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Keine Ruhe in Göttingen

Die Universität löst den Konflikt um den Rücktritt ihres Vizepräsidenten. Dafür herrscht nun Aufregung um die Zukunft der Staats- und Universitätsbibliothek – und andere Vorschläge einer vom Präsidium beauftragten Unternehmensberatung.

DER ABSURD ANMUTENDE PERSONALSTREIT an der Universität Göttingen hat nach knapp drei Monaten einen Abschluss gefunden. Wie berichtet hatte Unipräsident Metin Tolan am 11. April den Senat per Mail informiert, dass der hauptamtliche Vizepräsident für Digitalisierung und Infrastrukturen, Norbert Lossau, zurückgetreten sei – was dieser anderthalb Stunden später ebenfalls per Mail bestritt. Es folgte ein nur teilweise hinter den Kulissen ausgetragenes Hin und Her, unter anderem war von strategischen Konflikten und einem zerstörten Vertrauensverhältnis die Rede. Dann herrschte über Wochen Schweigen – abgesehen von Andeutungen, dass man gemeinsam über eine gütliche Einigung verhandle. 

 

Am Montag nun verkündete die Universität per Pressemitteilung, dass Lossau von Juli 2023 an die Leitung der "Hochschule.digital Niedersachsen" übernehme, einem Dachverbund aller niedersächsischen Hochschulen zur Digitalisierung, gegründet von der  Landeshochschulkonferenz Niedersachsen und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Unipräsident Tolan dankte der Meldung zufolge Lossau für seine über zehnjährige Tätigkeit im Präsidium der Universität Göttingen. Lossau war seit 2012 Vizepräsident, vorher leitete er sechs Jahre lang als Direktor die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB).

 

Lossau habe die Stiftungsuniversität in Bau, Liegenschaftsverwaltung und insbesondere bei der Digitalisierung aller Ebenen der Universität "enorm vorangebracht", so Tolan. Auch Lossau wird zitiert: "Ich habe mich gern für die Universität Göttingen und den Wissenschaftsstandort Göttingen eingesetzt und freue mich, meine Erkenntnisse nunmehr der gesamten niedersächsischen Hochschullandschaft zur Verfügung zu stellen." Schon früh direkt in den Konflikt eingeschaltet hatte sich Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) – unter anderem, indem alle Beteiligten aufgefordert worden waren, sich nicht weiter öffentlich zu äußern. Jetzt kommentierte Mohrs: "Die weitere, miteinander vernetzte Digitalisierung der niedersächsischen Hochschullandschaft ist uns wichtig – um die Innovationsfähigkeit und die Attraktivität Niedersachsens zu fördern."

 

Auf welche Deutung der Ereignisse
hat man sich geeinigt?

 

Abgesehen von dem neuen Job für den Ex-Vizepräsidenten wäre freilich spannend zu erfahren, auf welche Deutung genau man sich für die Ereignisse rund um den bestrittenen Rücktritt geeinigt hat. Lossau selbst und die Universität äußerten sich dazu nicht. Einen Hinweis allerdings enthält die Pressemitteilung. Darin heißt es, Lossau sei "vor seinem Wechsel" Vizepräsident gewesen – was man so verstehen kann, dass er juristisch gesehen noch bis Ende Juni im Amt war. Sollte dies zutreffen, hätte sich die bisherige Darstellung von Hochschulleitung und Stiftungsrat, Lossaus Rücktritt sei im April mit sofortiger Wirkung zurückgetreten, erledigt.

 

Der Senat der Universität hatte in einer Erklärung kurz nach Beginn der Causa Losau heftige Kritik am Vorgehen der Hochschulleitung und auch des Stiftungsratsvorsitzenden Peter Strohschneider geübt. Die schon zum damaligen Zeitpunkt erkennbaren Auswirkungen auf die Reputation der Georg-August-Universität seien "verheerend und gefährden zusätzlich die laufende Exzellenzinitative". Stiftungsrat und Dekane hatten sich dagegen auf die Seite von Präsident Tolan gestellt. 

