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Uni heißt gestalten

Die Universitäten stehen gerade an einem Wendepunkt: Bürokratie, Trägheit und ideologische Debatten lähmen sie. Doch zugleich haben sie die Chance, sich neu zu erfinden. Ein Gastbeitrag von Juri Rappsilber.

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Artikelbild: Uni heißt gestalten

Juri Rappsilber ist Professor für Bioanalytik an der TU Berlin, Sprecher des Exzellenzclusters "UniSysCat" und wurde für innovative Lehre ausgezeichnet.Foto: TU Berlin/Dominic Simon.

DIE UNIVERSITÄTEN müssen sich neu erfinden – und zwar jetzt. Sie stehen an einem Wendepunkt: Politische, finanzielle und strukturelle Krisen fordern sie heraus. Statt sich von äußeren Zwängen oder ideologischen Debatten lähmen zu lassen, sollten sie die Chance für eine selbstbestimmte Erneuerung ergreifen.

Wenn Studierende seit Jahrzehnten nur in sehr geringem Maße an universitären Wahlen teilnehmen oder vorhandene Gelder nicht genutzt werden, verweist das vor allem auf interne Blockaden. Müssen die vielen Konten einer Universität wirklich alle einzeln im Plusbereich bleiben und in Summe viele Euros binden? Müssen Anschaffungsprozesse so aufwendig sein dass sie zum Nadelöhr werden? Es ist an der Zeit, in Anlehnung an den historischen Ruf "Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren", erneut gründlich durchzulüften: "Genug mit dem Verwalten – Uni heißt gestalten!"

Die zentrale Frage lautet: Welche Rolle spielt eine Universität überhaupt in der Gesellschaft? Welche sollte sie spielen? Die bloße Formel "Forschung und Lehre" greift als Leitsatz zu kurz, weil sie den Sinn dahinter – das Lernen und Befähigen – ausblendet. Wer lehrt, sollte nicht nur Wissen weitergeben, sondern Menschen aktiv dazu befähigen, ihre Potenziale zu entfalten und die Gesellschaft mitzugestalten. Dieses Ideal verlangt, dass alle Statusgruppen einer Universität – Professorinnen und Professoren, wissenschaftliche Mitarbeitende, Studierende sowie nicht-akademisches Personal – gleichermaßen als Lernende und Befähigende agieren. So entfalten sie gemeinsam Innovationskraft und gesellschaftliche Relevanz.

Doch selbst die besten Ansätze greifen ins Leere, wenn Verwaltungs- und Governance-Strukturen nicht mitziehen. Eine lernende Verwaltung setzt auf Prozesse, die Ideen fördern, statt sie zu blockieren. Eine wirklich partizipative, zukunftsorientierte Governance denkt Fortschritt weiter, statt ihn zu zerreden, und trifft Entscheidungen, statt sie zu verschleppen. Nur so wird die Universität zu einer lebendigen Gemeinschaft, in der Wandel Teil der akademischen Kultur ist – und damit neues Leben in erstarrte Strukturen bringt.

Jetzt kommt es wirklich auf jede und jeden an

Wandel beginnt im Alltag, getragen vom Tatendrang einiger Vorreiter: Beispiele wie Exzellenzcluster, experimentelle Lehransätze oder niedrigschwellige Beteiligungsformate machen Mut. Sie zeigen, dass Neues selbst in großen Organisationen gelingen kann. Doch es bedarf eines Mentalitätswechsels, damit aus solchen Erfolgen mehr wird als bloße Ausnahmen. Alle sollten sich als Teil einer lernenden und befähigenden Gemeinschaft verstehen und in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich den Wandel zulassen, unterstützen, mitgestalten oder gar anstoßen.

Gerade hier kommt es wirklich auf jede und jeden an: Verbindet euch über alle Grenzen hinweg, denn wir leiden alle unter dem Joch institutioneller Trägheit und Ineffizienz – ganz gleich, ob wir in der Zentralverwaltung oder in den Fakultäten arbeiten, und unabhängig von unseren jeweiligen Hintergründen oder Statusgruppen. Ruft "Genug mit dem Verwalten – Uni heißt gestalten!"

Vielleicht ist sogar die Zeit reif, sich an den revolutionären Bewegungen von 68 und 89 zu orientieren und Elemente wie Sit-ins, Go-ins oder runde Tische aufzugreifen. Denn letztlich geht es darum, die von niemandem gewollte, niemandem wirklich nützende Trägheit der Universität in Einklang zu bringen mit dem vorhandenen Ideenpotenzial und der Handlungsnotwendigkeit unserer Zeit.

