"Es geht um Macht"
Wissenschaft – eine heile Welt? Von wegen, sagt die Bildungsforscherin Lisa Niendorf alias "FrauForschung". Die Forschung verstehe nur, wer sich mit der sozialen Ungerechtigkeit des deutschen Wissenschaftssystems auseinandersetzt. Ein Interview über Universitäten zwischen Exzellenz, Ausbeutung und Diskriminierung.
Lisa Niendorf ist Erziehungswissenschaftlerin und an der Humboldt-Universität Berlin Dozentin für besondere Aufgaben. Auf Social Media firmiert sie als "Frau Forschung" und teilt ihre "Erfahrungen als queere Dozentin, Promotionsstudentin und Wissenschaftlerin" und macht "mit authentischen Stories aus dem Hochschulalltag Hochschule nahbar". Ihr Buch "UNIversal gescheitert" hat es in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft.. Foto: Frederik A.
Frau Niendorf, Ihr Buch "UNIversal gescheitert? Wissenschaft und Hochschule zwischen Machtmissbrauch, Leistungsdruck und Ausbeutung – was wir dagegen tun können" hat direkt nach Erscheinen die SPIEGEL-Bestsellerliste erreicht.
Ja, das ist wirklich ungewöhnlich – fast schon einmalig –, dass ein Buch über die Universität so eine Resonanz findet. Im selben Jahr erschien zwar auch das Buch einer Juraprofessorin, die behauptet, Studierende seien dumm und faul. Doch inhaltlich könnten unsere Bücher nicht unterschiedlicher sein. Umso schöner finde ich, dass viele meine Herangehensweise interessant finden. Ein mit mir befreundeter Uniprofessor sagte: "Ich habe es dir gewünscht, Lisa – aber nicht erwartet, das Thema ist doch zu nischig." Dass trotzdem tausende Menschen dieses Buch lesen, ist ein starkes Signal – an Bildungsverwaltung, Hochschulleitungen und Politik –, dass diese Themen wichtig sind.
Für wen ist das Buch eigentlich gedacht? Man findet darin auch Erklärungen von Begriffen oder Hintergründe, die Insider nicht brauchen würden. Wollten Sie von Anfang an ein breiteres Publikum ansprechen?
Richtig. Ich trage in mir auch die Rolle der Wissenschaftskommunikatorin. Mir war wichtig, einen gesellschaftlichen Diskurs darüber anzustoßen, wie die Arbeitsbedingungen an Hochschulen sind – etwas, das bislang kaum bekannt ist. Viele Menschen außerhalb des Systems haben ein idealisiertes Bild davon, was es heißt, in der Wissenschaft zu arbeiten. Damit wollte ich brechen und das Buch so schreiben, dass es auch die Tante von nebenan oder die Oma versteht – zum Beispiel, wenn sie sich fragt, warum ihre Enkelin so unter der Promotion leidet. Das größte Kompliment kam von Menschen außerhalb der "Scientific Community", die sagten: "Du hast mich abgeholt, ich verstehe jetzt, warum soziale Ungerechtigkeit ein wichtiger Schlüssel ist, um Wissenschaft und Hochschule zu begreifen." Genau das wollte ich erreichen.
Sie sagen, viele sähen die Wissenschaft idealisiert. Es gibt aber auch Menschen, die sie als abgehoben und weltfremd empfinden. Haben Sie auch an die gedacht – oder sind die für Ihre Form der Wissenschaftskommunikation ohnehin verloren?
Auch diese Gruppen idealisieren in gewisser Weise die Bedingungen in der Wissenschaft – sie wissen schlicht nicht, wie Forschung und Lehre tatsächlich funktionieren. Genau ihnen wollte ich einen Einblick geben. Gleichzeitig habe ich mir beim Schreiben oft Sorgen gemacht, ob meine Kritik am System nicht missverstanden werden könnte – ob sie nicht jenen Kräften in die Hände spielt, die Wissenschaft ohnehin unter Beschuss nehmen. Wenn man aufzeigt, wie Wissenschaft an ihren eigenen Strukturen zu scheitern droht, kann das auch als Einladung verstanden werden, diese Strukturen gezielt zu schwächen. Dieses Spannungsfeld war für mich schwer auszuhalten.
