unterschiedlichsten Interpretationen, was seine Äußerungen für das Projekt bedeuten. Und nun?

Nürnberg, Stadtansicht  Foto: Gellinger / pixabay - cco.

WIE UNTERSCHIEDLICH MAN doch Stellungnahmen lesen kann. In diesem Fall die 79 Seiten, die der Wissenschaftsrat vergangene Woche zum Gründungskonzept der geplanten TU Nürnberg veröffentlicht hat. Eine "sehr positive Bewertung" habe das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern abgegeben, verkündete Bayerns Wissenschaftsministerium, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) feierte das "einzigartige Konzept", für das der Wissenschaftsrat nun "grünes Licht" erteilt habe. Dessen Generalsekretär Thomas May wiederum betonte, mit der vorgelegten Stellungnahme sei "keine wissenschaftspolitische Bewertung der Gründungsentscheidung verbunden". Die sei allein in München getroffen worden (WISSEN DREI vom 6. Februar). Der Tagesspiegel berichtete von "Fragezeichen hinter der TU Nürnberg", die vorgetragenen Bedenken seien "gravierend" gewesen. Ja, was denn nun? Wird das was in Franken?

 

Die Wahrheit ist: Wer weiß es schon. Deutschland hat seit Jahrzehnten nicht mehr die Neugründung einer staatlichen Universität erlebt. Die letzte, eigentlich eine Wiedergründung, ereignete sich in Erfurt 1994, als die Zahl der Studierenden bundeweit noch halb so hoch lag wie heute. Dass das Studieren, wie das CHE es mal konstatierte, seitdem zum "Normalfall" geworden ist, spiegelte sich an den Universitäten vor allem in deren Aufblähen wider. Der politische Mut reichte zum Aufbau neuer, dringend benötigter Fachhochschulen, aber an das Projekt "neue Universität" traute sich keine Landesregierung ran.

 

Lassen sich die neuen Konzepte und Strukturen
durchsetzen gegen Lobbyvereine aller Art?

 

 

Insofern wäre die TU Nürnberg auf jeden Fall das, was Söders Wissenschaftsminister Bernd Sibler (ebenfalls CSU) seit Monaten jedem Journalisten in den Block zu diktieren versucht: "ein Modell für ganz Deutschland". Eine neue Uni, geht das in noch in Zeiten grenzwertiger Verrechtlichung auch in der Hochschulpolitik? Neue Lehrkonzepte und Strukturen, lassen die sich durchsetzen gegen wissenschaftliche Lobbyvereine und Standesvertretungen aller Art?

 

Die Ideen, die eine Kommission um den ehemaligen Präsidenten der TU München, Wolfgang Herrmann, erarbeitet hat, sind fast schon rücksichtlos weitreichend. Interdisziplinäre Aktivitätsfelder und Departments statt Fakultäten und Lehrstühlen. Konsequenter Einsatz digitaler Methoden in Forschung, Lehre und Verwaltung. Englisch als Haupt-Lehrsprache. Nur 5000 bis 6000 Studierende, aber so viele Professoren, wie anderswo doppelt und dreimal so große Unis haben

 

Aber: Lassen sich die Disziplinen so wirklich miteinander verschränken? Was bedeutet Digitalisierung denn konkret, gerade in der Lehre? Ist "English First" automatisch Garant für Internationalität, oder braucht es dafür ein Konzept für Mehrsprachigkeit und die Rolle des Deutschen auf dem Campus? Und: So schön die Betreuungsrelation von 1:30 klingen mag, wie lassen sie sich mit dem Hochschulrecht vereinbaren, und wie finden die anderen Hochschulen das eigentlich?

 

Ist es ein Wunder, dass der Wissenschaftsrat von zahlreichen "innovativen Elementen" spricht, ihnen tatsächlich "Modellcharakter" bescheinigt – und gleichzeitig einige Details nicht genügend ausgearbeitet findet und bei weiteren "Klärungsbedarf" sieht? Überrascht es, dass das Gremium konstatiert: "Es ist nicht absehbar, ob die TU Nürnberg sämtliche Ziele erfolgreich umsetzen kann."

 

Bemerkenswert ist schon jetzt, wie ehrgeizig und unbeirrt Bayern den Weg zur Neugründung weitergeht. Was sicherlich auch daran liegt, dass Söder selbst aus Franken stammt. Die Staatsregierung hat den Rat des Wissenschaftsrates nicht gefürchtet, sondern gesucht. Sie weiß: Nicht das Konzept, das von Anfang bis Ende unverändert bleibt, gewinnt. Sondern das Konzept, das am Ende wirklich funktioniert.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst im ZEIT-Newsletter WISSEN DREI. 

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Kommentare: 4
  • #1

    Max B. (Montag, 10 Februar 2020 06:46)

    Die HafenCity Universität wurde 2006 gegründet.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Montag, 10 Februar 2020 08:34)

    @Max B.: Danke für den Hinweis. Trotzdem bleibe ich bei meiner These, dass es die erste echte Neugründung einer Universität ist – ohne Vorgängereinrichtung(en) und nicht auf ein einzelnes Fach bzw. auf einen engen Schwerpunkt beschränkt. Viele Grüße! Ihr J-M Wiarda

  • #3

    Liberaler (Montag, 10 Februar 2020 12:10)

    Das Neue kommt immer von außen. Im Allgemeinen wird das in Deutschland nicht verstanden: Man tut lieber so, als könnte man mittelmäßige, vermachtete und nepotistische Universitäten binnen weniger Jahre allein durch Verwaltungsakte und Reklame "exzellent" machen. Bayern will mit diesem verlogenen Ansatz brechen und versucht eine echte Neugründung. So weit, so gut. Aber es ist immer noch eine staatliche Neugründung, die allen üblichen Zwängen unterliegt und ihr Personal zwangsläufig ganz überwiegend aus dem staatlichen deutschen Wissenschaftsbetrieb rekrutieren muss. Zu befürchten ist deshalb, dass auch wieder nur alter Wein in neuen Schläuchen dabei heraus kommt. So ist es in Erfurt gekommen, trotz vieler Vorschußlorbeeren und obwohl damals Peter Glotz energisch mit dem Status Quo zu brechen versuchte.

  • #4

    tutnichtszursache (Mittwoch, 12 Februar 2020 13:07)

    Die Entscheidung im WR ist später gefallen als ursprünglich geplant. Das deutet in der Regel auf innere Konflikte hin. Das nun veröffentlichte Papier könnte einen Kompromiss zwischen zwei Fraktionen darstellen: a) Unterstützung der Neugründung als mutiges, zukunftsweisendes Konzept, b) Ablehnung u.a. aus dem Wunsch heraus, die Milliarde (oder so) auf die bestehenden Hochschulen zu verteilen.
    Ob es klug war, dass der Nürnberger Söder eine Milliarde oder mehr für eine Neugründung exklusiv in Nürnberg lockermachte (so meckern jedenfalls zahlreiche Nichtnürnberger aus durchsichtigen, gleichwohl nachvollziehbaren Motiven, unterstützt von FAU-Nürnbergern, die das Geld lieber selbst hätten), kann man zumindest fragen. Es würde mich nicht wundern, wenn das auch im WR mitgeschwungen hätte.