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Forschungssicherheit ohne Clearingstelle

Politik und Wissenschaft einigen sich auf eine Nationale Plattform zur Forschungssicherheit. Ein Kompromiss mit Potenzial – wenn er bei den Forschenden vor Ort ankommt.
Labor mit Vorhängeschloss

Forschung mit Vorhängeschloss? Die Eckpunkte sind da sehr viel differenzierter. Symbolbild (KI-generiert).

DIE PRESSEMITTEILUNG klingt nach gerader Linie. BMFTR, Landeswissenschaftsministerien und die großen Wissenschaftsorganisationen hätten sich "auf Eckpunkte zur Stärkung der Forschungssicherheit und zum Aufbau einer Nationalen Plattform für Forschungssicherheit verständigt". Damit sei der vom Ministerium im Oktober 2024 initiierte "Stakeholder-Prozess" erfolgreich abgeschlossen. Mit der Verständigung "haben wir einen wichtigen Meilenstein zur Stärkung der Forschungssicherheit in Deutschland erreicht", wird Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) zitiert.

In Wirklichkeit war der Prozess, gestartet von Bärs Vorgängerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im noch unter "BMBF" firmierenden Ministerium, geprägt von langwierigen Verhandlungen, zwischenzeitlichen Irritationen und dem Gefeilsche um einzelne Wörter.

Im Sommer schien das Vorhaben zwischenzeitlich sogar vor dem Aus zu stehen: Die Allianz weigerte sich, ein vom BMFTR formuliertes Memorandum of Understanding (MoU) mitzuunterzeichnen. Vor allem die Vorstellung einer "Clearingstelle" ging der Wissenschaft gegen den Strich. Der Begriff stammte aus dem Positionspapier, das Stark-Watzinger als Auftakt der Beratungen präsentiert hatte. Im MoU war er zwar getilgt worden, dennoch blieben Sorgen, die Politik wolle hier in die Autonomie der Wissenschaft bei der Gestaltung ihrer Außenbeziehungen eingreifen.

Am Ende bekamen Politik und Wissenschaft die Kurve – was viel mit einem im Mai erschienenen Papier des Wissenschaftsrats zu tun hatte und einer seit Dorothee Bärs Amtsantritt größeren Zurückhaltung im BMFTR. Die Frage ist nun allerdings, wie viel Biss noch in dem Papier steckt.

Von der Krise zur Kurve

Die drei Seiten starten mit einer Bestandsaufnahme. Deutschland und Europa stünden einer zunehmend komplexen und dynamischen Weltlage gegenüber: "Sie ist geprägt von einer akuten Bedrohungslage sowie systemischen Rivalitäten mit Staaten wie Russland und China." Die regelbasierte internationale Ordnung werde von vielen Seiten angegriffen, nationale Interessen- und Machtpolitik zu einem dominanten Faktor.

Die Folgerung: "Um die Offenheit des Wissenschaftssystems zu bewahren sowie Forschungsaktivitäten, -kooperationen und -infrastrukturen besser gegen Risiken abzusichern, muss die Forschungs- und Wissenssicherheit in Deutschland und Europa systematisch gestärkt werden." Dafür sei "ein ganzheitlicher wie gesamtstaatlicher Ansatz erforderlich, der zugrunde legt, dass die gemeinsame Verantwortung für ein integres und sicheres Wissenschaftssystem auf allen Ebenen und von allen Akteurinnen und Akteuren im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten und geltenden Rechtsnormen gestuft wahrgenommen wird." Formulierungen, die von Anfang an klarmachen: Am Ende ist es die Wissenschaft, die unter Beachtung geltender Gesetze und Bestimmungen etwa zur Exportkontrolle über ihre Forschungsthemen, Partner und Vorsichtsmaßnahmen entscheidet.

Forschungs- und Wissenssicherheit wird denn auch definiert als "die Antizipation und das Management von Risiken wie dem unerwünschten Wissens- und Technologieabfluss, unzulässiger Einflussnahme und der missbräuchlichen Zweckentfremdung von Forschungsergebnissen". Ziel sei, "das hohe Gut der im Grundgesetz verankerten Wissenschaftsfreiheit sowie die internationale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung zu schützen und zugleich die Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen Deutschlands und Europas zu wahren".

