Flüchtlinge: Die Stimmung dreht sich
Nochmal Flüchtlinge. Das Thema treibt mich um – vielleicht weil es kaum ein Gespräch gibt in diesen Tagen mit Verantwortlichen aus Schulen und Hochschulen, in denen das Stichwort nicht nach spätestens fünf Minuten fällt. Und die meisten von uns beobachten mit Sorge, dass sich das gesellschaftliche Klima gerade erneut dreht.
Die anfängliche Skepsis, als die Zahl der Einwanderer wuchs, war zunächst einer fast schon euphorischen Zuversicht gewichen, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel die Grenzen geöffnet hatte, nach dem Motto: "Wir schaffen das!" Doch dieselben Leute, die besonders laut von einer "Willkommenskultur" geschwärmt haben, glauben angesichts nicht nachlassender Menschenströme nun mit einem Mal, die Flüchtlinge darauf hinweisen zu müssen, dass bei uns die Gesetze zählen und nicht das Wort des Propheten. Meines Erachtens eine unglaubliche, populistische und noch dazu verantwortungslose Unterstellung, pauschal all die Menschen, die da ins Land kommen, der religiösen Eiferei zu verdächtigen. Doch selbst gemäßigte Politiker sorgen sich plötzlich, dass die Grenzen der Aufnahmefähigkeit demnächst erreicht seien. Sind dieselben Flüchtlinge, die vor kurzem noch zur großen "Chance für Deutschland" erklärt wurden, plötzlich nur noch Belastung?
Keine Frage: Alle sind sich einig, dass ein Großteil der Integrationsleistung in den Schulen, Hochschulen und Betrieben passieren muss und passieren wird. Dass das unser Bildungssystem nachhaltig verändern wird, habe ich schon in früheren Blogeinträgen skizziert. Keiner weiß, wie viele Milliarden Euro allein all die neuen Erzieher, Lehrer und Sozialpädagogen kosten werden (geschweige denn, wo wir sie auf die Schnelle hernehmen sollen). Zur Sicherheit sind alle Landesregierungen und Kommunen, Dachverbände und Lobbyisten fleißig dabei, ihre ständig steigenden Forderungen anzumelden – daran ändert auch die Einigung beim "Flüchtlingsgipfel" nichts.
Gefährlich wird die Debatte an der Stelle, wo besonders auf Bundesebene der Druck zunimmt, die massiven Mehrausgaben für die Einwanderer durch Einsparungen an anderer Stelle auszugleichen. Erst recht, wenn das dann auch noch genau so gesagt wird. Hier drohen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt zu werden – erst recht, wenn die gesellschaftliche Stimmung sich weiter dreht. Hier sind die ersten Stimmen nicht weit weg, die sagen werden: "Seit die Flüchtlinge da sind, kümmert sich keiner mehr um uns."
Die Einwanderungswelle, die wir im Moment erleben, ist historisch in ihren Ausmaßen, und sie ist noch lange nicht zu Ende. Wer darauf buchhalterisch reagiert, unterschätzt nicht nur ihre Dimensionen. Er sendet auch das falsche Signal. Eines, das allzu leicht missverstanden wird.
Bei Spiegel Online ist ein Interview erschienen, das ich mit dem Chef der START-Stiftung, Robert Hasse, geführt habe. Die Stiftung will künftig ausschließlich junge Flüchtlinge fördern.
Kommentare
#1 - Ich habe heute auf der Pressekonferenz der…
#2 - Benachteiligte Gruppen gegeneinander ausspielen, ja, das…
Übrigens gibt es dazu durchaus Forschung: Naika Foroutan, Soziologin an der Humboldt-Universität, untersucht Vorurteile gegen Muslime (die ziemlich resitent gegen Fakten sind), die PEGIDA Bewegung und die Motive ihrer Anhänger. Sie spricht dabei von der "Kraft der Narrative".
http://www.bim.hu-berlin.de/de/personen/prof-dr-naika-foroutan/
Neuen Kommentar hinzufügen