Nachvollziehbar. Umgekehrt könnte man sagen: Wenn die Wissenschaft nicht über ihre eigenen Schwächen spricht und sie selbst angeht, tun es andere – und zwar jene, von denen wir uns das nicht wünschen.
Genau. Ich hoffe, dass das Buch dazu beiträgt, das System resilienter zu machen – weil die Probleme nun auf dem Tisch liegen, bei denen, die sie sehen und noch handeln können. Bevor es andere tun, deren Ziele wir später kaum mehr rückgängig machen können.
Das Buch ist sehr persönlich geschrieben, mit vielen biografischen Bezügen. Wie viel eigene Erfahrung steckt darin?
Es ist persönlich, aber keine Autobiografie. Eigene Erfahrungen habe ich nur dort eingebracht, wo sie helfen, Strukturen verständlich zu machen.
Ging es Ihnen wirklich nur um den gesellschaftlichen Diskurs oder auch um eine persönliche Verarbeitung – vielleicht von Frust im eigenen System?
Die Geschichte ist etwas länger, aber ich fasse sie kurz. Während der Corona-Pandemie begann ich auf Twitch mit Study-Streams, um Einsamkeit zu durchbrechen. Hunderte schauten zu, viele baten um Hilfe bei Hausarbeiten. So entstanden kurze Erklärvideos, erst auf Twitch, dann auf TikTok und Instagram – unter dem Pseudonym "FrauForschung". Mit wachsender Reichweite sprach ich zunehmend über Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Ich selbst wurde 2021 entfristet – ein Sonderfall, gehöre ich als Wissenschaftlerin ohne Promotion unter 35 Jahre zu den 0,4 Prozent mit unbefristetem Vertrag. Dadurch erkannte ich, wie privilegiert ich bin – und wie viele Kolleg:innen prekär leben. Diese Stimmen wollte ich verstärken. Ohne Social Media hätte ich vieles gar nicht verstanden; ich hätte wohl gedacht: "Uns geht’s doch allen ganz gut." So aber begann ich, mich systematisch einzuarbeiten – und zu begreifen, dass auch meine eigenen Erfahrungen Teil eines strukturellen Problems waren.
"Hätte ich das Buch noch in einem befristeten Vertrag geschrieben,
wäre mein Vertrag wohl nicht verlängert worden."
Diese ungewöhnliche Entfristung – oder umgekehrt: die gewöhnliche Befristung –, sehen Sie die als den Kern des Problems? Können zu wenige Menschen in der Wissenschaft kaum frei sprechen, weil sie um ihre nächste Stellen-Verlängerung bangen??
Ich vermute ja. Hätte ich das Buch noch in einem befristeten Vertrag geschrieben, wäre mein Vertrag wohl nicht verlängert worden, letztlich weiß ich es aber nicht. Zudem sind Hochschulen in meinen Augen vielfach pseudodemokratisch: Die Gremienprozesse sind vielfältig, doch die Stimmen der nichtprofessoralen Mitarbeitenden haben kaum Gewicht. Viele wagen es deshalb nicht, Kritik zu äußern oder sich gewerkschaftlich zu engagieren – aus Angst, dass es ihnen negativ ausgelegt wird. Viele, die mir schreiben, tun das per Direktnachricht, nicht öffentlich – aus Angst, ihren Vertrag zu verlieren. Meiner Beobachtung nach gibt es eine enorme Dunkelziffer von Menschen, die sich nicht trauen, etwas zu sagen.
Ihr Buch behandelt viele Themen – von Exzellenz über Machtmissbrauch bis Diskriminierung. Kann man es auf einen gemeinsamen Nenner bringen?
