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Inszenierte Enttäuschung, echte Enttäuschung und die Entwertung eines Positionspapiers

Warum ich manche Empörung über die FDP als übertrieben empfinde und woher mein eigener Ärger über Lindner, Stark-Watzinger und Co rührt: über die mutwillige Beschädigung eines notwendigen Diskurses.

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Artikelbild: Inszenierte Enttäuschung, echte Enttäuschung und die Entwertung eines Positionspapiers

Das Papier des Anstoßes (Ausschnitt).

ZEIT UND SÜDDEUTSCHE ZEITUNG haben vergangene Woche minutiös geschildert, wie die FDP den Koalitionsbruch über Wochen und Monate vorbereitet haben soll. "Das liberale Drehbuch für den Regierungssturz“, titelte die Wochenzeitung. Manche aufgeregte Reaktion auf die Berichterstattung erschien mir allerdings übertrieben und ihrerseits inszeniert, etwa als der Spiegel von einem "schwerwiegenden Vorwurf" schrieb: "Wenn FDP-Chef und Ex-Finanzminister Christian Lindner selbst seit Langem auf den Bruch der Koalition aus gewesen war, hätte er die Öffentlichkeit getäuscht."

Als sei eine parteipolitische Taktiererei solchen Ausmaßes tatsächlich etwas komplett Neues, Ungewöhnliches, ja nahezu Unvorstellbares. Wie konnte es dann sein, dass in den Tagen vorher viele unter anderem im Spiegel spekuliert hatten, Lindners Papier zur Wirtschaftswende solle den Bruch einleiten? Was ich übrigens, siehe unten, offenbar irrtümlicherweise nicht so gesehen habe.

Dass sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ebenfalls laut Spiegel "getäuscht" und "enttäuscht" fühlte, weil er im Bundestag und zwischen den Fraktionen bis zum Schluss Kompromisse ernsthaft ausgeleuchtet habe, unterschlägt zumindest, dass man in der SPD-Parteizentrale und im Bundeskanzleramt sehr wohl auch schon länger mit verschiedenen Szenarien bis hin zum Koalitionsbruch gearbeitet hat – und dass Scholz am Abend von Lindners Entlassung diesen, so jedenfalls der Gegenvorwurf, ebenfalls mit einer Art Ultimatum konfrontiert haben soll. Um, wie es heißt, dem FDP-Plan zuvorzukommen.

Kaltschnäuzigkeit zum Schaden aller demokratischen Parteien

Wenn jetzt einige sogar meinen, Stark-Watzinger habe Vorhaben wie den Digitalpakt oder die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes aus Gründen der parteipolitischen Provokation verzögert oder gar sabotiert, dem halte ich entgegen: Viel wahrscheinlicher ist, dass sie einfach eine ambitionslos-schwache Ministerin war.

An einer Einschätzung ist jedoch nicht zu deuteln: Lindner und seine Gefolgsleute wie Bettina Stark-Watzinger haben mit ihrer Kaltschnäuzigkeit im Vorfeld und im Zuge des Ampel-Endes dem Ansehen der demokratischen Parteien insgesamt geschadet. An der Stelle zitiere ich Mützenich mit voller Zustimmung: "Dass die FDP ihr Drehbuch mit ›D-Day‹ und das 18-seitige Wirtschaftspapier als ›Torpedo‹ bezeichnet hat, lässt mich entsetzt zurück." Ein Torpedo, der laut ZEIT früher losging als geplant, sprich: Das Papier sei vorzeitig öffentlich geworden.

Zu dem Reputationsschaden für die Demokratie kommt die Beschädigung genau jenes Diskurses, den die FDP doch eigentlich fördern will. Und den ich in einem Essay unmittelbar vor dem Koalitionsbruch noch begrüßt hatte. "Warum ich Christian Lindner dankbar bin", schrieb ich über meinen Text. "Der FDP-Chef stößt die Ampelkoalition mit Schwung in eine Priorisierungsdebatte hinein, die Deutschland schon vor Jahren hätte führen müssen. Es muss jetzt um die nötigen Zukunftsinvestitionen gestritten werden – aber nicht auf Kosten der nächsten Generation."

Wenn ich meinen Artikel jetzt lese, stellt sich eine Beklommenheit bei mir ein. Ich unterschreibe immer noch jedes Wort in meinem Essay. Und ja, an der Stelle bin ich enttäuscht. Dass Lindner und seine FDP mit ihren Verhalten all denen Vorschub geleistet haben, die ihm die Ernsthaftigkeit seiner Argumente von Anfang an nicht abgenommen haben. Vielleicht kannten sie ihn doch besser als ich.

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