Direkt zum Inhalt

Ein Hoch auf die Struktur!

Die ZEIT hat vergangenen Donnerstag das Ergebnis ihrer Crowdsourcing-Aktion unter Doktoranden und Postdocs veröffentlicht, und die ersten Deutungen sind die erwartbaren. Dass 81 Prozent der fast 7000 Teilnehmer angaben, sie spielten mit dem Gedanken, aus der Wissenschaft auszusteigen, wird (wieder mal!) als Warnsignal gewertet, wie unattraktiv doch die Karrierewege in Hochschulen und Forschungseinrichtungen seien. Was sicherlich stimmt, obgleich die Attraktivität eines Jobs ein relativer Wert ist in konkurrierenden Arbeitsmärkten und es für Akademiker auch andere Betätigungsfelder gibt, die ähnlich prekär sind und auch nicht gerade fürstlich bezahlt werden.

Mir geht es aber heute um einen anderen Punkt, ein anderes Ergebnis der Umfrage, das noch ein bisschen mehr Beachtung verdient. 58 Prozent der Doktoranden fühlen sich intensiv oder sogar sehr intensiv von ihrem Professor/ihrer Professorin betreut – ein ermutigendes Ergebnis, wie ich finde. Und bemerkenswert, wenn man sich die Details ansieht: Während 18 Prozent aller Doktoranden ihre Betreuung als "sehr intensiv" einschätzen, sagen sogar dies 24 Prozent der Doktoranden an Graduiertenschulen. Und während Doktoranden am Lehrstuhl in der Woche im Schnitt 22 Stunden auf ihre eigene Forschung verwenden können, stehen ihren Kollegen in den Graduiertenschulen 37 Stunden zur Verfügung.

Die Schlussfolgerung ist für mich eindeutig: Der strukturierten Promotion gehört die Zukunft. In einem Land, das pro 1000 Einwohner mehr Promovierte produziert als irgendein anderer Staat in Europa (und wir wissen bislang nicht, wie viele zusätzlich auf dem Weg zur Promotion auf der Strecke bleiben), liegt der Schlüssel zu mehr Karrierechancen für Promovierte nicht nur in mehr Dauerstellen, sondern auch in einer Reduzierung der Doktorandenzahlen. Und falls Wissenschaft und Politik jemals den Mut haben, diese eigentlich logische Konsequenz zu ziehen, ist völlig klar, wo weggeschnitten werden muss: bei den externen Promotionen, aber auch beim Nachwuchs am Lehrstuhl, dem Heer der Hilfskräfte, die allzu oft den Seniorforschern vorrangig als günstige Arbeitskräfte dienen.

In den vergangenen Jahren ist zu Recht viel über die Qualität von Promotionen, über Plagiate und belanglose Forschungsergebnisse diskutiert worden. Meine (statistisch nicht belegte) Vermutung: Die wenigsten davon stammen aus den strukturierten Programmen mit klaren Regeln, mit einer – jetzt auch dank der ZEIT-Kampagne – nachgewiesen guten Betreuung und mit transparenten Qualitätsstandards.

Also: Mehr Karrierechancen für Nachwuchsforscher in und nach der Postdon-Phase sind schön und wichtig. Genauso wichtig: Wir brauchen insgesamt weniger Doktoranden, und wir brauchen noch mehr strukturierte Promotionsprogramme.


Nachtrag am 7.12.2015: Im heutigen ZEIT Chancen Brief würdigt meine Kollegin Anna-Lena Scholz zu Recht die Rolle der GEW (und speziell von Andreas Keller) bei den Bemühungen, das Thema prekäre Wissenschaftlerkarrieren auf die politische Agenda zu setzen. Lesenswert!

Kommentare

#1 -

Klaus Diepold | Mo., 07.12.2015 - 23:28
Lieber Herr Wiarda,
dieses mal bin kann ich mich Ihrer Meinung, die Sie in Ihrem Blog formuliert haben nicht anschließen. Die Aussage, dass wir weniger DoktorandInnen haben sollen passt nicht mit der Tendenz zusammen an den Unis immer mehr Studierende bei immer besserem Betreuungsverhältnis haben zu wollen. Wer leistet die Betreuung, wenn es weniger DoktorandInnen geben soll ? Die DoktorandInnen tragen einen wesentlichen Teil der Lehrlast an den Universitäten, seien sie aus Landesmitteln oder aus Drittmitteln finanziert. Auch mit der Exzellenzinitiative passt das nicht ganz zusammen. Wofür werden denn große Teile der Exzellenzmilliarden ausgegeben - für zusätzliche DoktorandInnen. Also ist nicht damit zu rechnen, dass deren Zahl abnimmt.