Ja. Es geht um Macht. Jedes einzelne Kapitel trägt eigentlich diese Überschrift.
Wie würden Sie die Machtverhältnisse an Hochschulen beschreiben?
Im Kern geht es um Deutungshoheit. Unser System nährt sich aus der Deutungshoheit weniger mächtiger Personen – und diese Personen sind in der Regel weiße Männer des globalen Nordens. Wissenschaft, so wie wir sie kennen, ist von dieser Perspektive geprägt. Sie definiert, was als Wissen gilt und wer dazugehört, wer Zugang bekommt, wer gefördert wird und wer bleibt – und wer eben nicht. Menschen mit Behinderung, chronisch Erkrankte, Frauen, People of Color, Schwarze oder queere Menschen finden sich kaum auf Professuren wieder. Das System reproduziert seine eigene akademische Elite. Vielleicht ist es etwas durchlässiger geworden, aber diese Deutungshoheit prägt weiterhin das gesamte Hochschulleben.
Prägt das auch unseren Exzellenzbegriff?
Ja. "Exzellenz" folgt männlich konnotierten Normen: Durchsetzungsvermögen, Präsenz, Arbeit bis in die Nacht – möglich meist ohne Care-Verantwortung. Wenn Frauen sich "durchsetzungsfähig" zeigen, werden sie häufig nicht als kompetent, sondern als "emotional" oder "schwierig" wahrgenommen.
Ebenfalls in der Corona-Zeit ist die "#IchbinHanna"-Initiative entstanden. Spricht deren Erfolg nicht doch dafür, dass sich das Wissenschaftssystem in einem tiefgreifenderen Wandel befindet?
Ich würde meinen Bucherfolg auch auf "#IchbinHanna" zurückführen, weil ich auf sehr fruchtbarem Boden säen konnte. Für mich ist "#IchbinHanna" so wichtig, weil die Deutungshoheit erstmals kollektiv verschoben wurde – hin zu der Einsicht: Nicht wir sind das Problem, sondern das System. Dieses Gefühl, mit den eigenen Erfahrungen nicht allein zu sein, war und ist enorm ermächtigend. Neue Netzwerke, etwa gegen den Machtmissbrauch in der Wissenschaft, entstanden, Menschen wie Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon drängen seit Jahren unermüdlich auf Veränderung. Politisch erlebe ich dagegen überwiegend Symbolik; Substanzielles hat sich seither leider wenig bewegt – was enttäuschend ist und von den Genannten auch klar benannt wird.
"#IchbinHanna" wird nur ausgehalten, während die Politik weitermacht wie bisher?
Die Macht liegt im Kollektiv: Man erkennt sich in anderen wieder. Dieses Gefühl, nicht allein zu sein, ist ermächtigend – und macht Mut, aufzustehen. Ich bekomme Nachrichten von Wissenschaftlerinnen, die Missstände melden, oder Studierenden, die sich trauen, sich zu bewerben. Transparenz schafft Handlungsspielräume.
"Bei einem Fachgespräch auf Bundesebene erlebte ich, dass das Problem des Machtmissbrauchs klar benannt wird.
Ideen zur Reduktion von Machtkonzentration liegen auf dem Tisch."
Transparenz ist Macht?
Ich bin grundsätzlich optimistisch – vielleicht auch etwas naiv –, aber ja: Ich glaube daran. Ich sehe engagierte Menschen und die Wirkung von Social Media. Allein die spürbare Angst mancher Entscheidungsträger vor meiner großer Reichweite zeigt mir, dass ich wirke. Denn auch ich habe Macht und ich muss stets reflektieren, wie ich sie verantwortungsbewusst einsetze. Damit gehe ich auf Social Media transparent um und binde meine Follower:innen in meine Reflexionsprozesse ein. Was mir Mut macht: Bei einem Fachgespräch auf Bundesebene erlebte ich, dass das Problem des Machtmissbrauchs klar benannt wird. Ideen zur Reduktion von Machtkonzentration liegen auf dem Tisch. Ich hoffe, dass daraus auf Bundesebene echte Handlungsmöglichkeiten entstehen. Und apropos Macht. Wir sind angehalten eines stärker zu sehen: Schwarze Menschen sprechen seit jeher über Machtmissbrauch. Wir aber reden erst mehr darüber, seit sich weiße Menschen in weißen Institutionen betroffen fühlen. Wenn ich auf Panels eingeladen werde, frage ich: "Schaut mal aufs Podium – wir sind alle weiß. Ist das nicht absurd, wenn wir über Machtmissbrauch sprechen?"
