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Da ist etwas angekommen

Das von der Bundesregierung finanzierte Aktionsprogramm "Aufholen nach Corona" hat viel Kritik auf sich gezogen. Umso mehr überrascht, dass viele Schüler und Eltern mit den Nachhilfe-Angeboten offenbar zufrieden sind.

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Artikelbild: Da ist etwas angekommen

Bild: zapCulture / Pixabay.

WAR "AUFHOLEN NACH CORONA" ein Reinfall? Eines steht fest: Die Ziele, wie sie das BMFSJF fast schon schmerzhaft blumig auf seiner Website beschreibt, wird das sogenannte "Aktionsprogramm" der Bundesregierung nicht erreichen: "Kinder und Jugendliche auf dem Weg zurück in ein unbeschwertes Aufwachsen zu begleiten und sie beim Aufholen von Lernrückständen zu unterstützen".

Würde das doch voraussetzen, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland (offenbar gemeint in ihrer Gesamtheit) vor der Pandemie unbeschwert aufgewachsen wären – und noch mehr, dass sie und ihre Familien derzeit nicht mit einem dramatischen Krankenhaus- und Medikamenten-Notstand konfrontiert wären, der sich in seinen Ausmaßen nur mit der langjährigen politischen Vernachlässigung ihrer Interessen erklären lässt. Was sollen daran zwei Aufhol-Milliarden ändern?

Hinzu kommt der Erzieher- und Lehrermangel, der nicht nur den Stress in den Familien hochhält, sondern auch das Aufholen der Lernrückstände auf Jahre hinaus unwahrscheinlich macht. So ließ Mecklenburg-Vorpommern vor Weihnachten bei Bedarf wieder verstärkt Distanz- oder Wechselunterricht ab Klasse sieben zu, "vorübergehend", wie es heißt – weil die hohen Krankenstände auf eine viel zu dünne Personaldecke treffen. Thüringens Bildungsminister wiederum brachte Hybrid-Unterricht als Instrument gegen den Lehrermangel in die Debatte. Denkbar sei, sagte Helmut Holter (Linke) laut MDR, dass ein Fachlehrer in einer Schule Physik unterrichte – und mehrere Klassen aus Schulen zugeschaltet seien, wo es nicht genügend Physiklehrer gebe.

Blickt man nüchterner auf die Zielsetzung des Programms, als es die PR-Leute des Bundesfamilienministeriums tun, fällt die bisherige Bilanz des Programms schon differenzierter aus. Was die Bildungsforscher, und das fast unisono, stört, ist das Fehlen klarer Vorgaben zur Mittelverwendung wie auch einer anschließenden Erfolgskontrolle in vielen Bundesländern. Von einer "enormen Heterogenität der Maßnahmen" sprach schon im Frühjahr Felicitas Thiel, Schulpädagogik-Professor

an der Freien Universität Berlin und Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK. Und sie fügte hinzu: Wirkungsanalysen könne man jetzt nicht mehr machen, "denn dafür hätte man vorab die Ziele genauer definieren und Erfolgsindikatoren festlegen müssen."

Weniger Lernlücken, weniger Sorgen?

Umso erstaunlicher ist, dass eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Telekom-Stiftung unter rund 1000 Schülern und 500 Eltern dem Aufholprogramm eine hohe Wirksamkeit bescheinigt. Befragt wurden sie im Herbst 2022 vom Instituts für Demoskopie Allensbach. Lediglich 12 Prozent der 10- bis 16-Jährigen nahmen demzufolge deutliche Lernlücken bei sich wahr, nach 27 Prozent im Vorjahr. Und während sich 2021noch 38 Prozent der Schüler Sorgen machten wegen der Rückstände, waren es diesen Herbst noch 17 Prozent. Jede/r zweite mit selbst berichteten Lernlücken unternehme heute aktiv etwas dagegen, berichtet die Stiftung – mehr als im vergangenen Jahr.

Dass es sich nicht nur um ein allmähliches Gewöhnen an die Lernlücken handelt, sondern mit der Unterstützung durch "Aufholen nach Corona" und ähnlich gelagerte Länderinitiativen angeht, zeigen die Rückmeldungen der Eltern. 63 Prozent geben an, von Aufholangeboten an den Schulen ihrer Kinder zu wissen, nur 16 Prozent sind sich sicher, dass es keine gegeben habe. Und zwei Drittel der Eltern berichten, dass ihr Kind vorhandene Angebote genutzt haben – wobei das laut den Kindern und Jugendlichen vor allem Zusatzaufgaben zum Selbstlernen zu Hause waren, Extra-Aufgaben während des Unterrichts, aber auch spezielle Vorbereitungsangebote für Arbeiten und Prüfungen, Förderunterricht und Arbeitsgemeinschaften.

Vielleicht am wichtigsten: 22 Prozent der Schüler und sogar 31 Prozent der Erwachsenen sagen, die Maßnahmen hätten "sehr" geholfen. 64 bzw. 59 Prozent sagen: "etwas". Enorm hohe Werte, wie sich die Kultusminister genau notieren werden, wenn das nächste Mal Vorwürfe kommen, sie hätten das "Aufholen nach Corona"-Geld nicht sinnvoll eingesetzt.

