Deutschlands Einerseits–Andererseits
Der OECD-Bericht "Bildung auf einen Blick" zeigt ein Land, dessen Hochschulen bei internationalen Studierenden begehrt und bei MINT vorn liegen. Zugleich steigt der Anteil junger Menschen ohne Abschluss, und die soziale Kluft bleibt groß.
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DIE OECD HAT wieder gezählt, und das Ergebnis für Deutschland ist das typische Einerseits-Andererseits. Jedes Jahr veröffentlicht der Industriestaatenbund sein (in der deutschen Fassung) mehr als 600 Seiten umfassendes Kompendium internationaler Vergleichszahlen, Daten und Statistiken und nennt es "Bildung auf einen Blick".
Eine Bezeichnung, die auf die parallel erscheinenden "Ländernotizen" eher zutrifft, und auch hier zeigt der Eintrag für die Bundesrepublik ein Land der bildungspolitischen Widersprüche: international beliebt und in einigen Ranglisten mit an der Spitze, aber auch geprägt von sozialen Disparitäten – und einer Bildungsfinanzierung, die unter den Möglichkeiten (und Bedürfnissen?) eines immer noch wohlhabenden Landes bleibt.
Internationale Stärke: Hochschulen als Magnet und MINT-Erfolge
Beginnen wir mit dem Positiven: Im Ausland aber wirken die deutschen Hochschulen wie ein Magnet. 12,7 Prozent der Studierenden in der Bundesrepublik sind international – fast doppelt so viele wie im OECD-Schnitt (7,4 Prozent). Damit rangiert Deutschland in absoluten Zahlen hinter den USA, Großbritannien und Australien auf Platz vier der beliebtesten Zielländer. Eine Position, die kein anderes nicht-englischsprachiges Land erreicht. Zwischenzeitlich lag man sogar schon auf Platz 3. Von den Studienanfängern, so verzeichnete es zuletzt das Statistische Bundesamt, stammt inzwischen mehr als jeder sechste aus dem Ausland.
Nur durch den hohen Zustrom internationaler Studierender und ihrer Studienpräferenzen ist es überhaupt möglich, dass 35 Prozent aller Bachelorabschlüsse in Deutschland auf Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik entfallen. Weltweite Spitze. Im OECD-Mittel sind es gerade einmal 23 Prozent. Und eine Zahl, die Mut macht inmitten des tiefgreifenden Wandels, den die deutsche Industrie durchlaufen muss.
Extrem positiv auch, dass der Anteil der 25- bis 34-Jährigen mit einem Tertiärabschluss – das heißt in Deutschland zumeist Hochschulabschuss oder aber beruflicher Meistertitel – in den vergangenen fünf Jahren von 33 auf 40 Prozent gestiegen ist. Hier hinkt Deutschland traditionell hinterher, und tatsächlich liegt der OECD-Durchschnitt mit 48 Prozent immer noch deutlich höher. In Ländern wie Kanada oder Korea etwa haben inzwischen zwei Drittel eines Jahrgangs einen tertiären Abschluss.
Allerdings ist der Vergleich auch ein Stück weit schief: Die duale Berufsausbildung, ein Rückgrat des deutschen Bildungssystems, zählt statistisch zum Sekundarbereich II. Ein Bildungsweg, der auch international hohes Ansehen genießt, im OECD-Vergleich aber den Tertiäranteil drückt – und erklärt, warum 45 Prozent der 25- bis 34-Jährigen in Deutschland 2024 einen Sek-II-Abschluss als höchste Qualifikation hatten.
Wachsende Risiken: Mehr ohne Abschluss, große soziale Unterschiede
Viel dramatischer ist demgegenüber, dass der Anteil derer ohne Abschluss im Sekundarbereich II in Deutschland von 13 auf 15 Prozent gestiegen ist. Damit rangiert die Bundesrepublik auf den hinteren Plätzen, schlechter sind Italien, Spanien und Portugal.
Der familiäre Hintergrund, berichtet die OECD, habe auch in Deutschland weiter großen Einfluss auf die Bildungschancen: Von den 25- bis 34-Jährigen, bei denen mindestens ein Elternteil über einen Hochschulabschluss verfügt, erreichen den ebenfalls etwa drei Fünftel. Von den Erwachsenen, deren Eltern nicht mindestens über einen Sek-II-Abschluss verfügen, schaffen das nur etwa ein Fünftel.
