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1.000 Köpfe, 600 Millionen, ein Signal an die Welt

Kurz vor Weihnachten zieht das BMFTR mit großem Bahnhof Zwischenbilanz seiner neuen "Global Minds Initiative". Auch nüchtern betrachtet könnte das Programm den hochfliegenden Erwartungen gerecht werden.
BMFTR

Gruppenbild und großer Bahnhof: Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (vierte von links), die Chefs von DAAD, AvH und DFG – und einige der "1000 Köpfe". Ganz rechts: Karen Christman aus den USA. Foto: JMW.

KAREN CHRISTMAN spricht über Herzen. Über Biomaterialien, die Entzündungen lindern, geschädigtes Gewebe stabilisieren und vielleicht eines Tages dabei helfen, einen Herzinfarkt besser zu überstehen. Die Professorin für Biomedizintechnik von der University of California in San Diego steht kurz vor Weihnachten in Berlin auf einer Bühne, vor Kameras und Mikrofonen, und erzählt davon, warum sie ihre Forschung für einige Jahre nach Deutschland verlagert hat. "Berlin ist mit der Charité ein großartiger Knotenpunkt", sagt sie, ein Ort, an dem starke Grundlagenforschung und klinische Anwendung zusammenkommen – und eine Regierung, "die Wissenschaft und Technologie finanziert".

Christman gehört zu den ersten internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Deutschland über das neue "1.000-Köpfe-Plus-Programm" ins Land geholt hat. Die Idee hinter dem Programm stammt aus dem schwarz-roten Koalitionsvertrag. "Wir erhalten Deutschland in Zeiten globaler Polarisierung als attraktives Zielland und sicheren Hafen", hieß es da. Tatsächlich waren die "1.000 Köpfe" sogar die allererste wissenschaftspolitische Maßnahme, die der Koalitionsvertrag nennt. Ein Förderprogramm als Statement für die Wissenschaftsfreiheit und als Einladung an exzellente Forschende aus aller Welt, ihre wissenschaftliche Zukunft in Deutschland zu planen.

Entsprechend groß sind die Ambitionen, entsprechend groß ist auch der Bahnhof, den das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) für seinen Pressetermin betrieb. Drei Geförderte berichten von ihren Erfahrungen auf der Bühne, drei weitere stehen im Saal für Interviews bereit. Dazu kommen die Präsidenten der drei Wissenschaftsorganisationen, die das neue Förderinstrument administrieren sollen: Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Deutsche Forschungsgemeinschaft und DAAD. Und mittendrin Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU), die verkündet: "Bei uns hat Freiheit einen Platz, bei uns haben Exzellenz und Leistung einen Platz."

Für Bär gehört dazu auch die internationale Lesbarkeit des Programms. "Wir haben schon festgestellt – oder für mich ist es so –, dass ich unseren englischen Namen Global Minds Initiative auch ein bisschen schöner finde", sagt sie. "Er trifft auch den Kern ein bisschen besser, auch wenn ich sehr für die deutsche Sprache bin."

Inzwischen passt auch die Finanzierung zu dem Anspruch. Als Bär im Sommer den Programmstart verkündete, war das durchaus forsch, denn zu dem Zeitpunkt hatte sie noch gar keinen Haushaltseuro sicher. Für 2025 gab es dann zunächst 27 Millionen, doch in den vergangenen Monaten sammelte sich Bär Zug um Zug die Gelder zusammen. Erst sollten es bis 2029 227 Millionen werden, finanziert aus dem Normalhaushalt, dann kamen weitere 375 Millionen aus dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität dazu.

Vom Koalitionssignal zum realpolitischen Statement

"Über 600 Millionen Euro" werde die Bundesregierung jetzt insgesamt investieren, erklärte die Ministerin. "Mehr als jedes andere Land in Europa, auch mehr als die EU-Kommission mit ihrem Programm Choose Europe for Science." Über 600 Millionen, das ist nach dem programmatischen Signal des Koalitionsvertrags das realpolitische Statement, das es gebraucht hatte.

