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Digital-Blamage

Weil viele Kultusminister die Digitalisierung des Lernens
verpennt haben, zwingen sie jetzt in der Krise ihre Lehrkräfte zu datenschutzrechtlichen Verstößen.

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Artikelbild: Digital-Blamage

Foto: Bokskapet / pixabay - cco.

NACH EINER WOCHE Schulschließungen ist klar: Die Lehrer sind es nicht, an denen die Digitalisierung der Bildung scheitern wird. Bemerkenswert schnell haben die Pädagogen überall im Land reagiert, ihren Schülern Zugänge eingerichtet in Leseportalen und Mathetraining-Websites. Sie haben ihnen Aufgaben hochgeladen und an die Eltern Lernpläne verschickt.

Nach einer Woche Schulschließung ist aber auch klar: In den meisten Ländern hat die Digitalpolitik der Kultusministerien versagt. Lange vor der Krise. Doch jetzt wird es umso schmerzlicher bewusst.

Bayerns staatliche Online-Lernplattform "mebis" wurde Anfang der Woche gleich mal gehackt, Bremens Schulnetzwerk "itslearning" ging angesichts des Ansturms zeitweise in die Knie. Doch immerhin hatten die beiden Länder etwas, das in die Knie gehen konnte. Immerhin haben Bayern und Bremen es relativ schnell geschafft, die IT-Probleme zu beseitigen. Viel schlimmer ist, dass in den meisten Bundesländern im Jahr 2020 keinerlei flächendeckende, vom Kultusministerium eingerichtete datenschutzsichere Lernplattform existiert. Baden-Württemberg etwa hat mit der jahrelangen, millionenteuren Entwicklung von "ella" Schiffbruch erlitten. NRWs "Logineo" kam nach jahrelangen Pannen und Verzögerungen – und hat bislang nur einen Bruchteil der Schulen erreicht.

Lernen mit WhatsApp und Facebook

Weil die Kultusminister in der Mehrzahl der Bundesländer die Digitalisierung des Lernens verpennt oder – noch schlimmer – bislang nicht hinbekommen haben, zwingen sie jetzt in der Krise ihre Lehrkräfte zu datenschutzrechtlichen Verstößen. Die meisten der an die Eltern verschickten Lernpläne kommen von den privaten Mailadressen der Lehrer, die Kommunikation mit den Schülern läuft vielerorts über WhatsApp oder Facebook. Die eilig eingerichteten Zugänge zu Online-Lernmaterialien gehen über die Seiten kommerzieller Anbieter – deren Umgang mit den Schülerdaten? Oftmals unklar. Doch die Bildungspolitik lässt die Lehrer hängen. Tut so, als ob sie nicht merkt, was an den Schulen gerade passiert.

Aufrichtiger ist da der Weg, den Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) geht. Per Rundschreiben hat sie ihren Schulen in der Krise die Nutzung von cloudgestützten Office-Produkten oder "datenschutzfreundlichen Messengerdiensten" freistellt. Womit Eisenmann zugleich die politische Verantwortung übernimmt für die datenschutzrechtlichen Graubereiche, die sich daraus zwangsläufig ergeben. Weil es nicht anders geht. Und weil es nicht angeht, die Lehrer auf der Verantwortung sitzen zu lassen.

Doch viele andere Kultusminister tun genau das – während die Lehrkräfte in einem digitalen Kraftakt nutzen, was die Schüler irgendwie weiterbringt in dieser Situation. Peinlich ist das. Für die Bildungspolitik.

Die Lehre reicht über die Krise hinaus: Die Bildungspolitiker sollten es endlich lassen mit den selbst in Auftrag gegebenen Plattform-Lösungen, die datenschutzrechlich sicher, technisch perfekt und pädagogisch innovativ werden sollen. Die seit Jahren versprochen werden und kaum mal irgendwo klappen. Und selbst wenn: Der personelle Aufwand für Wartung, Betrieb und Support enorm.

Statt bildungspolitischem Stolz und dem Festhalten an teuer-fragwürdigen Pilotprojekten ist jetzt in der Krise und dann auf Dauer Pragmatismus angesagt. Denn es gibt sichere kommerzielle Lösungen da draußen. Man muss allerdings auch die politische Konsequenz haben, sie zu nutzen. Bremen hat das getan. Das Schulnetzwerk "itslearning" stammt von einem norwegischen Anbieter. Der hat Anfang der Woche, als der Ansturm kam und kurz nix mehr ging, zusätzliche Server freigeschaltet. Seitdem, ist zu hören, läuft das Online-Lernen in Bremen wieder. Viele Lehrer nutzen es zum ersten Mal. Und alles ganz legal.


