Was wir bisher nicht zu Ende denken
Hochschulen und Wissenschaftspolitik diskutieren über Forschungssicherheit, doch es fehlt an Nachdruck. Und die schmerzhaftesten Fragen werden noch kaum gestellt.
Symbolbild Cyber-Angriff: freepik.
BIS 2030, SAGT DIE EU-KOMMISSION, soll Europa sich allein gegen einen Angriff schützen können. Es ist die aktuelle Version des uralten Satzes: "Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor." Doch auch wenn an den Hochschulen inzwischen viel über "Forschungssicherheit" diskutiert wird und der Wissenschaftsrat ein lesenwertes Positionspapier namens "Wissenschaft und Sicherheit in Zeiten weltpolitischer Umbrüche" veröffentlicht hat, schrecken wir meist noch davor zurück, die Konsequenzen dieser Umbrüche wirklich zu Ende zu denken.
Konsens ist inzwischen, dass die Wissenschaft wie die Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt die technologischen Abhängigkeiten insbesondere von den USA verringern müssen, aber praktisch vervielfacht sich in Forschung und Lehre jeden Monat noch die Nutzung etwa amerikanischer KI-Systeme. Und während europäische Wissenschaftsstrategen die Rettung wissenschaftlicher Daten und Datenbanken vor Trump beschwören, zittern ganze Fächer vor dem Tag, an dem sie tatsächlich ohne die US-Infrastruktur klarkommen müssten. Die bisherigen Verluste, so dramatisch für einzelne Disziplinen wie die Klimaforschung, waren da kaum mehr als ein Vorgeschmack.
Hauptsächlich mit Rhetorik wappnen sich deutsche Hochschulen und Wissenschaftsinstitute bislang gegen aus dem Ausland gesteuerte Cyberangriffe, trotz aller ergriffenen Maßnahmen wohlgemerkt, und die Verantwortlichen atmen jedes Mal erleichtert auf, wenn es nicht sie, sondern eine andere Einrichtung getroffen hat. Die Abwehr von Spionage und Wissensabschöpfung, die Anforderungen der Exportkontrolle überfordern einzelne Wissenschaftler und Fächer und führen zu institutionellen Strategien zwischen Überreaktion und Verharmlosung. Der Wissenschaftsrat hat mit seinem im Mai erschienenen Papier glücklicherweise die Debatte über die Einrichtung einer Nationalen Plattform für Wissenssicherheit beschleunigt, als zentraler, reaktionsschneller "One-Stop-Shop" für Beratung, Risikoabschätzung und Informationssicherung.
Doch die Umsetzung bleibt sieben Monate später konturlos, es läuft das vertraute Gerangel zwischen den Wissenschaftsorganisationen. Zuletzt im Oktober hat die Wissenschaftsministerkonferenz der Länder ein "gemeinsam erarbeitetes Verständnis und Maßnahmenkatalog" und eine "tragfähige und verlässlich zugesagte Finanzierung durch den Bund" angemahnt. Ziemlich viel Business as Usual dafür, dass wir seit Jahren auch in der Wissenschaft von "Zeitenwende" sprechen.
Hochschulen unter Druck – aber ohne klare Linie
Und die Hochschulen? Haben parallel damit zu tun, ihre Resilienz gegenüber Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit zu erhöhen und sich vorzubereiten für den Fall, dass Rechtspopulisten und Wissenschaftsskeptiker auch hierzulande in Regierungsverantwortung kommen. Derweil drücken sie sich vielerorts noch an den anderen Debatten vorbei, die sie längst hätten führen müssen. Insofern ist es gut, dass zum Beispiel in Hessen das Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF) für Dienstag zu einer hochschulöffentlichen Tagung "Sicherheit, Wissenschaft, Verantwortung" nach Darmstadt eingeladen hat – als Auftakt, wie es heißt, eines bundeslandweiten "Dialog und Reflexionsprozesses" über die "gesellschaftliche Rolle und Verantwortung von Wissenschaft und Forschung in Zeiten veränderter sicherheitspolitischer Anforderungen".
Es wird dabei erwartungsgemäß viel um die an fünf hessischen Hochschulen bestehende Zivilklausel gehen, die für ihre Befürworter und für ihre Gegner ein wichtiges Symbol ist. Den – weiten – Rahmen dessen, was möglich ist zwischen ziviler, militärischer und Dual-Use-Forschung, setzt jedoch allein das Grundgesetz. Müsste nicht genau deshalb jede Hochschulleitung an jeder Hochschule bundesweit gerade jetzt einen solchen Prozess einleiten und dabei jede Menge unbequeme Fragen stellen?