Ich bin schon der Meinung, dass die verbesserte Strukturierung der Promotionsphase Vorteile für die DoktorandInnen bringt, wenngleich ich nicht vorbehaltlos den Graduiertenzentren das Wort reden will. Da gibt es zwischen den Fachdisziplinen z.T. große Unterschiede. Bei einer Promotion im Rahmen der Ingenieurwissenschaften spielt z.B. die Zusammenarbeit mit der Industrie und die dabei gewonnenen Praxiserfahrungen eine größere Rolle als in anderen Disziplinen. Mit anderen Worten: die überfachlichen Kompetenzen spielen neben den fachlichen Qualifikationen eine zunehmend wichtigere Rolle. Und viele dieser Kompetenzen werden eben nicht dadurch erworben im Graduiertenkolleg einen Kurs über Personalführung oder Projektmanagement gehört zu haben, sondern dadurch, dass der/die Doktorandin diese Tätigkeiten ausführt und Erfahrungen sammelt.

Die Statistiken sind interessant und wir sollten die Zahlen ernst nehmen. Neben der Verfolgung und Analyse der Zahlen sollte aus meiner Sicht auch zunehmend die Wertigkeit und die Zielsetzung der Promotion diskutiert werden. Das hängt mit unserer allfälligen Bildungsinflation zusammen (doch noch einmal Alison Wolf lesen), auch wenn dass das IFO Institut möglicherweise anders sieht.

Beste Grüße,
Klaus Diepold

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Vorherige Beiträge in dieser Kategorie


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Weg mit dem NC?

Wieder Theresia Bauer. Erst neulich hat sie mit ihrem Vorschlag, einen Exzellenzbonus an die forschungsstärksten Hochschulen zu verteilen, die Debatte um die Zukunft der Exzellenzinitiative aufgemischt. Jetzt denkt sie erneut laut nach und stellt die überragende Rolle der Abiturnoten bei der Studienplatzvergabe in Frage.


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Wer nicht kommt, verliert

Der folgende Artikel über Sinn und Unsinn einer Anwesenheitspflicht im Studium ist auch in der heutigen Ausgabe der ZEIT erschienen. Hier ergänzt um eine Bemerkung am Ende. Svenja Schulze schwärmte von einem »Meilenstein«. Das neue Hochschulgesetz der rot-grünen Landesregierung bringe an den Hochschulen endlich...


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Das große Zählen

Woran genau scheitern eigentlich deutsche Studienanfänger? Klar, fragt man Professoren, können die mit jeder Menge Anekdoten aufwarten – von Germanistikstudenten, die in einem zweiseitigen Essay 12 Rechtschreibfehler unterbringen. Von Ingenieur-Erstsemestern, die in der Mathe I - Prüfung nicht mal den Dreisatz richtig anwenden. Oder auch von Möchtegern-Biologen, die Chemie nach der 10.


Nachfolgende Beiträge in dieser Kategorie


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Abschied vom Lehrstuhl?

Vor einigen Tagen hatte ich an dieser Stelle eine Lobeshymne auf die strukturierte Promotion verfasst. Der Kernsatz: Mehr Karrierechancen für Nachwuchsforscher in und nach der Postdoc-Phase sind schön und wichtig. Genauso wichtig: Wir brauchen insgesamt weniger Doktoranden, und wir brauchen noch mehr strukturierte Promotionsprogramme.


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Heute wünsche ich mir was

Kurz vor Weihnachten wird es in Hamburg nochmal technisch. Die grüne Wissenschaftssenatorin Katharina Hegebank will bei der Hochschulzulassung das sogenannte Bandbreitenmodell einführen. Wen schon dieses Wort abschreckt, für den habe ich einen weiteren Begriff, der die Absurdität beschreibt, mit der...


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Die Trends des Jahres 2015 – und was sie für 2016 erwarten lassen

Eine Berliner Tageszeitung titelte neulich: "Das Beste an 2015? Dass es vorbei ist." Das kann man so sehen angesichts der weltweiten Krisen, angesichts von Krieg und Terror. Für die Bildung und für die Wissenschaft in Deutschland aber gilt das sicher nicht. Das Jahr 2015 hat viele Veränderungen gebracht. Man konnte sich über sie ärgern, man konnte sich über sie freuen.