Hinzu kommt: Nirgendwo im OECD-Raum klaffen die Unterschiede zwischen hoch- und geringqualifizierten Erwachsenen so weit auseinander. In Deutschland betrug beim Erwachsenen-PISA der Abstand in der Lesekompetenz 100 Punkte, in Mathematik 108 Punkte – gegenüber einem OECD-Durchschnitt von 73 bzw. 78 Punkten.
Wer keinen Sek-II-Abschluss schafft, fällt offenbar nicht nur formal zurück, sondern auch faktisch in seinen Fähigkeiten. Die Konsequenz: eine Gesellschaft, in der die einen international konkurrenzfähig sind – und die anderen auf einem Kompetenzniveau verharren, das Teilhabe massiv erschwert.
Ein Befund, der sich auch in der Arbeitsmarktstatistik niederschlägt. Die Erwerbsquote von 25- bis 34-Jährigen ohne Sekundarabschluss ist zwar in den vergangenen fünf Jahren von 59 auf 61 Prozent gestiegen. Gleichzeitig liegt die Erwerbslosenquote von Personen ohne Sek-II-Abschluss bei 9,3 Prozent und damit niedriger als der OECD-Durchschnitt von 12,9 Prozent. Aber eben auch dreimal so hoch wie bei Menschen mit Sek-II-Abschluss (3,3 Prozent) oder Hochschulabsolventen (3,5 Prozent).
Letzteres übrigens wieder eine deutsche Besonderheit: Wohl vor allem dank des dualen Systems sind die Arbeitslosenquoten von Menschen, die eine Ausbildung gemacht haben, im Schnitt genauso niedrig wie bei Gleichaltrigen, die studiert haben. Während im OECD-Schnitt der Sek-II-Bereich mit 6,9 Prozent Quote deutlich schlechter abschneidet als der Tertiärbereich.
Finanziell allerdings lohnt sich ein Hochschulabschluss auch in Deutschland im Vergleich zur Ausbildung massiv: Im Mittel liegt das Gehalt um rund 50 Prozent höher.
Bildungsfinanzierung: Absolut stark, relativ schwach
Wenn wir gerade über Geld reden – auch hier zeigt sich wieder die Widersprüche. Auf den ersten Blick sieht es bei der deutschen Bildungsfinanzierung nämlich alles gut aus: Deutschland gibt im Hochschulbereich 19.500 US-Dollar pro Kopf aus – deutlich mehr als der OECD-Durchschnitt von 15.102 US-Dollar. Auch in den vorgelagerten Bildungsstufen, vom Primar- bis zum postsekundaren nicht tertiären Bereich, sind es 14.503 US-Dollar, ein Wert im oberen Mittelfeld der OECD-Staaten.
Doch relativ zur Wirtschaftsleistung bleibt Deutschland wie seit vielen Jahren unterdurchschnittlich. Der Anteil der Ausgaben für Bildung am Bruttoinlandsprodukt liegt bei 4,4 Prozent – die OECD insgesamt bei 4,7 Prozent. Länder wie Großbritannien oder das reiche Norwegen kommen auf über sechs Prozent. Was zeigt, dass die Ausrede, dass Deutschland ja absolut trotzdem genügend in Bildung investiert, eine schwache ist.
Noch ein Wort zur internationalen Attraktivität als Studienstandort – und diesmal Befunde, die nicht aus dem OECD-Bericht, sondern aus der kürzlich erschienenen BintHo-Studie des DAAD stammen. Darin äußerten sich die meisten der befragten internationalen Studierenden zufrieden mit ihren Studienbedingungen, viele wollen bleiben – und ein beträchtlicher Teil sogar ein Unternehmen gründen. Zugleich berichten rund die Hälfte von Diskriminierungserfahrungen im Alltag. Ob Deutschland Magnet bleibt, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie sich die innenpolitische Stimmung zur Migration entwickelt – und ob die Bundesregierung trotz der Haushaltskrise genug in den internationalen Austausch investiert.
So zieht es sich durch, das deutsche Einerseits-Andererseits: Ein Land, das bei internationalen Studierenden attraktiv ist und bei MINT-Studierenden international führend, das aber relativ zum BIP vergleichsweise wenig für sein Bildungssystem ausgibt. Dessen duales System die Arbeitslosigkeit dämpft – und das gleichzeitig mit der größten Kompetenzkluft im OECD-Vergleich kämpft.