 

Allerdings scheint trotz des beendeten Kündigungsstreits keine Ruhe in Göttingen einzukehren. In den vergangenen Tagen schrieb zuerst das Göttinger Tageblatt über Aufregung um das Projekt "Pro.Admin", das die Universitätsleitung aufgelegt hat, um die Prozesse in der Zentralverwaltung und in den zentralen Einrichtungen zu optimieren. Dazu hat man die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) an Bord geholt, die über drei Monate hinweg eine Analyse vorgenommen hat, das Ergebnis war zunächst ein sogenanntes "Grobzielbild", das im Laufe der nächsten zwölf Monate zu einem "Feinzielbild" weiterentwickelt werden soll.

 

Aufregung um die Vorschläge
einer Unternehmensberatung

 

Betroffen von möglichen Umstrukturierungen soll unter anderem die SUB sein – ausgerechnet Lossaus alte Wirkungsstätte. Das Göttinger Tageblatt  zitierte Anfang der Woche aus einer Rund-Mail der SUB-Direktion an die Belegschaft, in der zu einem offenen Treffen eingeladen worden sei. Außerdem liege der Redaktion ein Bericht aus der Versammlung vor, in dem von "völlig überraschten und konsternierten" Angestellten die Rede sei. Mir gegenüber äußerten Uni-Mitarbeiter die Befürchtung, die SUB solle im Wesentlichen auf ihre Basisfunktionen der Bücherverwaltung reduziert werden. Viele Mitarbeiter, sagen sie, müssten dann die Bibliothek verlassen. Das Tageblatt gibt die Einschätzung eines Teilnehmers der Versammlung wieder, die BCG-Vorschläge hätten letztlich etwas von einem "Zerschlagungsprozess" und einer "Abwicklung" der SUB.

 

Dass Strategie-, Struktur- und Veränderungsprozesse auf Ängste und Widerstände stoßen, ist freilich auch an Universitäten nichts Ungewöhnliches – und spricht nicht zwangsläufig gegen (manchmal sogar eher für) diese. Am Ende ist entscheidend, ob die Hochschulleitung in der Lage ist, die Mehrheit der Universität dabei mitzunehmen. Derzeit schweigt das Präsidium öffentlich noch zu den Details. Der Pressesprecher der Universität, Thomas Richter, sagte auf Anfrage, zu internen Planungen und Prozessen, "die noch nicht einmal in den akademischen Gremien besprochen wurden", werde sich die Universitätsleitung nicht äußern.

 

In der Rundmail an die Belegschaft berichtet die SUB-Direktion laut Göttinger Tageblatt, die Umsetzung der empfohlenen "Grobzielplanung" würde bedeuten, dass alle bisher direkt der SUB-Direktion zugeordneten Stellen entweder in potentiell geeignete Stellen der Zentralverwaltung der Universität überführt oder in die Linienorganisation der verbleibenden fünf Abteilungen integriert würden. Auch sei empfohlen worden, "zu prüfen, ob die Direktion der SUB notwendig sei".

 

Vizepräsidentin verspricht
hochschulweiten Austausch

 

Wobei, wie die Direktion der Bibliothek in dem Schreiben an die Belegschaft selbst einräumt, dass bis zur "Feinzielplanung" noch völlig offen sei, was von den diskutierten Vorschlägen umgesetzt wird. 

 

Im Universitäts-Newsletter hatte die für Finanzen und Personal zuständige Vizepräsidentin Valérie Schüller zu Beginn der BCG-Analyse Mitte März ausgeführt, es gehe um ein "zukunftsfähiges Zielbild für die universitäre Verwaltung". Weiter schrieb sie von einem "Gesamtkonzept des zielgerichteten Wandels", das zusammen mit seiner Detaillierung "zentraler Ankerpunkt" des hochschulweiten Austauschformats in der zweiten Phase sein werde. "Neben längerfristigen Entwicklungen sollen insbesondere auch zeitnahe Veränderungen vorangetrieben werden."

 

Am 12. Juli soll BCG die aktuellen Pläne im Senat der Universität präsentieren, am 22. August soll, offenbart als Start der von Schüller erwähnten Phase zwei, ein "Townhall Meeting" stattfinden, um die Universitätsöffentlichkeit über den Stand von "Pro.Admin" zu informieren. 

