· 

"Das ist wie mit dem Zähneputzen"

Ein Gespräch über gute Hochschullehre zwischen Innovationsförderung und Grundfinanzierung – und die Arbeit einer Stiftung, die der Lehre zu mehr Anerkennung verhelfen soll.

Cornelia Raue ist Geschäftsführender Vorstand der Stiftung Innovation in der Hochschullehre. Die gelernte Buchhändlerin und ausgebildete Organisationsberaterin arbeitet seit 20 Jahren im Wissenschaftsmanagement. Foto: David Außerhofer.

Frau Raue, zu Anfang eine dumme Frage: Warum braucht Hochschullehre eigentlich "Innovation"? Haben gute Lehrende es nicht zu allen Zeiten verstanden, ihre Zuhörer zu packen und ihnen das begreifbar zu machen, worauf es ankam? 

 

Das ist keine dumme Frage, es stimmt ja, was Sie sagen. Nur sollte ausgezeichnete Hochschullehre kein Zufall sein und nicht vom Talent einzelner abhängen. Gute Hochschullehre hat viel mit Strategie und Handwerk zu tun, und das kann man entwickeln, lernen und weitergeben. Und auch wenn es einen dauerhaften Kern dessen geben mag, was gute Lehre ausmacht, so ändert der technologische Fortschritt doch die Instrumente, die ihr zur Verfügung stehen. Es ändern sich das Wissen und die Fertigkeiten, die es zu vermitteln gilt, und der Wandel der Gesellschaft führt zu ständig neuen Anforderungen an die Hochschulen. Immer mehr Berufe bedürfen einer akademischen Ausbildung, rund die Hälfte eines Altersjahrgangs studiert, wir erleben globale Krisen. Auf all das muss die Hochschullehre reagieren, manchmal schnell reagieren, denken Sie an die Corona-Krise, denken Sie an Künstliche Intelligenz und ChatGPT, und dafür muss die Hochschullehre in der Lage sein, sich ständig selbst zu erneuern.

 

Das heißt, Ihre Stiftung fördert neue Strukturen, Modelle und Ideen – und nicht Lehrpersönlichkeiten?

 

Wir fördern strukturelle Veränderungen durch Modellprojekte und Impulse. Am Ende werden aber Strukturen, auch an den Hochschulen, von Menschen gemacht. Darum heißt auch eine unserer drei Programmlinien "Freiraum" und ist auf Personen zugeschnitten. So, wie vor zehn, 15 Jahren der Schlachtruf in der Forschung lautete, in die Köpfe zu investieren, kommt es auch in der Lehre zunächst vor allem auf die Köpfe an. Durch die Förderung und Verbreitung ihrer Ideen entsteht dann etwas Neues, Hochschulübergreifendes. 

 

Das klingt nach Begeisterung, nach Aufbruch. Allerdings hat die Stiftung vergangenes Jahr mit ihrer ersten "Freiraum"-Ausschreibung gleich großen Frust verursacht. Gastautoren sprachen in der ZEIT sogar von einem "Skandal". 

 

Sie sagen es: Das war unsere allererste "Freiraum"-Ausschreibung, wir hatten keine Referenzpunkte. Unser Ziel war, keine thematische und auch keine fachliche Vorgabe zu machen und all den Ideen, die irgendwo da draußen in den Köpfen und Schubladen steckten, eine Chance zu geben. Wir haben die Zahl der Anträge auf die ersten 600 begrenzt und diese dann in einem wissenschaftsgeleiteten Verfahren begutachtet. Da haben wir dann ziemlich viel Wind bekommen, das ist richtig – weil manche fanden, wir hätten unnötig Druck erzeugt. Man muss allerdings auch sehen, dass uns in der Stiftung nur 34 Stellen zur Verfügung stehen, um tausende von Anträgen zu bearbeiten. Wie auch immer: Wir haben daraus gelernt und das Verfahren in der zweiten Ausschreibungsrunde geändert.