Die Logik der "gestuften Verantwortung"

Aber was bedeutet das praktisch? Die Antwort in den Eckpunkten lautet: "Gestufte Verantwortung". Die Verantwortung für Forschungssicherheit liegt zuerst bei den Forschenden selbst, die sich mit Risiken ihrer Arbeit befassen und "informierte Entscheidungen" treffen sollen – allerdings eingebettet in institutionelle Strukturen. Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und Länder sollen Verfahren, Zuständigkeiten und Beratungsangebote vorhalten, um "einzelfallbezogene Chancen-Risiken-Abwägungen" zu ermöglichen. Der Bund wiederum versteht sich ausdrücklich als Unterstützer, der "Ressourcen bereitstellt" und einen "ganzheitlichen Ansatz" entwickelt, ohne in konkrete Forschungsentscheidungen einzugreifen. Forschungssicherheit wird so nicht zur staatlichen Kontrolle, sondern zur Pflicht der Wissenschaft, ihre Autonomie durch nachvollziehbare Strukturen und Prozesse selbst abzusichern.

Womit im Grunde bereits umrissen ist, was die "Nationale Plattform für Forschungssicherheit" werden soll, die als zentrale Maßnahme der Eckpunkte vorgestellt wird und an die Stelle der "Clearingstelle" des BMBF-Positionspapiers getreten ist: keine Behörde, kein Prüfpunkt, kein Genehmigungsregime. Eine Serviceeinrichtung. Den Weg gewiesen zu diesem für die Wissenschaft akzeptablen Modell hatte der Wissenschaftsrat mit seinem Positionspapier "Wissenschaft und Sicherheit in Zeiten weltpolitischer Umbrüche", das im Mai veröffentlicht worden war, dort bezeichnet als "Nationale Plattform für Wissenssicherheit".

Für die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist genau das der entscheidende Punkt. Die Plattform sei "ein starkes Signal für die Wissenschaftsfreiheit in unserem Land", sagt ihr Sprecher und Fraunhofer-Präsident Holger Hanselka. Im "Schulterschluss zwischen Politik und Wissenschaft" könne sie helfen, "zielgerichtete Maßnahmen zum Schutz von Forschenden sowie von wichtigem und kritischem Knowhow zu entwickeln" – gerade mit Blick auf den Technologietransfer, bei dem es "entscheidend sein wird, dass wir Wissen und Knowhow wirksam schützen". Im Sommer hatte Hanselka noch den Vorschlag gemacht, die, wie Table Briefings ihn zitierte, "Plattform als Geschäftsstelle in Trägerschaft der Allianz (z. B. in Vereinsform) etablieren und dauerhaft institutionell fördern, wie dies auch in anderen Ländern der Fall ist".

Was die Plattform leisten soll

Daraus wurde nichts. Stattdessen soll sie mit ihrer Servicestelle organisatorisch beim BMFTR angegliedert werden. Sie soll eine "koordinierende und integrierende Funktion" übernehmen und Wissenschaftseinrichtungen "im kollegialen Zusammenspiel" unterstützen. Ihre Rolle bleibt damit unterhalb jeder Eingriffsschwelle – aber nicht ohne Ambition. Konkret soll die Plattform vor allem drei Dinge leisten:

Koordination: Gemeint ist die "Abstimmung der staatlichen und wissenschaftlichen Akteurinnen und Akteure" sowie die Bündelung vorhandener Expertise. Ziel ist eine "gemeinsame Positionierung", die Orientierung bietet, kohärentes Zusammenwirken ermöglicht und die Anpassungsfähigkeit an neue Bedrohungslagen stärkt.