Ein Kulturwandel "von unten" wird dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn er auch von oben durch klare Strategien und den Willen zur Veränderung unterstützt wird. In einer Zeit, in der Demokratie und (Wissenschafts)freiheit in Deutschland unter Druck geraten, müssen sich die Universitäten aktiv positionieren.

Die Zukunft gehört jenen Hochschulen, die nicht nur passiv verwalten, sondern gestalten, indem sie Lernen und Befähigen in den Mittelpunkt rücken.

Jetzt die Weichen zu stellen, ist überlebenswichtig – wer wartet, riskiert, an Bedeutung zu verlieren. Lasst uns gemeinsam die Universitäten öffnen, Strukturen erneuern und eine Kultur des Lernens und Befähigens etablieren. Wer aktiv mitgestaltet, ist der beste Garant für eine zukunftsfähige, gesellschaftlich relevante Hochschule.

Kommentare

#1 -

Hmm | Do., 20.03.2025 - 11:01
Alles ganz nett, aber sehr allgemein und etwas phrasenhaft; mir ist rätselhaft, was der Autor eigentlich genau sagen will. Meint er ernsthaft, wir sollten sit ins und go ins veranstalten, oder was er schlägt er vor und zu welchem Zweck eigentlich genau?

#2 -

Unterstützer | Do., 20.03.2025 - 13:22
Zustimmung ! Gestalten statt verwalten. Ermöglichen statt behindern. Visionär in die Zukunft schauen, statt den "Status quo" halten wollen. Kritisch hinterfragen, Neues ermöglichen und erschaffen, statt unhinterfragt Vorschriftenkataloge abarbeiten. Potenzialentfaltung und Befähigung auf den verschiedenen Ebenen, statt standardisierte akademische Ausbildung. Das hat viel auch mit der Einstellung jedes Einzelne in den verschiedenen Bereichen und auf den verschiedenen Ebenen zu tun. An einzelnen Universitäten ist die hierfür notwendige Einstellung leider inzwischen viel zu wenig zu finden, muss mit der Lupe gesucht werden, an anderen dafür glücklicherweise noch ein wenig häufiger vertreten.

#3 -

C. Wolf | Do., 20.03.2025 - 14:21
Ja, es wird wenig konkret. Gleichzeitig ist der Anstoß richtig. Der geforderte Wandel braucht erstmal Mut und Energie. Daran mangelt es schon und das wird kritisiert. Es wird zu wenig gestaltet. Zu sehr auf Sicht und Sicherheit gespielt. Und Wandel muss auf der Grundlage von gemeinsamen Werten stattfinden. Dafür wird ja mit dem Verweis auf das Leitbild für die Lehre an der TU Berlin ein konkretes Beispiel angefügt. Ich gebe noch einen ergänzenden Verweis, auch abstrakt, aber wichtig.
Aus dem Zwischenbericht der Initiative für einen handlungsfähigen Staat. Nr. 27. "Ein starker Staat begegnet Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen mit einem Vertrauensvorschuss".

#4 -

Contra | Do., 20.03.2025 - 16:12
Beim Leser der obigen Zeilen musste ich fast zwangsläufig an das Buch von David Graeber "Bullshit Jobs" denken.
Ich weiß, dass mein Kommentar dadurch überspitzt klingt. Aber vielleicht steckt ein bißchen Wahrheit in der Feststellung, dass die täglich beobachtete Bürokratie in vielen Einrichtung mehr oder weniger eine unmittelbare Folge von unzähligen "Bullshit Jobs" geworden ist.

#6 -

Wolfgang Kühnel | Sa., 22.03.2025 - 13:20
Für einen gestandenen Naturwissenschaftler argumentiert der Autor erstaunlich vage und mit Allgemeinplätzen ("Universitäten öffnen", "Kultur des Lernens"). Gewiss, die hohe Priorität des Verwaltens nach juristischen Vorgaben ist ein ewiges Ärgernis geworden, darin hat er schon Recht. Aber wer "gestaltet" denn in der Praxis? Es sind die Parteipolitiker und eben die Verwaltungsjuristen mit neuen Hochschulgesetzen, aber nicht die Professoren. Denn den letzteren hat man die Kompetenzen dafür systematisch weggenommen. "Exzellenz" bedeutet heute, Exzellenzgelder ausgeben zu können, für deren Beantragung ein riesiger bürokratischer Aufwand betrieben wird. "Diversität" gilt als Wert an sich, dafür gibt es eigene Prorektoren. Die "Kultur des Lernens" wird mit quantitativen Daten gemessen, etwa den Durchfallquoten oder der Zahl der Abschlüsse. Und die Studenten müssen "dort abgeholt werden, wo sie stehen", und über das letztere entscheiden Schulbürokraten in ihren Bedingungen für das Abitur und die sonstigen Hochschulzugangs-berechtigungen. Woher kam denn die Gesamthochschule mit ihrem vollmundigen Anspruch, und wohin ist sie wieder verschwunden?

