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Nach dem großen Knall

Sie hatten mit fast allen in der Wissenschaft geredet und monatelang gefeilt an ihrer WissZeitVG-Reform. Trotzdem ernteten BMBF und Ampelfraktionen mit ihrem Vorschlag einen Shitstorm. Jetzt ringen sie um die Schlussfolgerungen.

DIE ERLEICHTERUNG, ein paar Tage Zeit gewonnen zu haben, müsse jetzt sehr schnell von einem Plan abgelöst werden, sagte ein hochrangiger Ampel-Wissenschaftspolitiker Anfang der Woche. "Gerade weiß keiner so recht, wie es weitergehen wird."

 

Eine erstaunlich ehrliche Einschätzung der Lage kurz nach dem großen Knall. Nur 51 Stunden, nachdem Bundesforschungsministerin Bettina Stark Watzinger (FDP) am Freitagnachmittag die mit Spannung erwarteten BMBF-Eckpunkte zur Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) präsentiert hatte, zogen ihre Staatssekretäre diese am Sonntagabend schon wieder zurück. Wobei schon die Wahrnehmungen über das, was da eigentlich am Wochenende passiert ist, in der Koalition auseinandergingen. Und sogar darüber, ob das BMBF seinen Vorschlag überhaupt wirklich zurückgezogen habe.

 

Der Reihe nach. In der Wissenschaft gilt ein besonderes Arbeitsrecht, das länger als anderswo Stellenbefristungen erlaubt. Mit der Begründung, der wissenschaftliche Arbeitsmarkt diene vor allem der Ausbildung und Qualifizierung künftiger Forschergenerationen und müsse daher flexibel bleiben. Mit dem Ergebnis, dass bundesweit von allen hauptamtlich wissenschaftlichen Beschäftigten ohne Professur 81 Prozent auf einem Zeitvertrag sitzen. Und sogar von denen, die eine Promotion oder eine Habilitation vorweisen können, den sogenannten "Postdocs", sind es an den Unis 62 Prozent.

 

Gewerkschaften und Initiativen wie "#Ichbin Hanna" sprechen von einem Skandal – und haben in den vergangenen Jahren einen so starken öffentlichen Druck aufbauen können, dass die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag viel versprochen hat: "Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Post-Doc-Phase" vor allem und "Dauerstellen für Daueraufgaben" in der Wissenschaft. Mit anderen Worten: ein völlig neues WissZeitVG, in dem das besondere Arbeitsrecht für die Wissenschaft verbrieft ist. 

 

Ein selten gesehener
Beteiligungsprozess

 

Dass die so geschürten maximalen Erwartungen sie noch vor maximale Probleme stellen könnten, schwante dem BMBF und den Wissenschaftspolitikern von SPD, Grünen und FDP dann nach Regierungsantritt sehr schnell – woraufhin sie einen in dem Umfang bislang selten gesehenen, monatelangen Beteiligungsprozess aufgleisten. Ministerium und Ampel-Fraktionen veranstalteten zahlreiche "Stakeholder"-Konferenzen, sie luden Mitarbeiterinitiativen ein, Hochschulrektoren und die Direktoren von Forschungsinstituten, Hochschulforscher, Verbände und Gewerkschaften. Anschließend handelten BMBF und Abgeordnete in zahlreichen Berichterstatter-Gesprächen intern Kompromisse aus und schworen sich mühsam auf die gemeinsame Reformlinie für das neue Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein. Als diese endlich stand, ging Stark-Watzinger postwendend mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit. 

 

Vielleicht hofften manche auch, der Zeitpunkt der Bekanntgabe kurz vor dem Wochenende sei strategisch günstig gewählt gewesen, doch stattdessen schwoll eine Empörungswelle an, die alles Dagewesene in den Schatten zu stellen drohte. Nicht so sehr wegen "#IchbinHanna", das wie üblich auf Twitter sehr erfolgreich vor allem in der Postdoc-Szene mobilisierte. Sondern weil sich plötzlich auch hunderte Professoren per Offenem Brief und unter dem Hashtag "#ProfsfürHanna" mit den Protesten solidarisierten, darunter einflussreiche Intellektuelle wie Carlo Masala, Hedwig Richter, Armin Nassehi, die Ethikratvorsitzende Alena Buyx oder die Vorsitzende der wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats, Heike Solga. Das war die Entwicklung, mit der die Ampel offenbar nicht gerechnet hatte. Hektische Telefonate der Verantwortlichen folgten – und am Sonntagabend das öffentliche Zurückrudern.