Werden Sie inzwischen auch aktiv von Hochschulleitungen kontaktiert? Suchen Rektor:innen den Austausch – wie bei Amrei Bahr?
Kaum. Ich trete auch anders auf als Amrei Bahr: provozierender, direkter, ich nutze Memes und Trends. Sage Diggi und Bro. Dadurch schaffe ich eine Identitätsfläche für junge Wissenschaftler:innen, aber Hochschulleitungen können damit vielleicht wenig anfangen, sehen darin vielleicht eine Verletzung der akademischen "Etikette". Insofern: Nein, bisher kaum – auch nicht in meinem unmittelbaren Umfeld. Dabei würde ich den Austausch sehr schätzen und kann unterschiedliche Rollen bedienen.
Angenommen, eine Präsidentin meldet sich und fragt: "Was kann ich im Rahmen des Möglichen besser machen? Ich kann ja nicht alles neu bauen." Was würden Sie ihr raten?
Erstens würde ich ihr sagen: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz verbietet Entfristungen nicht. Es hindert Sie also nicht daran, zu entfristen. Zweitens: Führen Sie verpflichtende Fortbildungen für alle mit Personal- und Lehrverantwortung ein – zur Sensibilisierung für die eigene Verantwortung im Umgang mit anderen und zur Prävention sexualisierter Gewalt. Drittens: Bauen Sie Machtkonzentrationen in der Führung von Hochschule und Gremien ab, prüfen Sie die Einführung von Departmentstrukturen. Viertens: Trennen Sie die Betreuungs-, Bewertungs- und Vorgesetztenrolle. Fünftens: Institutionalisieren Sie den Austausch mit den Studierenden. Deren Perspektiven kommen in der Debatte zur Hochschulentwicklung noch viel zu kurz.
Viele Ihrer Vorschläge klingen nicht radikal, sondern sind in vielen anderen Wissenschaftssystemen Normalität.
Und genau das ist so bitter.
Wir haben viel über Macht gesprochen. Das zweite große Thema im Bildungs- und Wissenschaftsbereich ist der offensichtliche Generationenkonflikt: eine alternde Gesellschaft, deren Prioritäten weniger Richtung Zukunft und Innovation, mehr Richtung Statuserhalt gehen. Mit Folgen für die Bildungsfinanzierung?
Die schwache Lobby junger Menschen ist ein zentrales Problem. Politik denkt oft kurzfristig – "durch diese Phase kommen" –, statt langfristig zu investieren. Das zeigt sich auch im Wissenschaftssystem: Befristungen, Drittmittelprojekte, Flickenteppiche. Deutschland ist gut darin, Flicken zu setzen, aber schlecht darin, Neues zu weben. Aber unterschätzen wir nicht die Macht von Social Media. Junge Menschen finden sich dort, starten Petitionen, machen Missstände sichtbar – das ist unsere kleine Superkraft, um Solidarität zu organisieren.
"Wenn Politik beginnt, einzelne Wissenschaftsbereiche zu delegitimieren,
stellt sie damit die Wissenschaft als Ganze infrage."
Der gesellschaftliche Trend scheint aber gerade in die Gegenrichtung zu gehen. Bereiche wie die Genderforschung oder Postcolonial Studies haben politisch kaum noch Lobby und geraten unter Druck von Rechtsaußen.