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Kommentare

#1 -

Sabine Husemeyer | Fr., 20.03.2020 - 20:43
Digital-Blamage nicht überall

Erwähnenswert erscheint mir in diesem Kontext, dass es nicht nur in Hinsicht auf die Bundesländer Unterschiede gibt, sondern es v.a. auch innerhalb der Bundesländer gravierende Unterschiede gibt. Während die finanzschwachen Ruhrgebietskommunen nicht einmal adäquate Renovierungen oder Schulbauten in die Planung nehmen können, geschweige denn die erforderliche digitale Infrastruktur, sieht dies beispielsweise in der Landeshauptstadt Düsseldorf völlig anders aus.
Hier betreibt vom Oberbürgermeister über das Schul- und Bauamt bis hin zu e-school die Stadt eine Infrastrukturpolitik, in der Bildung und damit der Bau und die Ausstattung von Schule Priorität genießen.
Angesichts
der drohenden Schulschließungen hat die Stadt in kürzester Zeit für Düsseldorf den Einkauf und die Zurverfügungstellung einer rechtskonformen Plattform beschlossen und den Schulen durch Absicherung in Haftungsfragen die Ausgabe digitaler Endgeräte an die Schüler ermöglicht. Es geht also - wenn die finanziellen Mittel bereitgestellt werden und das Bekenntnis zu Bildung großgeschrieben wird.
Wünschenswert wäre, wenn andere Kommunen und Länder sich daran ein Beispiel nähmen.
So gewinnt man Eltern, Lehrer und Schüler für sich und die Stadt.

#2 -

Mathias Magdowski | Fr., 20.03.2020 - 23:02
Dito. Auch in Magdeburg in Sachsen-Anhalt gibt es einige Schulen, die recht gut auf die digitale Bildung vorbereitet sind, z.B. das Stiftungsgymnasium der Stiftung Evangelische Jugendhilfe, siehe:
http://stiftungsgymnasium.de/konzept-1
und aktuelle Aktivitäten unter:
https://twitter.com/stejhgym

#3 -

Andreas Wittke | Sa., 21.03.2020 - 11:07
Toller Beitrag und ganz meine Gedanken. Ein Paradebeispiel ist auch BaWü, wo die Server unter der Last zusammengebrochen sind und jetzt tausende Moodle Installationen umziehen müssen, da es anscheinend keine skalierbare Cloud gibt. AWS und Co dürfen die Schulen ja nicht nutzen und deutsche Alternativen (GaiaX) gibt es nicht.
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Digitaler-Unterricht-Lernsystem-Moodle-startet-mit-Anlaufschwierigkeiten-4685075.html
Mir tun die ITler dort richtig leid. Unsinnigere Aufgaben gibt es wohl nicht und das alles dank jahrelangem Tiefschlaf, Datenschutz und dem Glauben an das perfekte Lernraumsystem.

Liebe Grüße aus dem Norden
Andreas

#4 -

Jan Hambsch | Sa., 21.03.2020 - 16:09
Lieber Andreas Wittke,

das stimmt so nicht ganz. Die neuen Server gibt es in BW schon eine Weile. Es waren allerdings noch nicht alle auf dem neuen Server und wurden gemächlich umgezogen. Dann hat man über das Wochenende als die Schließung feststand, für alle Schulen, die noch keins hatten, ein Moodle installiert. Bisher konnten Schulen das beantragen, mussten also aktiv werden. Die erhöhte Last machte es nun nötig, die Bestands-Mooodle schnell umzuziehen. Der Kritik, was die Cloudinfrastruktur angeht, stimme ich allerdings voll zu.

#6 -

Markus Müller | Mo., 27.04.2020 - 15:59
@#5:

Zoom zu nutzen, ist aus Sicht des Datenschutzes und der digitalen Souveränität eine ganz, ganz schlechte Idee.

Als amerikanische Firma unterliegt Zoom dem Patriot Act und dem CLOUD Act (vgl. https://www.heise.de/ix/artikel/Zugriff-auf-Zuruf-1394430.html und https://www.heise.de/select/ix/2018/7/1530927567503187). Und Zoom unterstützt keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, was bedeutet, die die Betreiber Zugriff auf die Klartext-Kommunikation haben.

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