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Lehrkräfte zufrieden, Deutschland abwesend

Die internationale Pädagogenbefragung TALIS offenbart Motivation, Stress und neue Herausforderungen im Lehrerberuf – doch Deutschland macht nicht mit. Das muss sich ändern.
Vektorgrafik einer diversen Gruppe von Lehrerinnen und Lehrer in einem Klassenraum.

Illustration: gstudioimagen / freepik.

DER DEUTSCHE PHILOLOGENVERBAND (DPhV) ist eine Lobbyorganisation hauptsächlich für Gymnasiallehrer. Das sollte man bei seinen Stellungnahmen nicht vergessen, auch wenn sie häufig so staatstragend daherkommen, als dienten sie allein dem Wohl der Allgemeinheit.

Wenn etwa die DPhV-Bundesvorsitzende Susanne Lin-Klitzing wie an diesem Mittwoch verlangt, die Sommerferien in allen Bundesländern frühestens ab dem ersten Juli-Wochenende beginnen zu lassen, weil die Zeitfenster für die Abiturprüfungen sonst teilweise unzumutbar kurz seien, dann ist ihr das flächendeckende kollegiale Kopfnicken außerhalb Bayerns und Baden-Württembergs gewiss. Doch weiß sie genau, dass die Rotation der übrigen Bundesländer und die dafür vorgesehenen Zeiträume so oft verhandelt worden sind zwischen den Bildungsministern, dass weitere grundsätzliche Anpassungen nahezu ausgeschlossen sind.

Zwar auch Verbands-PR, aber außerordentlich berechtigt war dagegen eine andere DPhV-Forderung nur einen Tag davor. Da hatte der Industriestaatenverband OECD gerade die Ergebnisse der internationalen Lehrkräftebefragung "TALIS 2024" veröffentlicht – beruhend auf den Antworten von 280.000 Pädagoginnen und Pädagogen aus 55 Staaten und Regionen. Nicht dabei: Deutschland. Äußerst unglücklich, findet der Philologenverband, und hat Recht damit. "Die Erhebung untersuchte Aspekte wie Zufriedenheit oder Unterrichtsmethoden, nur für Deutschland gibt es auch 2025 wieder keine vergleichbaren Erkenntnisse." Und Lin-Klitzing fügte hinzu, die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften für das Unterrichten zu analysieren, "täte auch Deutschland gut".

Die deutsche Lehrkräfteausbildung sei kaum mit der anderer Staaten vergleichbar, begründete das Sekretariat der Bildungsministerkonferenz laut Table Media die deutsche Nicht-Teilnahme. Außerdem würden in vielen anderen nationalen und internationalen Vergleichsstudien ähnliche Informationen erhoben. Gleichzeitig, so die Versicherung, stünden die Bildungsminister der Länder einem künftigen Mitmachen "grundsätzlich offen" gegenüber. Allerdings müsse der Nutzen gegen die "nicht unerheblichen organisatorischen, finanziellen und datenschutzrechtlichen Anforderungen" abgewogen werden. Das klingt nach Taktieren: Mal schauen, wie hoch der Debattendruck wird.

Nicht nur, aber auch vor dem Hintergrund der Debatte um Stressbelastung und tatsächlichen Arbeitszeiten. Vielleicht käme bei der Befragung sogar heraus, dass die Lehrkräfte auch in Deutschland zufriedener sind, als gemeinhin vermutet. Im internationalen Durchschnitt sind sie das nämlich – trotz wachsender Herausforderungen. Neun von zehn Lehrkräften gaben bei TALIS an, insgesamt mit ihrer Arbeit zufrieden zu sein, und fast drei Viertel würden den Beruf erneut wählen. Zudem sagen 95 Prozent, sie fühlten sich beim Unterrichten häufig glücklich.