Dabei ist die Initiative kein einzelnes neues Förderformat, sondern ein Dach. Es bündelt und verstärkt zum großen Teil bestehende Instrumente der Humboldt-Stiftung und der DFG – von Forschungsstipendien über Preise bis hin zu Professuren für internationale Spitzenforscher. Ein schlauer Schachzug, der zeigt, dass das Aufsetzen politischer Prestigeprojekte und förderpraktischer Kontinuitäten nicht im Widerspruch stehen müssen.

Der DAAD entwickelt ergänzend eine neue Förderlinie für Hochschulen, die internationale Talente für Hightech-Master- und Promotionsprogramme gewinnen und halten wollen. Daher auch das "Plus" im Namen der Initiative, die im Koalitionsvertrag nur unter "1.000 Köpfe" lief. Das "Plus" signalisiert zugleich, dass es durch die umfangreiche Finanzierung am Ende wahrscheinlich weit mehr als 1.000 Geförderte geben wird.

Die Zielrichtung ist doppelt: individuelle Karrieren ermöglichen und zugleich strukturelle Effekte erzeugen. Dazu gehören etwa die Alexander-von-Humboldt-Professuren mit eigens für die "1.000 Köpfe" auf bis zu zehn Millionen Euro und sieben Jahren Laufzeit aufgestocktem Förderumfang. Außerdem gibt es zusätzliche Professuren in DFG-geförderten Forschungsverbünden. 

166 Geförderte, 90 Prozent Lebenswissenschaften und MINT

Neu hinzu kommen die Humboldt Research Professorships, mit denen Forschende für eine bestimmte Zeit nicht nur selbst nach Deutschland kommen, sondern gleich eine Arbeitsgruppe aufbauen können. "Wir fördern ausdrücklich keine Infrastruktur", sagt AvH-Präsident Robert Schlögl, "aber wir fördern ganz deutlich die Möglichkeit, dass eben nicht nur ein einzelner Mensch arbeitet, sondern auch eine Gruppe aufgebaut wird."

Eine erste Zwischenbilanz fällt aus Sicht des Ministeriums positiv aus. 166 Forschende seien bislang gewonnen worden, sagt Bär – eine Zahl, die sie für die ersten Monate als "sehr erfreulich" bezeichnet. Unter den Geförderten befänden sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unterschiedlichen Karrierephasen, ab der Promotion, aus allen Fachrichtungen.

Rund 40 Prozent der bisherigen Bewilligungen entfallen laut BMFTR auf die Lebenswissenschaften, 28 Prozent auf Naturwissenschaften, 21 Prozent auf Ingenieurwissenschaften und etwa zehn Prozent auf die Geistes- und Sozialwissenschaften. Für Bär ist das auch ein Beleg dafür, dass das Programm auf die strategischen Zukunftsfelder der Hightech-Agenda Deutschland einzahlt.

Auffällig ist zugleich, woher die Geförderten kommen – und woher vergleichsweise wenige. Zwar war das wissenschaftsfeindliche Vorgehen der Trump-Administration entscheidender Auslöser dafür, dass die "1.000 Köpfe" überhaupt im Koalitionsvertrag auftauchten.

Anderer Bewerberpool, gleiche Kriterien

Auch die Debatte um das Programm wurde immer wieder von mehr oder weniger aggressiven Abwerbefantasien aus der Wissenschaftsszene begleitet. Umso aufschlussreicher, dass der Anteil derjenigen, die mit der Förderung aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland wechseln, relativ gering ist, was sich schon vor einigen Wochen abgezeichnet hatte. 26 seien es, sagt die Ministerin auf Nachfrage. Nicht einmal jeder sechste.

37 Prozent der Geförderten kommen bisher aus Europa, 29 Prozent aus Asien. Und zum Beispiel nur acht Prozent aus Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten.

Ein Detail der Inszenierung sendet angesichts solcher Zahlen eine missverständliche Botschaft. Alle drei Geförderten auf dem Podium waren zuvor an US-Hochschulen – was genau jenes Narrativ verstärkt, von dem sich Ministerium und Förderorganisationen erkennbar lösen wollen: dass es bei den "1.000 Köpfen" vor allem um eine Reaktion auf Trump gehe.