Das ist gefährlich. Gerade diese Disziplinen hinterfragen bestehende Machtlogiken und werden deshalb zuerst attackiert. Soziologie, Queer Theory, Gender Studies – ihre Erkenntnisse stellen infrage, was derzeit als selbstverständlich gilt. Ob in den USA oder hier bei uns: Wenn Politik beginnt, einzelne Bereiche zu delegitimieren, stellt sie damit die Wissenschaft als Ganze infrage. Zumindest setzt sie diesen Prozess in Gang.
Viele Jahre lang galten etwa "Exzellenz" und "Diversität" in vielen Chefetagen der Wissenschaft als Gegensätze. Eine Zeitlang schien sich das zu ändern, Bekenntnisse zur Diversität als Voraussetzung von Innovation und Kreativität waren auch an den Hochschulen allgegenwärtig.
Diversität wurde oft dann betont, wenn sie nützlich war. Etwa als Rekrutierungsstrategie, als vielerorts die Studierendenzahlen runtergingen. In Wahrheit bleibt vieles unsichtbar: mentale Gesundheit, queere Identität, Behinderung, die Herkunft aus einer Nichtakademiker-Familie. Hochschulen erheben dazu kaum Daten zu diesen "Hidden Identities". Mehr Befragungen würden zeigen, wie vielfältig die Realität ist. Solange wir das Unsichtbare unsichtbar lassen, bleibt die Fassade weiß und normiert.
Haben Sie konkrete Tipps, was jede:r tun kann, um Hochschulen und Wissenschaft im Alltag menschlicher zu machen?
Zwei Dinge. Erstens, zu "Hidden Identities": Studien zeigen, dass schon eine Minute zu Beginn einer Lehrveranstaltung reicht, um eine eigene "verborgene" Identität anzudeuten – etwa: "Ich kenne Angststörungen und Panik und ich weiß, wie sehr es das akademische Leben erschweren kann. Meine Tür steht jederzeit offen." Studierende berichten dann unter anderem von einem stärkeren Zugehörigkeitsgefühl und mehr Zuversicht in die Entscheidung, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. Zweitens: Wertschätzung. Sie wird an Hochschulen künstlich verknappt und als "nice to have" abgetan. Dabei ist sie arbeitspsychologisch eine Ressource: Sie verbessert Wohlbefinden, Gesundheit, Motivation, Leistungsbereitschaft. Wertschätzen heißt, den Wert der Person anzuerkennen – nicht nur die Leistung nach eigenen Maßstäben. Das beginnt bei uns selbst: Was habe ich heute gut gemacht? Worauf bin ich stolz? Wofür bin ich dankbar? Wer sich selbst wertschätzt, kann auch andere leichter wertschätzen. Und dann – davon bin ich überzeugt – werden wir in der Wissenschaft deutlich freundlicher miteinander umgehen.
"Ich will auf jeden Fall meine Promotion abschließen –
mein Betreuer wartet schon sehnsüchtig."
Wie geht es für Sie persönlich weiter, Frau Niendorf?
Das frage ich mich gerade selbst. Mein Arbeitsalltag fordert mich: 120 Studierende, viel Lehre – die liebe ich und sehe mich weiter darin, gern unter besseren Bedingungen. Und wenn ich mich doch umsehen möchte: Zwar habe ich eine unbefristete Stelle – aber ich "verstopfe" sie zugleich, weil es kaum unbefristete Optionen ohne Promotion gibt, die für mich attraktiv wären. Selbst mit Promotion sieht es schlecht aus. Und als Professorin sehe ich mich nicht in diesem System. Vielleicht mache ich mich irgendwann komplett selbstständig oder gründe später ein Transferinstitut, das Forschung in die Praxis bringt – das wäre ein großer Traum. Ich will auf jeden Fall meine Promotion abschließen – mein Betreuer wartet schon sehnsüchtig. Zwei Artikel fehlen noch; daran arbeite ich jetzt.