Etwa diese: Wenn absehbar Milliarden und Abermilliarden in die militärische Ertüchtigung fließen, inklusive einem Boom der Militär- und Sicherheitsforschung, wenn die politische Inanspruchnahme der Wissenschaft für Verteidigungszwecke immer drängender wird, wenn gleichzeitig die Grundfinanzierung und die übrige Forschungsförderung stagnieren, wie kommen wir aus dem Lavieren? Wie positionieren wir uns als Institution strategisch zwischen der notwendigen Erschließung dringend benötigter Forschungsgelder, der Verantwortung für die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit der Gesellschaft und – umgekehrt – den pazifistischen Idealen, die viele in Hochschulen und Wissenschaft hochhalten?
Eine strikte Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung sei heute kaum noch sinnvoll, sagte zuletzt etwa Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU). "Darüber müssen wir gemeinsam mit den Ländern und Hochschulen offen diskutieren." Natürlich werde das heftige Debatten geben – "aber sollte man deshalb eine notwendige Auseinandersetzung meiden? Ich meine: Nein. Um Frieden heute zu bewahren, können wir uns keine Denk- und Forschungsverbote leisten."
Oder diese Frage: Sind wir als Hochschulen uns selbst gegenüber ehrlich, wenn wir einerseits wollen, dass Wissenschaft in die Gesellschaft wirkt, dass sie gerade in Zeiten der Demokratiekrise ein offener und offenstehender Ort bleibt – und andererseits völlig klar ist: Eine Einbindung der Hochschulen in die Aufrüstung wird zu geschlossenen Türen, zu neuen Zäunen und Mauern führen, zu kommunikativen, aber auch zu ganz handfesten? Überall dort, wo relevant für Sicherheit und Militär geforscht wird. Und, je stärker die Angst vor Spionage wird, umso mehr auch bei Hochtechnologien, die Dual Use ermöglichen, also bei sehr, sehr vielen.
Die unangenehmsten Fragen stehen erst bevor
Das sind Fragen, die keiner gern stellt, mit denen sich keine Hochschulleitung beliebt macht. Und doch sind es noch die einfacheren, weniger schmerzhaften. Die Fragen, die am meisten wehtun, die auch das Positionspapier des Wissenschaftsrats kaum behandelt, beziehen sich auf das Szenario, auf das die EU-Kommission Europa vorbereiten will. Was, wenn aus einem hybriden, einem Cyber-, einem Spionagekrieg ein tatsächlicher wird? Welche deutsche Hochschule hat heute einen Plan, wie sie ihren Forschungs- und Lehrbetrieb im Falle einer militärischen Auseinandersetzung aufrechterhalten könnte? Welche Hochschule hat Schutzräume oder könnte sie realistischerweise zügig schaffen? Wie würden Lehrkonzepte aussehen, wenn Studierende (und Lehrende?) zwischen Hochschule, Militär- und Gesellschaftsdienst rotieren müssten? Wenn Gebäude beschädigt würden?
Nein, darüber möchte kaum einer nachdenken. Allzu stark ist der Reflex, das Thematisieren solcher Situationen als hypothetisch, alarmistisch oder gar kriegstreiberisch wegzuschieben. Doch fragen Sie einmal in den großen Krankenhäusern und Unikliniken nach, wie ernst diese sich auf Prognosen der Bundeswehr vorbereiten, im Kriegsfall tausend und mehr Verletzte am Tag behandeln zu müssen. Derweil zeigt der Blick in die Ukraine, dass Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen zu den bevorzugten Angriffszielen zählen. Wir fangen gerade erst an zu erfassen, was "Zeitenwende" in Wirklichkeit bedeutet. JMW.
Dieser Kommentar erschien in kürzerer Fassung zuerst im Newsletter ZEIT WISSEN DREI.
Kommentare
#1 - Wichtige Fragen...
...die Sie hier stellen, lieber Herr Wiarda!
Gerade gestern wurde - nicht ganz zufällig - auch ein Beitrag im aktuellen Themenheft der Zeitschrift für Hochschulentwicklung (ZFHE) zu veröffentlicht, der sich damit befasst, wie Hochschulen in Ländern mit bewaffneten Konflikten sich an die Situation anpassen und darauf vorbereiten können: Regent et a. (2025). Continuity and Accessibility in Higher Education Amid Armed Conflict, ZFHE 4/2025 bzw auch als Volltext im OA verfügbar in: https://www.zfhe.at/index.php/zfhe/issue/view/94
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