Klar ist allerdings auch: Die guten Umfragezahlen ersetzten keine Vorher-Nachher-Tests, die Bildungsforscher sich gewünscht, aber nicht bekommen hatten, um die Auswirkungen auf die Kompetenzen der Schüler durch das Hilfspaket objektiv messen zu können. Auch bleibt offen, welche zusätzlichen Effekte ein Programm gehabt hätte, das die Gelder nicht weitgehend per Gießkanne auf die Bundesländer und Schulen verteilt, sondern sich stärker auf sozial benachteiligte Kinder konzentriert hätte. Weshalb, vor allem auf Druck der Wissenschaftler, für das geplante "Startchancen"-Programm zwischen Bund und Ländern ein Abweichen vom üblichen Königsteiner Schlüssel diskutiert wird.

Alles zurück auf Anfang?

Neben vielen ermutigenden Ergebnissen hält die Telekom-Umfrage übrigens auch Ernüchterungen bereit. So berichtete ein Drittel der Schüler, dass digitale Medien in ihrem Unterricht genauso selten eingesetzt würden wie vor Corona. 44 Prozent antworteten, dass es nur noch "einige digitale Angebote" an ihren Schulen gebe. Weil das Verlangen nach Normalität so groß war, ist die didaktische Erneuerung trotz besserer technischer Ausstattung vielerorts ausgeblieben?

"Alles auf Anfang?!", fragte, sicher übertrieben, die Telekom-Stiftung. Zumindest aber schiene dies den Wünschen eines Teils der Schüler zu entsprechen: 50 Prozent votierten in der Umfrage für Unterricht ausschließlich in der Schule (von den Eltern sogar 69 Prozent), 55 Prozent wollten den Schulstoff weitgehend von den Lehrkräften vermittelt bekommen, 59 Prozent bevorzugten einen vorgeschriebenen Stundenplan statt einer eigenständigeren Zeiteinteilung. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass ein Jahr vorher, unter dem direkteren Eindruck der Corona-Schulschließungen, die Zustimmung zum traditionellen Unterricht sogar noch deutlich höher ausgefallen war. Die Aufgeschlossenheit für neues nimmt also schon wieder zu.

Weshalb das "4+1"-Modellprojekt, das Sachsen-Anhalt zu Beginn dieses Schuljahrs gestartet hat, fast schon wieder nach einer guten Idee klingt, weil es genau zu diesem Andersdenken anregt: Zwölf Sekundar- und Gemeinschaftsschulen, die sich freiwillig gemeldet hatten, sollten laut Bildungsministerium "mehr Flexibilität bei der Unterrichtsplanung und -durchführung" erhalten, Ablauf: vier Tage pro Woche Präsenzunterricht, ein Tag digitale oder hybride Unterrichtsformate. "Auch Phasen des selbst organisierten Lernens oder Besuche in Firmen oder Unternehmen, um den Schülerinnen und Schülern vor Ort Praxiswissen zu vermitteln, sind möglich", hieß es zu Schuljahrsbeginn.

Lehrerverbände sprachen im Sommer von einer "Bankrotterklärung" und der Einführung eines Sparmodell "auf leisen Sohlen", während die Leiterin einer Teilnehmerschule auf dem Deutschen Schulportal die Möglichkeit zur Unterrichtsentwicklung lobte. Als Mittel gegen den Lehrermangel sei "4+1" aber ungeeignet. Was das Modell wiederum mit "Aufholen nach Corona" gemeinsam hat.

Kommentare

#1 -

Dominik Esch | Mi., 04.01.2023 - 11:51
Mentoring hat sich als wirksames Instrument zum Schließen von Bildungslücken erwiesen: https://www.balu-und-du.de/fileadmin/user_upload/Factsheets/Factsheet_Wirkung.pdf

Die Corona-Hilfen aus dem Programm AUF!Leben jetzt boten den Umsetzungspartnern von Mentoringprogrammen die Möglichkeit eine feste Summe von 150 Euro monatlich für die Bereitstellung eines Mentoring-Tandems über dieses Aufholprogramm abzurechnen. Eine wichtige und wirksame Hilfe!

Es ist zu hoffen, dass Verantwortliche aus Bund, Land und Kommunen nach Wegen suchen, um die Monatspauschale für Mentoringprogramme in ihre regulären Haushalte zu übertragen.

Als Ansprechpartner empfehle ich den Bundesverband Soziales Mentoring unter vorstand@bundesverband-mentoring.social

www.balu-und-du.de ist dort Gründungsmitglied

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Dominik Esch
Vorstand
Balu und Du e.V.
Köln

#2 -

Jakob Wassink | Fr., 06.01.2023 - 23:22
Ich mag aus der Studie der Telekomstiftung keine Zuversicht ziehen zu können. Wenn ich mich richtig erinnere wurde ich durch das Allensbach-Institut nach meinem subjektiven Empfinden befragt. Ich wurde also gerade nicht nach meiner Kenntnis der Lehrpläne und diesbezüglicher möglicher konkreter Lücken beim eigenen Kind befragt. Gleichzeitig sehe ich, dass teilweise praktisch ganze Klassen schon in der Grundschule den Lernzielen hinterher hinken. Etwaige Lernlücken werden so verwischt bzw sehr wahrscheinlich an die weiterführende Schule, in die duale Berufsausbildung oder an die Hochschulen mitgeschleppt.

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