 

Dabei dürften laut Insiderinformationen neben den diskutierten Strukturveränderungen an der SUB auch die BCG-Vorschläge eine Rolle spielen, tiefgreifende Strukturveränderungen bei der "Abteilung Göttingen International" vorzunehmen und ebenso bei der "Stabsstelle Chancengleichheit und Diversität". Während es der Hochschulleitung ganz offensichtlich um eine strategische Stärkung der Universität gerade im Vorfeld der neuen Exzellenzstrategie-Runde geht, fürchten Kritiker, zukunftsweisende Querschnittsthemen könnten im Falle einer Umsetzung "massiv geschwächt und degradiert" werden. 

 

Unterdessen twitterte der Dekan der Juristischen Fakultät, Hans Michael Heinig, die SUB gehöre zu den profilierten und leistungsstarken Bibliotheken in Deutschland. "Wieso sollte die Uni  die 'zerschlagen' oder mutwillig beschädigen wollen?" Die uniinterne "Höchsterregung über Quisqiulia" drohe jeden Versuch der Organisationsentwicklung zum Scheitern zu bringen.

 

 

Nachtrag am 11.Juli:

Ein offener Brief und eine Stellungnahme der Universitätsleitung

Einen Offener Brief zur Unterstützung der SUB haben seit Sonntag über 1900 Menschen unterzeichnet. Unter der Überschrift "Für eine Bibliothek mit Zukunft" heißt es unter anderem, eine Umsetzung der von der BCG vorgeschlagenen Umstrukturierung würde der SUB wesentliche Handlungsspielräume nehmen und eine Umkehr ihrer Entwicklung als moderne Forschungsinfrastruktur in einer digital vernetzten Wissenschaftslandschaft darstellen. Die SUB Göttingen habe eine lange Tradition und eine klare Mission. "Sie ist renommierte Vorreiterin und Partnerin für eine zukunftssichere Forschungs- und Informationsinfrastruktur einschließlich der Umsetzung von Open Science Policies in Deutschland und international. Diese profilierte Schnittstelle zwischen Forschung und Infrastruktur muss erhalten bleiben."

 

Die Universität kündigte am Montag in einer Pressemitteilung an, die Präsentation der BCG-Vorschläge am Mittwochnachmittag im Senat werde in der Alten Aula stattfinden und in die nahegelegene Alte Mensa übertragen, "so dass es genügend Plätze geben wird, um aus erster Hand die Ergebnisse und den Diskussionsprozess zu verfolgen. Dadurch wird größtmögliche Transparenz in diesem Prozess angestrebt." Die Analyseergebnisse und Vorschläge würden ergebnisoffen diskutiert, betonte die Universitätsleitung weiter und führte im Detail die geplanten Stationen der universitären Willensbildungsprozess aus, inklusive Gremienbefassung, universitätsöffentlichem TownHall-Meeting und einem weiteren zwölf Monate umfassenden Prozess. 


Zu den Befürchtungen rund um die künftige Entwicklung der SUB betonte die Pressemitteilung, weder der Auftrag noch die Analyse und der Vorschlag sähen eine Änderung der Aufgaben der SUB vor. "Vielmehr geht es um die Optimierung von Verwaltungsstrukturen, auch von denen, die sich zwischen Universität und SUB sowie anderen Zentralen Einrichtungen möglicherweise doppeln." Wie weit dies gehen könne, werde eine genauere Analyse erst noch zeigen. "Das Ziel ist es aber auf jeden Fall, den Charakter der SUB als führende Forschungsbibliothek weiter zu stärken, da der SUB in verschiedenen Forschungsvorhaben eine Schlüsselrolle zukommt." Für die mit einem Änderungsprozess einhergehenden Ängste und Unsicherheiten äußerte die Universitätsleitung Verständnis. "Wir werden auch die weiteren Schritte in enger Abstimmung und unter Beteiligung der genannten Bereiche durchführen und hoffen auf die Bereitschaft Aller, mit uns eine offene Diskussion zu führen, ohne die Notwendigkeit von Veränderung ZUM WOHLE ALLER aus dem Blick zu verlieren."


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