Sang- und klanglos in die Distanzlehre?
Die Hochschulen werden im neuen Corona-Beschluss der Regierungschefs wieder einmal nicht erwähnt. Theoretisch dürften sie also offenbleiben. Doch praktisch bröckelt vielerorts die Präsenz. Dabei haben auch Studierende und Lehrende das Anrecht auf transparente Regeln und Entscheidungen.
KEIN WORT zu Schulen im neuen Corona-Beschluss der Regierungschefs, und auch kein Wort zu den Hochschulen. Im Fall der Schulen hat das einen klaren Grund: Sie sollen nach dem Willen der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers offenbleiben.
Eine Selbstverständlichkeit, die bei den Hochschulen fehlt. Weshalb ihre Nichterwähnung im Beschluss ein Problem ist. Die letzte gemeinsame Äußerung aller Landeswissenschaftsminister zum Umgang mit der Hochschullehre stammt von 9. Dezember, nur dass ihr damaliges Bekenntnis zum Präsenzlernen als "höchste Priorität" schon zum Zeitpunkt seines Entstehens von der Realität vieler Hochschulen überholt worden war.
Es gibt Bundesländer wie Bremen, das gerade erst die Aussetzung der Präsenzlehre bis zum 16. Januar verlängert hat. Während etwa Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), auch als im Südwesten die Corona-Zahlen extrem hoch waren, immer wieder auf den Vorrang von Präsenzveranstaltungen und die Präsenzpflicht der Professoren gepocht hat. Doch bröckelte auch in Baden-Württemberg die Präsenzquote in vielen Fächern allmählich, heißt es aus den dortigen Hochschulen.
In vielen Bundesländern wurde derweil die Entscheidung über Präsenz oder Distanz von Ebene zu Ebene heruntergereicht, von den Wissenschaftsministerien zu den Hochschulen, von den Hochschulen zu den Fachbereichen, von den Fachbereichen zu den einzelnen Dozenten. Die könnten schließlich zusammen mit ihren Studierenden am besten entscheiden, was gehe, hieß es dann. Oft garniert mit wohlfeilen Kommentaren, dass natürlich möglichst viel Präsenz wünschenswert sei.
Wovon es abhängt, dass Studierende
sich noch begegnen können
Am Ende hängt es jetzt häufig weniger von den Inzidenzhöhen in der Region oder den Neuinfektionen einzelner Hochschulen ab, ob Studierende die Möglichkeit haben, sich persönlich zu begegnen, als von den subjektiven Einschätzungen ihrer Hochschullehrenden. Das kann kein tragfähiger Zustand sein. Genauso wenig wie das Argument, dass das Semester vielerorts bereits auf die Zielgerade gehe, ein Zurückschwingen in die Präsenz also gar nicht mehr den Aufwand rechtfertige.
Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU), der zugleich Kovorsitzender der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Länder ist, sagte am Mittwoch, viele Hochschulen wollten wieder in die Präsenz zurückkommen in der nächsten Woche. Auf Bayern gemünzt sagte er, man werde deutlich machen, "dass da, wo es einigermaßen verantwortbar ist", Präsenz bevorzugt stattfinden solle, "um die spezielle Situation der jungen Menschen an Hochschulen – Stichwort Begegnung, Austausch, akademischer Diskurs" – berücksichtigen zu können.
Auf ganz Deutschland bezogen sagte Sibler, er gehe davon aus, dass es mit Blick auf die aktuellen Inzidenzen jetzt eher die norddeutschen Länder seien, "die hier andere Akzente werden setzen müssen".
Wer aber sagt, wann wo welche Akzente gesetzt werden müssen? Mit 2G+ dürfen in vielen Bundesländern (nicht in Bayern) sogar Kneipen und Bars geöffnet sein. Solange das so ist, muss dies auch der Standard und Normalfall für Hochschulen als Bildungseinrichtungen sein.
Verbindliche Kriterien für das restliche Wintersemester
Gut getan hätte im heutigen Beschluss der Regierungschefs daher eine Satz, wie sie ihn für Kultureinrichtungen formuliert haben: Durch die konkrete Ausgestaltung der Corona-Maßnahmen für den Kultur "achten die Länder die im Infektionsschutz hervorgehobene besondere Begründungspflicht für Beschränkungen des Kulturbetriebs". Und was ist mit den Beschränkungen des Hochschulbetriebs?
Führungskraft besteht weder in der politischen Anordnung kompletter Hochschulschließungen noch im Delegieren der Verantwortung nach unten durch die Rektorate. Am Ende muss es von den Landesregierungen beschlossene Kriterien für das restliche Wintersemester geben, die dann auch vor Ort transparent eingehalten werden müssen. Als verlässliche Richtwerte für Studierende und Lehrende. Kriterien und Grenzwerte, ab denen Online-Lehre überhaupt akzeptiert wird. Was für Kriterien das sein könnten? Neben einem flächendeckenden 2G-Plus und den Veranstaltungsgrößen zum Beispiel die regionalen Inzidenzen und die Krankenhaus-Belegung.
Nicht zu akzeptieren wäre jedenfalls, wenn ein Semester, das vielerorts hoffnungsvoll in Präsenz begann, jetzt sang- und klanglos in der Distanzlehre ausliefe.
Kommentare
#1 - "Nicht zu akzeptieren wäre jedenfalls, wenn ein Semester,…
Nein? Wieso nicht? Es muss immer bedacht werden, dass die Hochschulen anders als Schulen keine Klassenverbände kennen und dass insbesondere durch interdisziplinäre Veranstaltungen und Studiengänge (insbesondere die Lehrkräftebildung) eine extrem hohe Durchmischung und Kontaktzahlen erzeugt werden. Zudem muss ohnehin bspw. für Nicht-Impfbare eine digitale Alternative angeboten werden, im Sinne eines Nachteilsausgleichs. Wenn die Studierenden also dieses digitale Angebot wahrnehmen wollen und gewissermaßen mit den Füssen abstimmen und der Remote-Lehre den Vorzug geben - aus welchen Gründen auch immer - , dann ist das sehr wohl zu akzeptieren. Nicht schön und nicht wünschenswert - aber dennoch zu akzeptieren.
Schönen Gruß
Philonous
#2 - Das Problem an der Präsenzlehre sind nicht die Bedingungen…
#3 - Es ist tatsächlich so, dass am Ende die Dozenten selbst…
#4 - Der Vergleich mit den Schulen, lieber Michael, hinkt in der…
Schönen Gruß
Philonous
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