Direkt zum Inhalt

Funkstörung

Die Zukunft der europäischen Forschungsförderung? Gerade jetzt müsste eine Bundesregierung all ihren europapolitischen Einfluss in die Waagschale werfen. Aber die Deutschen sind mit sich selbst beschäftigt.

Bild
Artikelbild: Funkstörung

Bild: NoName_13 / Pixabay.

ES GEHT UM VIEL GELD. Der frühere italienische Ministerpräsident Mario Draghi forderte vergangenes Jahr in seinem vielbeachteten Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union eine Verdopplung der Ausgaben für das neue EU-Forschungsrahmenprogramm "FP10" im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem derzeit noch laufenden "Horizon Europe". Eine Verdopplung wären 200 Milliarden Euro. Die High-Level-Expertengruppe zur Horizon-Zukunft unter Portugals Ex-Wissenschaftsminister Manuel Heitor schloss sich der Forderung an und plädierte für 220 Milliarden.

Eine derartige Erhöhung bezeichnete die für Start-ups, Forschung und Innovation zuständige neue EU-Kommissarin Ekaterina Sachariewa im Magazin Science Business zwar als "unwahrscheinlich". Doch die Debatte läuft, und sie wird scharf geführt, weil in Kürze ein wichtiger Termin ansteht: Ende April muss die EU-Kommission ihre Zwischenevaluation von "Horizon Europe" vorlegen und setzt damit den Ton für dessen Weiterentwicklung.

Oder Abschaffung: Denn im Herbst sickerte durch, dass die EU-Generaldirektion Haushalt womöglich gar kein eigenes Forschungsrahmenprogramm mehr will, sondern mit dem Gedanken spielt, die Förderung inklusive ihrer Flaggschiffen wie dem Europäischen Forschungsrat (ERC) in einem Fonds zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit aufgehen zu lassen.

Die deutschen Hochschulrektoren und Landeswissenschaftsminister halten gegen

Einflussreiche Mitgliedstaaten wie Frankreich signalisieren ihre Sympathie. Und die Bundesregierung? Hat wegen Ampelbruch, Bundestagswahlkampf und anschließende Koalitionsverhandlungen europapolitisch in diesen entscheidenden Monaten so gut wie keinen Einfluss.

Wacker versuchen die Hochschulrektoren und Landeswissenschaftsminister, die deutsche Perspektive in Brüssel zumindest halbwegs hörbar zu machen.

Zwar würde sich etwa an den ERC auch ohne eigenes "FP10" keine EU-Kommission heranwagen. Trotzdem warnte die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Anfang Dezember, die EU dürfe ihr "bewährtes Forschungsprogramm" auf keinen Fall aufgeben. "Eine solche Reform mag auf administrative und ökonomische Effizienzgewinne abzielen, darf am Ende aber nicht dazu führen, dass für Forschung, die primär auf wissenschaftliche Neugier und Relevanz beruht, daher meist noch keine konkrete Verwertbarkeit in den Blick nehmen kann, weniger Fördermöglichkeiten als heute bestehen", sagte HRK-Vizepräsident Georg Krausch.

Die neue Wissenschaftsministerkonferenz der Länder, kurz "Wissenschafts-MK", mahnte Mitte Januar, die EU-Forschungsförderung müsse ihre Eigenständigkeit behalten. "Die Gefahr wäre groß, dass Forschung und Innovation als Randthemen zurückstehen müssten", sagte Wissenschafts-MK-Präsidentin Bettina Martin. "Wir brauchen eine starke Wissenschaft für Fortschritt und Wohlstand für die künftige Entwicklung der gesamten Europäischen Union." Das Rahmenprogramm sei hierfür das zentrale Instrument, "von dem auch die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland erheblich profitieren".

Deutschland profitiert mehr als alle anderen

Und zwar mehr als alle anderen. Bei der jüngsten Vergabe von 328 "ERC Consolidator Grants" vor knapp zwei Monaten gingen 67 nach Deutschland, dessen Wissenschaftssystem stark auf die Grundlagenforschung ausgerichtet ist.