Deutschlands Bildung im internationalen Vergleich:
Weitere Befunde aus dem 600-Seiten-Bericht
Akademisches Personal: Stabilität schlägt Kostenersparnis
Deutschland gehört laut OECD zu den Ländern, in denen "Juniorbeschäftigte" den größten Teil des akademischen Personals ausmachen. "Bildung auf einen Blick" versteht darunter Einstiegsstellen vor allem auf Doktoranden- oder Postdoc-Level. 2023 lag ihr Anteil bei rund 44 Prozent, während lediglich 27 Prozent der Beschäftigten der Intermediate-Ebene und 26 Prozent der Senior-Ebene zugerechnet werden konnten. Nach Befristungsstatus wird hier nicht unterschieden. Fest steht aber: In Finnland etwa entfallen nur 18 Prozent auf Juniorstellen, aber 55 Prozent auf Intermediate-Positionen; in Norwegen sind es 20 Prozent Junior- und 52 Prozent Intermediate-Beschäftigte – bei jeweils 27 bis 28 Prozent Senior-Anteil. "Ein höherer Anteil kostengünstigerer Juniorbeschäftigter kann zu einer Verringerung der Kosten führen, wirft jedoch Fragen bezüglich der institutionellen Fähigkeit und der Qualität der akademischen Arbeit auf", schreibt die OECD – was man, bei allen statistischen Herausforderungen solcher internationaler Vergleiche, durchaus auch als Kommentierung des Karrieresystems an deutsche Hochschulen lesen kann. Konkret verdienen Juniorbeschäftigte im OECD-Schnitt rund 62.000 US-Dollar im Jahr, Seniorbeschäftigte etwa 108.000. In Deutschland liegen die tatsächlichen Gehälter teils über diesen Werten, doch bleibt die Struktur schief: fast die Hälfte in Einstiegspositionen, eine dünne Intermediate-Ebene.
Deutschlands Erwachsene im internationalen Kompetenzvergleich
Die im Bericht zitierten Ergebnisse von PIAAC, dem Erwachsenen-PISA der OECD, zeigen, dass Deutschland im internationalen Vergleich durchaus solide dasteht. So erreichen hierzulande über 50 Prozent der Erwachsenen beim Lesen mindestens Kompetenzstufe 3 – das ist leicht über dem OECD-Schnitt von rund 47 Prozent und deutlich besser als in Ländern wie Italien oder Spanien. Bei den alltagsmathematischen Kompetenzen liegt Deutschland mit etwa 31 Prozent auf den oberen Stufen 4 und 5 ebenfalls über dem OECD-Durchschnitt von 28 Prozent. Zugleich aber verfehlen rund 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland die Stufe 2 – ein Niveau, das als Mindestvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe gilt. Auffällig ist, dass bildungsferne Gruppen, Ältere und Zugewanderte besonders stark betroffen sind. Im Vergleich zu Spitzenreitern wie Finnland, Japan oder den Niederlanden, die weit höhere Anteile auf den obersten Kompetenzstufen erreichen, bleibt Deutschland damit im Mittelfeld.
Lehrermangel: Ein weltweites Problem, das Deutschland hart trifft
Der Lehrkräftemangel zieht sich mittlerweile durch fast alle OECD-Länder. Laut OECD lag der Anteil unbesetzter Lehrerstellen 2022/23 im Durchschnitt der Mitgliedsstaaten bei knapp drei Prozent; in Deutschland waren es hingegen gut sechs Prozent im Primarbereich und sogar knapp acht Prozent im Sekundarbereich I. Besonders problematisch ist die Altersstruktur an deutschen Schulen: Im Sekundarbereich I nur sechs Prozent der Lehrkräfte jünger als 30 Jahre, aber 39 Prozent bereits über 49 Jahre alt. Zum Vergleich: In Großbritannien liegt der Anteil der unter 30-Jährigen bei 15 Prozent, während nur 28 Prozent der Lehrkräfte über 49 sind. Damit zeigt sich: Deutschland hat vergleichsweise wenig junge Lehrer schwach da und zugleich eine stark alternde Lehrkräftebasis. Die Folge sind überlastete Kollegien, wachsender Einsatz von Quereinsteiger:innen und zunehmende Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen. Der Mangel ist international kein Einzelfall – doch in Deutschland hat er eine auch im internationalen Vergleich hohe Intensität.