Wie genau positioniert sich das Programm denn nun zwischen Exzellenzförderung, Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit und etwaigen Ambitionen, gezielt US-Forschende abzuwerben?

Wissenschaft ist mehr als eine Softpower, sagt der AvH-Präsident

Die Antwort der Verantwortlichen ist eindeutig – und zugleich differenziert. "Für die DFG ist und bleibt natürlich die wissenschaftliche Exzellenz der Kandidaten das primäre Auswahlkriterium", sagt DFG-Präsidentin Katja Becker. Was sich jedoch verändert habe, sei der Bewerberpool. Wissenschaft gerate weltweit stärker unter Druck, ebenso einzelne Felder. "Dadurch ist der Pool an Interessenten größer als normalerweise", sagt Becker. Exzellenz bleibe der Maßstab – aber sie komme aus einem veränderten, breiteren und politisch aufgeladenen Umfeld.

Auch DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee warnt davor, das Programm als kurzfristige Reaktion auf die US-Politik zu missverstehen. Deutschland beginne ja nicht bei null. Schon heute arbeiteten rund 80.000 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Land, dazu kämen über 400.000 internationale Studierende und Promovierende.

Das neue Programm setze darauf auf – und wolle zugleich in einer Welt wachsender Unsicherheit zusätzliche Optionen eröffnen. "Es geht also nicht nur um die Anwerbung", sagt Mukherjee, "sondern das Ankommen, das Anschließen, das Integrieren." Gerade bei jüngeren Forschenden und Studierenden solle Deutschland sichtbarer und verlässlicher werden.

Robert Schlögl geht noch einen Schritt weiter und verknüpft das Programm mit einer grundsätzlichen Diagnose. Wenn Wissenschaft wirklich nur "Soft Power" wäre, sagt er, würde niemand versuchen, sie so stark zu begrenzen, wie es derzeit weltweit zu beobachten sei.

"Kein Grund, nervös zu werden"

Wissenschaftliche Netzwerke seien deshalb zentral – nicht nur, um Erkenntnisse zu internationalisieren, sondern auch, um Wissenschaftsfreiheit praktisch vorzuleben. Der globale Mobilitätsstrom der Wissenschaft verändere sich gerade spürbar. "Die Wahrscheinlichkeit, dass das Wissenschaftssystem wieder dahin zurückkehrt, wo es vor Trump war, ist im Augenblick sehr gering", sagt Schlögl.

Ein Wermutstropfen bleibt in Sachen "1.000 Köpfe". Kurz vor der Pressekonferenz hatte der Haushaltsausschuss 34 Millionen Euro für das Programm im Jahr 2026 zunächst nicht freigegeben. Doch Bär gibt sich gelassen. Es gehe um einen zeitlichen Ablauf, nicht um eine inhaltliche Infragestellung. "Kein Grund, nervös zu werden", sagt sie, eine Entscheidung werde im Januar erwartet. Auch Becker und Mukherjee signalisieren, dass die Förderorganisationen notfalls in Vorleistung gehen würden.

Schon zuvor hatte auch der aus Deutschland stammende Biophysiker Johannes Stein auf dem Podium über seine Forschung gesprochen: über hochauflösende Mikroskopie, mit deren Hilfe er die Organisation des Genoms im Zellkern erforschen will. Eine Grundlagenarbeit mit medizinischer Perspektive. Zuletzt an der Harvard-Universität, kehrt er nun als Emmy-Noether-Geförderter in seine Heimat zurück.

Er baut jetzt am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin eine Forschungsgruppe auf. Gefragt von Journalisten schildert er die Unsicherheiten, die er in den USA erlebt habe – etwa bei Visa-Fragen und Karriereperspektiven. Zugleich betont er, was ihm wichtig ist: "Ich wurde nicht vertrieben. Das wurde ich nicht." Die Rückkehr nach Deutschland sei immer eine Option gewesen. Dass sie nun Realität wird, ist genau das, was das 1.000-Köpfe-Plus-Programm erreichen will. JMW.

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