Information: Die Plattform soll Auskünfte über Risiken geplanter oder angebahnter Forschungsaktivitäten geben – einschließlich der Sicherheitsrelevanz von Forschungsfeldern, Kooperationspartnern sowie des "geopolitischen und geoökonomischen Kontexts". Dafür sollen ausdrücklich auch Informationen und Einschätzungen der Sicherheitsbehörden genutzt werden, ergänzt um Tools und Datenbanken, etwa zur Due Diligence. Das Ergebnis soll keine Entscheidung, sondern eine "kohärente Risikobewertung … als Empfehlung" sein.

Beratung: Über die reine Risikoeinschätzung hinaus soll die Plattform Einrichtungen dabei unterstützen, Risiken zu reduzieren – etwa durch "risikobasierte Schutzmaßnahmen" und die Nutzung "vorhandener und bewährter einrichtungsspezifischer Strukturen und Prozesse". Auch hier bleibt der Fokus auf Befähigung statt Steuerung. Flankiert wird das Ganze durch eine "fortlaufende nationale Risikoanalyse", die bewusst "unabhängig vom konkreten Einzelfall" angelegt ist und zukünftige Bedrohungen frühzeitig identifizieren soll.

Organisatorisch soll ein Lenkungsgremium mit "gleichwertiger Vertretung von Wissenschaft und Politik" unter Beteiligung auch der Sicherheitsbehörden entstehen, um sich "mit grundsätzlichen Fragen der Forschungs- und Wissenssicherheit sowie aktuellen oder zukünftigen Entwicklungen in diesem Kontext" zu befassen.

Gemeinsame Federführung und hohe Komplexitätsgrade

Was dann doch sehr freischwebend und potenziell ausbremsend wirkt. Kaum vorstellbar ist etwa, dass die explizit angesprochenen Bundesministerien für Außen, Innen, Verteidigung oder Wirtschaft zu den Sitzungen die geforderten hochrangigen Repräsentanten ("auf Leitungsebene") schicken werden, wenn doch die Federführung explizit bei BMFTR, Allianzorganisationen und Wissenschaftsministerien liegen soll. Zumal diese gemeinsame Federführung, wenn man sich die Genese der Eckpunkte anschaut, in sich schon einen hohen Komplexitätsgrad bedeuten dürfte. Forschungsministerin Bär dagegen sieht offenbar genau hier eine Stärke: "Der mit der Verständigung erreichte Konsens ist auch ein starkes Signal an unsere europäischen und internationalen Partner: Deutschland geht Forschungssicherheit ganzheitlich, gesamtstaatlich und in enger Partnerschaft mit der Wissenschaft an."

In jedem Fall weitreichend dürfte die Einrichtung der beim BMFTR angesiedelten Servicestelle werden, die für die operative Beratung und Information verantwortlich sein soll. Nicht für die breite Wissenschaftscommunity wohlgemerkt, sondern in erster Linie für die "Kontaktpunkte oder -stellen" auf Ebene der Wissenschaftsinstitute und Hochschulen, die diese benennen sollen. Von einer "Community of Practice" ist die Rede, womit wohl gemeint ist, dass sich eine übergreifende Vorstellung von Forschungssicherheit im Organisationsalltag entwickelt.

Die Servicestelle soll zugleich den Kontakt und Austausch mit anderen nationalen und europäischen Gremien pflegen und bestehende Einrichtungen mit ähnlicher Mission nach Bedarf einbinden, etwa das Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi), dessen Expertise an den Hochschulen stark nachgefragt ist. Gerade mit der Mission des KIWi gibt es so große Überschneidungen, dass zwischenzeitlich die Frage aufkam, warum man nicht einfach diese beim DAAD angesiedelte Stelle zur Plattform erweitert. Genau das hatte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee wiederholt angeboten. Manche sprachen sogar von einem "handfesten Streit" zwischen den Wissenschaftsorganisationen.

Ferdi Schüth, der als stellvertretender Vorsitzender der wissenschaftlichen Kommission federführend die Entstehung der Wissenschaftsrats-Empfehlungen begleitet hat, sagte bei deren Vorstellung: "Der Bundesnachrichtendienst darf nicht KIWi oder den Gemeinsamen Ausschuss beliefern. Das ist ihm gesetzlich nicht möglich. Wir möchten eigentlich einen umfassenderen Zugang." Deshalb brauche es eine Bündelung und Verknüpfung "auf vernünftige Art und Weise".