 

Besonders der Plan, die befristete Einstellung von Postdocs künftig für drei statt sechs Jahre zu erlauben, verursachte Aufruhr. Während von Ministerin Stark-Watzinger nichts zu hören war, teilte ihr parlamentarischer Staatssekretär Jens Brandenburg um 17.58 Uhr auf Twitter mit: Man nehme die Diskussion "sehr ernst". Und: "Schon die Stakeholder-Beteiligung hat uns gezeigt, dass die Erwartungen hier weit auseinandergehen. Umso wichtiger ist es, diese Frage vor Fertigstellung des Referentenentwurfs noch einmal zu debattieren. Wir werden kurzfristig dazu einladen."

 

Ganz anders und gar nicht nach begrenzter Schadenskontrolle klang jedoch der Tweet, den Brandenburgs Kollegin, die beamtete BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring 14 Minuten später absetzte. "Mein Fazit zu den Reaktionen", schrieb sie: "Ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessengruppen wird es nicht tun. Wir brauchen eine neue geteilte Vision."

 

Widersprüchliche Botschaften
aus dem BMBF?

 

Ja, was denn nun? Nur eine kurze Extra-Runde im "Stakeholder-Prozess" bei ansonsten weiter geltenden Eckpunkten? Oder ein ganz neuer Anlauf, womöglich, wie ein seit Sonntag kursierendes Szenario lautete, sogar unter Einbeziehung des Wissenschaftsrats? 

 

Im BMBF versuchten sie am Montag als erstes, den Eindruck zu zerstreuen, Döring und Brandenburg hätten widersprüchliche Botschaften gesendet. Beides sei doch denkbar: Bei den weniger umstrittenen Reformbestandteilen eine rasche Einigung unter maximal leichter Modifikation der BMBF-Vorschläge, bei der Postdoc-Frage dagegen womöglich der Einstieg in die Suche nach der neuen geteilten Vision, die Döring beschwor. 

 

Tatsächlich? Die Diskussionsrunde, die Jens Brandenburg dann am Mittwoch, wiederum per Twitter, für nächste Woche Donnerstag ankündigte, soll sich ausschließlich um die eine Frage drehen, wo die Gegensätze besonders groß waren. "Wie angekündigt wollen wir die Frage der Höchstdauer der PostDoc-Qualifizierungsbefristung vor Erstellung des Referentenentwurfs noch einmal diskutieren", schrieb Brandenburg. Dazu habe man "Vertreter/-innen der Gewerkschaften, Beschäftigteninitiativen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen" eingeladen. Das Neue: Die Diskussionsrunde soll live gestreamt werden. 

 

Statt dem Start der gemeinsamen Suche nach einer neuen geteilten Vision also doch nur eine weitere, wenn auch abgeänderte "Stakeholder"-Runde. Dabei hatten sich einige Ampelpolitiker nach Sonntag intern konsterniert gezeigt, wie kurz man mit der öffentlichen Verteidigung des über Monate erarbeiteten Papiers durchgehalten hatte. Wieso, fragten sie, sollte nach dem Knall ausgerechnet die nächste Diskussionsrunde eine Lösung bringen, anstatt zu einem neuen Shitstorm zu führen? Und wenn der komme, auf welcher Grundlage wolle man den dann durchhalten?  

 

Rufe nach dem
Wissenschaftsrat

 

Zu weit auseinander scheinen die Forderungen etwa der Hochschulrektorenkonferenz (drei Jahre Befristung seien "deutlich" zu kurz), die diese erst am Dienstag bekräftigt hat, und von "#IchbinHanna" (Postdoc-Befristung überhaupt nur noch, wenn im Anschluss eine Dauerstelle zugesagt ist). Und die mittlerweile 1700 "#ProfsfürHanna" sind sich zwar in der Ablehnung der BMBF-Eckpunkte einig, aber wollen sie deshalb alle automatisch das, was "#IchbinHanna" fordert?  