Wie die Politik die OECD-Zahlen kommentiert
"Deutschland ist also MINT-Weltmeister!", kommentierte Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU). "Das ist der große Standortvorteil Deutschlands." Dieses Potenzial gelte es weiter zu heben – etwa mit der Weiterentwicklung des MINT-Aktionsplans, mit MissionMINT sowie durch eine große BAföG-Reform. Sie kündigte zudem an: "Wir werden das Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformieren, für verlässlichere Arbeitsbedingungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Wir setzen mit dem 1.000-Köpfe-Plus Programm ein Zeichen für Wissenschaftsfreiheit und bauen die Attraktivität des Standortes Deutschland weiter aus."
Für das Bundesbildungsministerium betonte die parlamentarische Staatssekretärin Mareike Wulf (CDU), Deutschland stehe im internationalen Vergleich besonders gut da, wenn es um berufliche Bildung und die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen gehe. "Doch die Studie zeigt auch: Wir haben noch zu viele geringqualifizierte Menschen und Defizite bei den Grundkompetenzen. Die vielen jungen Menschen ohne beruflichen Abschluss sind ein Risiko, sowohl für die ökonomische Leistungsfähigkeit unseres Landes als auch für den sozialen Zusammenhalt."
Anja Reinalter, parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Bundestagsfraktion und Sprecherin für Bildungspolitik, sagte, die OECD-Auswertung zeige erneut, "dass in Deutschland die sozialen Unterschiede beim Bildungserfolg im internationalen Vergleich sehr hoch sind". 15 Prozent aller jungen Erwachsenen hätten keinen Berufsabschluss, "damit bildet Deutschland unter den OECD-Ländern eines der Schlusslichter“". Mehr als 20 Prozent der Erwachsenen erreichten nur die niedrigste Kompetenzstufe im Lesen. Der Bund müsse Länder und Kommunen "mit gezielten Investitionen in die Bildung stärker unterstützen" – durch zusätzliche Mittel für Kitas, Ganztag, Digitalpakt 2.0 und Schulsanierung. Auch müsse die erfolgreiche Arbeit der AlphaDekade nach 2026 fortgeführt werden.
Bettina Martin (SPD), Wissenschaftsministerin in Mecklenburg-Vorpommern und Präsidentin der Wissenschaftsministerkonferenz der KMK, erklärte, es sei gelungen, den Anteil der jungen Erwachsenen mit einem Hochschul- oder Meisterabschluss (tertiär) von 33 auf 40 Prozent stark zu erhöhen. "Das ist eine gute Entwicklung, denn wir brauchen zunehmend hochqualifizierte Fachkräfte in Deutschland – gerade auch im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich, wo der Anteil derer mit einem Abschluss in Fächern international am höchsten ausfällt. Auch sind die deutschen Hochschulen in den vergangenen zehn Jahren für ausländische Studierende immer attraktiver geworden."
Und Katharina Günther-Wünsch (CDU), Bildungssenatorin von Berlin, äußerte sich für die Bildungsministerkonferenz der KMK: "Die OECD-Studie zeigt: Deutschland verfügt über starke Säulen – unsere duale Ausbildung eröffnet jungen Menschen Perspektiven, die frühkindliche Bildung erreicht immer mehr Kinder, und unsere Hochschulen ziehen internationale Talente an. Gleichzeitig macht der Bericht deutlich, wo wir handeln müssen: Chancengerechtigkeit stärken, Abschlüsse sichern und dem Lehrkräftemangel entschlossen begegnen, gerade in den MINT-Fächern."
OECD-Generalsekretär Mathias Cormann ordnete die Befunde im internationalen Kontext ein: "Das Bildungsniveau hat ein Allzeithoch erreicht: Etwa die Hälfte (48 Prozent) der jungen Erwachsenen schließt heute in den OECD-Ländern einen tertiären Bildungsgang ab, gegenüber lediglich 27 Prozent im Jahr 2000. Eine qualitativ hochwertige Hochschulbildung vermittelt den Studierenden die nötigen Kompetenzen, um die Chancen der im Wandel begriffenen Arbeitsmärkte zu nutzen."
Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), sagte, die Bildungspartizipation im Hochschulbereich sei in Deutschland erheblich ausgeweitet worden – auch dank Hochschulpakt und Zukunftsvertrag "Studium und Lehre stärken". Deutschland liege bei internationalen Studierenden "mit knapp 13 Prozent deutlich vor dem OECD-Schnitt von sieben Prozent". Kritisch sei jedoch, dass der familiäre Hintergrund weiter ein relevanter Faktor für den Studienzugang bleibe. "Um diese Schranken zu überwinden, hat die HRK mit ihrer jüngsten Empfehlung 'Chancengerechte akademische Bildung ohne Armutsrisiko' eine grundsätzliche Ausweitung des deutschen BAföG gefordert." Beim Geld falle der internationale Vergleich ambivalent aus: "Zwar gibt der deutsche Staat für jeden Studierenden mit rund 11.000 Dollar mehr als der OECD-Durchschnitt von 9.900 Dollar aus. Die Gesamtausgaben liegen inklusive nicht-staatlicher Mittel pro Studierenden mit 13.000 Dollar jedoch unter dem OECD-Durchschnitt von 14.500 Dollar."
Kommentare
#1 - OECD-Bericht "Bildung auf einen Blick"
Vielen Dank für den sehr informativen Beitrag über den OECD-Bericht. Dazu ein paar Anmerkungen über das Thema "Geld". Ein gutes Bildungssystem muss gut finanziert werden, das stimmt. Aber mehr Geld bedeutet nicht automatisch mehr Bildung. Man kann gerade im öffentlichen Sektor auch viel Geld für dummes Zeug ausgeben. Deshalb bin ich eher skeptisch, wenn immer wieder die Ausgaben als wichtiger Faktor für die Qualität einer staatlichen Leistung dargestellt werden.
Auch die PISA-Autoren stellten 2023 fest: „Zwar kann ein unzureichend ausgestattetes Bildungssystem keine guten Ergebnisse erzielen, doch Estland zählt mit seinen Bildungsausgaben, die rd. 30% unter dem OECD-Durchschnitt liegen, in Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften zu den leistungsstärksten OECD-Ländern“. „Dies zeigt, dass das Bildungswesen zwar angemessen ausgestattet sein muss …, jedoch kein hohes Ausgabenniveau je Schüler erforderlich ist, um Spitzenleistungen … zu erzielen.“
Das Bundesland Berlin hat mittlerweile die höchsten Ausgaben pro Schüler in Deutschland, bleibt aber trotzdem im Vergleich der Bundesländer unbeweglich auf dem vorletzten Platz. Hamburg gibt - trotz sehr ähnlicher soziale Lage wie Berlin - pro Schüler 15% weniger Geld aus. Dennoch konnten sich Hamburgs Schülerinnen und Schüler bei den bundesweiten Schülervergleichen (IQB-Studien) auf Plätze in der oberen Hälfte der 16 Bundesländer verbessern und liegen heute weit vor Berlin. Mit Geld ist das nicht zu erklären.
Bei den internationalen Bildungsausgaben lohnt zudem der Blick ins Kleingedruckte. Nicht immer, aber durchaus häufiger, werden auch private Ausgaben für Bildung in die Gesamtausgaben eines Landes eingerechnet. Hohe private Studiengebühren in den angelsächsischen Ländern werden bei solchen Berechnungen vorschnell zum Beweis dafür, dass ein Land viel in die Bildung investiert. Tatsächlich sind es eher die Eltern, während sich der Staat vornehm zurückhält.
Zuletzt der Hinweis auf die Berechnung. Es ist richtig, dass Deutschland relativ zu seiner Wirtschaftskraft nur mäßig viel Geld für Bildung investiert. Und natürlich wünsche ich mir als früherer Bildungspolitiker mehr Geld für die Bildung. Auch ich muss aber konzidieren, dass ein Land mit wenig Jugend wie Deutschland umgekehrt in anderen Lebensbereichen hohe Ausgaben hat - beispielsweise in der Pflege der vielen älteren Menschen.
Und zudem gilt: Wenn ein "armes Land" 10% seines BIP für die Schulen ausgibt und damit pro Schüler 3.000 Euro im Jahr investiert, ist die Bildung dort trotzdem nicht besser als in einem "reichen" Land, dass vielleicht nur 3% seines BIP für die Schulen ausgibt, aber damit pro Schüler 9.000 Euro im Jahr investiert.
Wesentlich wichtiger für die Qualität des Bildungssystems eines Landes ist jedoch in jedem Fall, ob Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in einem Bildungssystem gut gebildet werden. Hier liefert die neue Studie durchaus wichtige Hinweise.
Ties Rabe, Hamburger Senator für Schule und Berufsbildung a.D.
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