Worum wird es in den beiden Artikeln gehen?
Darum, ob Social-Media-Kanäle wie meiner die Sozialisationsnachteile von Erstakademiker:innen ausgleichen können – also Nähe, Selbstwirksamkeit und Zugehörigkeit stärken. Erste Beobachtungen sprechen dafür. Jetzt läuft die Datenerhebung und ich hoffe, bald Antworten zu haben. Und wenn ich das fertig habe, dann schreibe ich vielleicht ein zweites Buch, dann aber als Dr. Lisa Niendorf.
Dieses Interview erschien in kürzerer Fassung zuerst im Tagesspiegel.
Kommentare
#4 - Upsss...
Upsss ... schon ein Tag online und noch kein Kommentar - die schweigende Mehrheit der Academia? 😁
Herzlichen Dank für Ihr Engagement, Lisa Niendorf (und auch an Herrn Wiarda).
Ihr Buch ist der erste Spiegel-Bestseller, den ich seit langem gelesen habe UND den ich absolut weiterempfehlen kann! Danke dass Die mit all Ihren Engagement der großen Thematik Macht und Machtmissbrauch im Forschungsbetrieb soviel Sichtbarkeit verschaffen.
Da eine solch komplexe Thematik, von unterschiedlichen Standpunkten aus betrachtet, immer auch vielfältige Facetten eröffnet, will ich kurz ein paar Facetten, die mir wichtig sind, herausstreichen:
- es wird, zu Recht, viel auf sichtbare Strukturen des Systems hingewiesen und auf deren Veränderung gedrängt; das Wissenschaftssystem ist jedoch hochgradig durch nicht sichtbare, nicht in Organigrammen festgeschriebenen Strukturen bestimmt; nirgendwo sonst spielen Netzwerke eine solch große Rolle wie in Academia und es sind nicht immer die Personen an der Spitze der Organisation, die Entscheidungen maßgeblich bestimmen.
- wegen dieser Netzwerke von "Amigos" (in Bayern?) bzw "Buddies" wenden sich von Machtmissbrauch betroffene meist auch lieber an externe Anlaufstellen (das Netzwerk MaWi hatten Sie erwähnt - Danke dafür) als an interne (durchaus meist integere) Gremienvertreter:innen, weil eine mögliche Verbindung zu der Person, über die man sich beklagen möchte, nicht ausgeschlossen werden kann.
- aus diesem Grund bin ich persönlich auch sehr skeptisch, Machtmissbrauch durch einen Wechsel hin zu einem Departmentsystem (das aus andern Gründen zu begrüßen wäre) beikommen zu können; in Departmentsystemen wird n.m.E. die Bedeutung informeller Netzwerke noch mehr verstärkt; und Machtmissbrauch ist z.B. an US Institutionen mit solcher Struktur durchaus auch ein Thema.
Und seien Sie nicht enttäuscht, dass sich noch kein:e Unipräsident:in bei Ihnen gemeldet hat. Vermutlich besteht die Sorge, dass Sie sich die Deutungshoheit nicht nehmen lassen werden 😁 ... und das ist gut so! Je aktiver die Universitäten das Thema für sich reklamieren, umso stärker wird es auch im Sinne des Systems instrumentalisiert.
Daher nun auch mein letzter Punkt: es braucht eine mit starken Kompetenzen ausgestattete externe Kontrollinstanz, da Academia in punkto Machtmissbrauch nicht in der Lage sich selbst zu kontrollieren.
Dennoch - Zitat (weiß gerade nicht mehr von wem) "Wo Macht zum Thema wird, beginnt ihr Zerfall" (oder so ähnlich) - also weiter so Lisa Niendorf!!!
#5 - Interessant, aber...
...wieso wird der Topos von "verstopften Stellen" am Ende bedient? Der führt m.E. in die Irre und ist eine Ausrede, um im System nicht mehr entfristete Stellen schaffen zu müssen.
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