#7 -

McFischer | Mo., 24.03.2025 - 13:30
@#6, Kühnel
Wenn ich es richtig lese, kritisieren Sie die aktuelle Praxis, z.B.:
"Die "Kultur des Lernens" wird mit quantitativen Daten gemessen, etwa den Durchfallquoten oder der Zahl der Abschlüsse. "
Jetzt verwundert es mich, dass Sie (als Naturwissenschaftler) Einwände gegen die Erhebung von Durchfallquoten, drop-outs, Abschlüssen etc. haben. Braucht es für eine vernünftige Studienplanung nicht genau diese Daten?

#8 -

McFischer | Mo., 24.03.2025 - 14:51
Der - an sich interessante - Beitrag leidet mE an einer gewissen Widersprüchlichkeit bzw zu einfachen Konfliktlinie.
Einerseits fordert der Autor eine breite Involvierung aller Statusgruppen, so weit so demokratisch. Andererseits fordert er "von oben" klare Strategien und:
"Eine wirklich partizipative, zukunftsorientierte Governance denkt Fortschritt weiter, statt ihn zu zerreden, und trifft Entscheidungen, statt sie zu verschleppen." Das geht für mich nicht so recht zusammen. Einerseits eine breite Beteiligung und innovativen Austausch, andererseits aber bitte klare Strategien aus der Hierarchie und zügige Entscheidungen.
Hinzu kommt dann noch die Konfliktstellung von "wir" (die Lehrenden, Forschenden, Studierenden) gegen "die", die verschleppende, auch so komplizierte Verwaltung. Das ist in den - auch vom Autor beschriebenen - Zeiten von Drittmitteln, Diversität etc. zu simpel. Manchmal scheint es mir, als bräuchten die Universitäten ein Mehr an (guter, innovativer) Verwaltung, kein Weniger.

#9 -

Lilly Berlin | Mo., 24.03.2025 - 22:50
Den Beitrag von Herrn Rappsilber kann man wohl nur aus der Sicht eines TU-Mitglieds so ganz verstehen. Bürokratische Lähmung und eine Führung, die ganz offensichtlich weder die Kompetenz noch den Mut für einen wie auch immer gearteten Befreiungsschlag hat, treffen jetzt auf die prekäre Finanzsituation. So verschlechtern sich Bedingungen für Forschung und Lehre ins Unerträgliche (ich erlebe regelmäßig ungläubiges Staunen bei Kollegen von anderen Universitäten, wenn sie von den Bedingungen an der TU Berlin erfahren). Gleichzeitig gibt es keinerlei Hoffnung auf eine Verbesserung des Zustandes in den gegenwärtigen Strukturen. Da träumt man dann schon mal von einer Revolution. Bleibt aber wohl ein Traum.

#10 -

Wolfgang Kühnel | Mo., 24.03.2025 - 23:20
Zu #7: Natürlich muss man auch Durchschnitts-noten und Abbruchquoten, Zahl der Fachwechsler und auch Durchfallquoten statistisch erfassen.
Aber ich höre da Widersprüchliches: Die durchschnittliche Abiturnote der Studienanfänger wird erfasst, die Abbruchquote auch, aber die durchschnittliche Abiturnote bei den Studienabbrechern kann man angeblich nicht wissen. Vielleicht gibt es da eine entscheidende Korrelation? Schulnoten gelten auch als "Prädiktoren" für die spätere Laufbahn, das sage nicht ich, sondern das sagen Experten. Gerade im Fach Mathematik hat man herausgefunden (Heublein et al., HIS), dass zu schwache schulische Kenntnisse bei Abbrüchen entscheidend waren. Und was sagen die schulischen Autoritäten? Weiter so und die Abiturquote erhöhen.
Aus England höre ich, dass nach einer Klausur mit über 25 % Durchfallquote der Dozent zum Dekan zitiert wird und sich rechtfertigen muss. Das Resultat: Dieser Fall tritt praktisch nicht mehr ein, alle folgen den Vorgaben. Aber was in aller Welt soll das mit der "Kultur des Lernens", mit "Innovation" oder mit "Zukunftsorientierung" zu tun haben? So etwas wird "von oben" befohlen und genau NICHT "von unten gestaltet". Diese Art ist eine bürokratische, genau das, was der Autor (mit Recht) kritisiert.

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