Parallel zu der Debatte gibt es auf europäischer Ebene auch ernsthafte Bemühungen, die Forschungsförderung grundsätzlich zu reformieren. Sowohl der Draghi-Report als auch die Empfehlungen der Heitor-Kommission machten weitreichende Vorschläge, die unbedingt in die "FP10"-Planung einfließen sollten. Beide inklusive der Forderung, eine europäische "Darpa" zu gründen. Doch keine der beiden wollten das Ende eines eigenen Forschungsrahmenprogramms.

Gerade jetzt müsste eine Bundesregierung all ihren europapolitischen Einfluss in die Waagschale werfen. Mehr Förderung von Innovation? Im eigenen Interesse und im Interesse Europas müsste sie dafür kämpfen, dass möglichst viel europäisches Geld in die Forschungs- und Innovationsförderung geht, anstatt etwa in Struktur- und Agrarförderung. Und dass es von 2028 an wieder ein eigenes Rahmenprogramm gibt, denn nur dadurch konnte die EU-Forschungsförderung, bei allem Reformbedarf, so dynamisch und reputationsstark werden, dass sogar das Vereinigte Königreich wieder dabei sein wollte. Genau wie die Schweiz assoziiert ist, Israel oder inzwischen sogar Kanada.

Dass die Bundesregierung in Brüssel gerade kaum eine Rolle spielt, ist in vielerlei Hinsicht misslich. Angesichts ihres traditionell großen Einflusses in der Forschungspolitik ist es ein Riesenproblem.

Eine kürzere Version dieses Kommentars erschien am Montag im ZEIT-Newsletter Wissen3.

Kommentare

#1 -

Gerhard Duda | Do., 30.01.2025 - 09:06
Der Einsatz für eine starke eigenständige Forschungs- und Innovationspolitik ist sicherlich richtig, aber man sollte darauf hinweisen, dass die Mittel der Strukturfonds durchaus auch für Forschung und Forschungsinfrastrukturen ausgegeben werden können. Das hängt in Deutschland von den Entscheidungen der Länderregierungen ab. Sachsen hat diese Mittel erfolgreich und konsequent für die Forschung genutzt, andere Länder haben damit z.B. Fahrradwege gebaut und die Tourismuswirtschaft gestärkt. Die Strukturfonds sind also nicht der "natürliche Feind" der Wissenschaft, sondern ein Politikinstrument der Regionen. Das ist wie bei Beton: "Es kommt darauf an, was man d'raus macht!"

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Vorherige Beiträge in dieser Kategorie


  • Momente der Wahrheit für die Big Five

Momente der Wahrheit für die Big Five

2025 stehen die Missionsbestimmungen für die nächsten fünf Jahre im Pakt für Forschung und Innovation an. Reine Formsache für die durch den Pakt geförderten großen Forschungsorganisationen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft? Von wegen.


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Dokumentation des Abschlussberichts: Was die Interne Revision des BMBF zur Fördermittelaffäre sagt

Warum die Prüfer meinen, die Ermittlungen seien ausgereizt und welche Schlussfolgerungen sie ziehen: eine Zusammenfassung und der gesamte Bericht zum Selberlesen.


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

BMBF-Fördermittelaffäre: Können kein Fehlverhalten im Verwaltungshandeln erkennen

Per BMBF-Hausmitteilung äußert sich die Ministeriumsspitze erstmals zu den Untersuchungsergebnissen der Internen Revision.


Nachfolgende Beiträge in dieser Kategorie


  • Artikelbild: DATI-Sperre: BMBF beantragt doch noch die Aufhebung

DATI-Sperre: BMBF beantragt doch noch die Aufhebung

Özdemirs parlamentarische Staatssekretärin weist in ihrem Schreiben ans Finanzministerium ausdrücklich auf die Finanznot der Programmlinien "T!Raum" und "WIR!" hin. Fließt dort bald wieder das Geld?


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Förderaffäre-Aufklärung: Opposition kritisiert Özdemir

CDU: Wollen die vollständigen Akten und Aufklärung der Chats. Linke: "Eigenartige Geheimniskrämerei". Am Mittwoch ist der Minister im Forschungsausschuss.


  • Umstrittene Antisemitismus-Resolution im Bundestag

Umstrittene Antisemitismus-Resolution im Bundestag

Eine Antisemitismus-Resolution, über die der Bundestag am Mittwoch abstimmen soll, stößt bei den Hochschulen weiter auf große Kritik. Bildungseinrichtungen sollen sich an ihr orientieren. Der Lehrerverband begrüßt das hingegen.