 

Verschiedene Beschäftigten-Initiativen, Verbände und Gewerkschaften haben inzwischen zur "Kundgebung gegen die Neuauflage des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes" diesen Freitagvormittag vor dem Berliner BMBF-Dienstsitz aufgerufen. Eine der "#ProfsfürHanna"-Erstunterzeichnerinnen, die Münchner Soziologieprofessorin Paula-Irene Villa Braslavsky, twitterte daraufhin: Wer von den "#ProfsfürHanna bei der Demo sprechen wolle: "nur zu. ALLERDINGS: im eigenen Namen, niemand spricht für uns alle."

 

Hinzu kommt: Es spricht vieles dafür– und viele warnten in den vergangenen Tagen erneut davor –, dass gleich welche Reform des Gesetzes durch den Bund scheitern wird, solange die Länder keine zusätzlichen Dauerstellen vorschreiben und finanzieren – und die Hochschulen nicht ihre Karrieresysteme grundsätzlich ändern. 

 

Weshalb, so scheint es, die Koalition und vor allem die zuletzt auffallend stille (allerdings auch nach Taiwan gereiste) Ministerin Stark-Watzinger sich am Ende werden durchringen müssen. Zu der Erkenntnis, dass sie nach aller Partizipation die Novelle doch gegen Proteste und per Machtwort werden durchziehen müssen. Alternativ bliebe ihnen nur der Mut zum grundsätzlich neu Denken, der bei Staatssekretärin Döring am Sonntag bereits durchschien. Der Mut, die Debatte vielleicht sogar in ganz neue Hände zu geben. Womöglich könnte ja auch genau das Ergebnis der BMBF-Diskussionsrunde nächste Woche sein. 

 

Tatsächlich nehmen die Stimmen zu, die in diese Richtung plädieren. "Ohne Einbindung der Länder kommen wir zu keinem guten Ergebnis", kommentierte Kristin Eichhorn von "#IchbinHanna" am Mittwoch. Den Wissenschaftsrat einzubinden, sei "eine gute Lösung und konstruktive Debatten unabdingbar! Denn wir brauchen dringend eine, die mehr als der Status quo ist." Der Wissenschaftsrat, so ist unterdessen zu hören, könnte bereitstehen.

 

Dieser Artikel erschien heute auch im Tagesspiegel.


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Kommentare: 2
  • #1

    Friedhelm Nonne (Donnerstag, 23 März 2023 13:23)

    Mehr Mut wäre wirklich nötig. Für die Promotionsphase wird faktisch nur der unbefriedigende Status quo fortgeschrieben, und was sich die Urheber*innen bei der Absenkung der Höchstbefristungsgrenze für Postdocs gedacht haben, versteht niemand. Dieser schlechte Kompromiss gehört eingestampft. Die Staatssekretärin Döring scheint es begriffen zu haben. Vielleicht könnte sie sich um die von ihr angemahnte Vision kümmern! Die von Jens Brandenburg angekündigte öffentliche Debatte am nächsten Donnerstag wird nichts bringen, da werden nur die sattsam bekannten Positionen wiederholt.

  • #2

    Skeptiker (Donnerstag, 23 März 2023 13:34)

    Ob der Wissenschaftsrat hier die richtige Adresse ist, muss sich zeigen. Wegen der sakralen Aura dieser Instanz wird oft vergessen, dass es in den 1980er Jahren der Wissenschaftsrat höchst selbst war, der "großzügige" Befristungsregeln für den sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchs gefordert hat. Er ist also in gewissem Sinne selbst Urheber der heutigen Lage und hat sich in der rezenten Debatte bisher sehr zurückgehalten - das könnte natürlich daran liegen, dass seine Mitglieder einer anderen Statusgruppe angehören als die vom WissZeitVG unmittelbar Betroffenen.