Lehrerberuf im Wandel

Zugleich verweist der Bericht auf tiefgreifende Veränderungen im Lehrerberuf: Das Durchschnittsalter der Lehrkräfte liegt inzwischen bei 45 Jahren, in Ländern wie Lettland oder Portugal sogar bei über 50. Viele Staaten reagieren darauf, indem sie verstärkt Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger gewinnen – etwa in Island oder Australien. Und auch neue Technologien halten Einzug in den Schulalltag: Rund ein Drittel der Lehrkräfte nutzt bereits KI-Tools, während viele zugleich Sorge vor mehr Betrug und Plagiaten äußern.

Lin-Klitzing indes verweist auf drei Ergebnisse der 2024er-Auswertung – und zieht Schlussfolgerungen für Deutschland. Erstens: Junge Lehrkräfte stünden international zunehmend unter Druck. Um Abbrüche und Unzufriedenheit zu vermeiden, fordert der DPhV eine Stärkung des Vorbereitungsdienstes, anstatt ihn angesichts des Lehrermangels zu kürzen. Zweitens: Die Studie zeige, dass Lehrkräfte in Ländern mit stark datengestützter Schulentwicklung wie Alberta oder Australien überdurchschnittlich häufig unter Stress litten. Da auch Deutschlands Schulpolitik zunehmend mit Daten arbeiten will, mahnt der Verband, vor Einführung neuer Instrumente müssten bestehende Belastungen abgebaut und zusätzliche Ressourcen bereitgestellt werden. Drittens: Lettland, Litauen, Estland und Singapur würden deutschen Lehrkräften häufig als Vorzeigeländer in Bezug auf Digitalisierung und schulische Leistungsergebnisse präsentiert. "Aus Lehrkräftesicht nehmen wir in der TALIS-Untersuchung mit Erstaunen zur Kenntnis, dass es gerade diese vier Länder sind, in denen die unter-30-jährigen Sekundarschullehrkräfte am häufigsten, zum Teil mit mehr als 50 Prozent, angeben, den Lehrberuf in den nächsten fünf Jahren aufgeben zu wollen. Das wollen wir in Deutschland nicht!", mahnt Lin-Klitzing. Was das über den Digitalisierungsstand und die PISA-Leistungen in Deutschland aussagt, lässt Lin-Klitzing offen. Sehr wohl aber, dass man erstmal wissen müsse, wie es tatsächlich in Deutschland aussieht.

Wie wahr. 2030 steht die nächste TALIS-Runde an. Dann sollte die Bundesrepublik endlich dabei sein. Die Ergebnisse könnten die Debatte über den Lehrerberuf und seine Herausforderungen versachlichen, das müsste auch im Interesse der Bildungsminister sein. Ein Totschlagargument, sonst gern mal von Lehrerverbänden eingesetzt, müssen sie jedenfalls von Seiten des Philologenverbands nicht befürchten: die bürokratische Mehrbelastung durch die Befragung.

Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meinem kostenfreien Newsletter.

Kommentare

#1 -

Wolfgang Kühnel | Do., 09.10.2025 - 15:52

"Das sollte man bei seinen Stellungnahmen nicht vergessen, auch wenn sie häufig so staatstragend daherkommen, als dienten sie allein dem Wohl der Allgemeinheit."

Richtig, aber das sollte man auch immer dann anmerken, wenn sich angeblich "gemeinnützige" Organisationen wie das "Forum Bildung Digitalisierung" äußern, hinter dem die Bertelsmann-Stiftung, die Vodafone-Stiftung, die Telekom-Stiftung, sie Bosch-Stiftung, die Siemens-Stiftung und noch weitere unternehmensnahe Stiftungen stecken. Da wird noch viel aufdringlicher und mit peinlichem Eigenlob so getan, als wolle man dem Wohle der Allgemeinheit dienen, man bezeichnet sich selbst als "Zivilgesellschaft". In Wahrheit geht es um das Geschäft mit der Digitalisierung.


 

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