Was die Roadmap vorgibt

Hoffentlich ergeben sich jetzt mit dem parallelen Entstehen der Nationalen Plattform tatsächlich vor allem Synergieeffekte und nicht neue Kompetenzverschränkungen und Irritationen. Was die Servicestelle angeht, gilt jedenfalls: Die Forschenden sind ausdrücklich gehalten, sich zunächst an die Strukturen ihrer Einrichtungen zu wenden – die Plattform bleibt zweite Ebene, nicht erste Adresse.

Wolfgang Wick, Vorsitzender des Wissenschaftsrates, lobte die schnelle Umsetzung der Empfehlungen. "Politik und Wissenschaft füllen damit eine Leerstelle."

Wie schnell es dann wirklich geht, wird man sehen. Die Roadmap am Ende der drei Seiten buchstabiert aus: Im Januar 2026 soll zunächst die "Feinkonzeptionierung und Vorbereitung" der Plattform beginnen, parallel dazu die Erstellung einer ersten "Nationalen Risikoanalyse Forschungssicherheit".

Im Laufe des Jahres ist auch die Konsultation im Nationalen Sicherheitsrat vorgesehen, der die Plattform laut Eckpunkten mandatieren soll. Ein weiterer Bezug zum Papier des Wissenschaftsrates, der ein "strategisches Dialogforum zur Verzahnung von Wissenschaft und Sicherheitspolitik" empfohlen hatte, als angegliederter Teil des Nationalen Sicherheitsrats.

Recht unbestimmt auf "ab Herbst 2026" datiert ist der eigentliche Start der Plattform mit der ersten Sitzung des Lenkungsgremiums und dem "Soft Opening" der Servicestelle. Die "volle Einsatzfähigkeit" wird "ab Januar 2027" avisiert. Was, wenn es so käme, erstaunlich schnell wäre.

Ob Zeitplan und Plattform-Konstruktion tatsächlich tragen, soll eine nicht näher definierte Evaluation ab Herbst 2028 klären.

Kommunikation als Bewährungsprobe

Dass all das kein Selbstläufer wird und auch dass der Weg schon bislang weit war, lässt auch der Kommentar der amtierenden Präsidentin der Wissenschaftsministerkonferenz der KMK, Bettina Martin, erkennen. Es sei gut, sagt sie, "dass es im Ergebnis der Beratungen ein gemeinsames Verständnis über den Umgang mit sicherheitsrelevanten Forschungsergebnissen in Deutschland gibt". Wichtig sei nun, dass alle Ebenen in die Umsetzung kämen.  

"Dazu reicht es nicht, ein Papier zu veröffentlichen, vielmehr müssen nun die Eckpunkte in die Hochschulen und Forschungseinrichtungen hinein kommuniziert werden." In ihrem Bundesland werde sie dafür im kommenden Jahr die Beteiligten zu einem Gespräch einladen, sagt die SPD-Politikerin Martin, im Hauptberuf Ministerin für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Rolle der Hochschulen und Forschungsinstitute wird zentral sein, damit die Plattform wirklich eine Wirkung hat. Sie sollen die Ansprechpartner vor Ort stellen, den Umschlag von Beratung und Information zwischen Servicestelle und Forschenden organisieren. Viel Verantwortung. Dabei fällt vielen Rektoren und Präsidentinnen schon jetzt schwer, die Debatte über die konkreten Konsequenzen der neuen internationalen Sicherheitslage in ihre Hochschulen zu tragen. 

Eine vielerorts verminte Debatte, wie auch bei den Verhandlungen um die Eckpunkte deutlich wurde: Nicht nur die "Clearingstelle" war ein No-Go, das Gleiche galt für jede Erwähnung von Zivilklauseln und deren Rolle an den Hochschulen. Das BMBF-Positionspapier hatte noch deren "Angemessenheit" angesichts der "Zeitenwende" diskutiert. JMW.

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