 

"Niemand kann Interesse haben an einem
riesigen Antragsaufwand, wenn dann
die Förderquote bei ein oder zwei Prozent liegt."

 

Sie haben ein Losverfahren eingeführt.

 

Im Rahmen eines mehrstufigen Verfahrens, ja. Um an den Hochschulen nicht jede Menge unnötige Arbeit zu verursachen, reicht es jetzt, wenn die Antragstellenden erst einmal eine Interessenbekundung abgeben. Rund 4500 sind bei uns eingegangen. Aus diesen haben wir, wissenschaftlich begleitet von Statistikern und Volkswirten, rund 500 ausgelost. Eine Zahl, die für uns bewältigbar ist im Rahmen eines Auswahlverfahrens. Ich meine, das ist eine für beide Seiten, Stiftung und Antragstellende, faire und ressourcenschonende Lösung. Niemand kann Interesse haben an einem riesigen Antragsaufwand, wenn dann die Förderquote bei ein oder zwei Prozent liegt.

 

Wie messen Sie, ob aus einem Antrag eine echte Innovation und ein Fortschritt für die Hochschullehre entsteht?

 

Die Projekte müssen eigene Kriterien entwickeln, wie sie ihren Erfolg messen wollen. Insofern habe ich da keine eindeutige Antwort für Sie. Es macht gerade den Reiz von "Freiraum" aus, dass da ganz Neues erprobt wird. Daher gibt es auch nicht das Verdikt, das alle sofort erfolgreich sein müssen. Wir stehen als Stiftung dafür, dass man aus einem Scheitern lernen darf. Allerdings müssen auch andere daraus lernen können, deshalb bauen wir eine Datenbank auf, die nachvollziehbar macht, welche Experimente und Verfahren sich als nicht geeignet erwiesen haben. Fehler sollen gemacht, sie sollen aber nicht mehrfach von unterschiedlichen Projekten gemacht werden. Allerdings gehört zur Wahrheit dazu, dass Sie nicht von jedem einzelnen, teilweise kleinen Projekt eine allen Ansprüchen genügende Wirksamkeitsforschung erwarten dürfen. 

 

Am Ende muss aber zumindest die Stiftung gegenüber der Politik und dem Steuerzahler plausibel nachweisen, dass sich das ganze Geld, immerhin 150 Millionen Euro pro Jahr, lohnt.

 

Das sehe ich genauso, bitte aber gleichzeitig um ein wenig Geduld. Im November feiert unsere Stiftung ihren dritten Geburtstag, das ist kaum ein Zeithorizont für eine belastbare Evaluation. Ich halte es für einen ersten großen Erfolg, dass es uns gelungen ist, schon in den Aufbaujahren das uns zur Verfügung gestellte Geld vollständig und qualitätsgesichert an die Hochschulen zu bringen. Mittelfristig kann man unsere Wirksamkeit als Stiftung zum Beispiel daran messen, ob die Einwerbung von Drittmitteln für Lehrinnovationen bei den Antragstellenden zu mehr wissenschaftlicher Reputation führt, etwa bei der Verteilung von Hochschulgeldern im Rahmen der Leistungsorientierten Mittelvergabe. Ein weiterer Beleg, dass die Stiftung einen guten Job macht, wäre für mich, wenn sie von der Politik genauso selbstverständlich als öffentliche Stimme der Wissenschaft wahrgenommen wird wie die Mitglieder der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Dafür müssen wir aber als Stiftung erst vollkommen handlungsfähig werden.

 

Was meinen Sie damit?

 

Wir sind personell sehr knapp aufgestellt. Wir dürfen drei Prozent unseres Haushalts für eigene Stellen ausgeben, wir schaffen auch eine Menge weg, weil wir ein intrinsisch stark motiviertes Team sind. Fakt ist aber: Anderen wissenschaftliche Förderorganisationen in der Wissenschaft wird eine Quote von zehn Prozent und mehr zugestanden. So weit will ich nicht gehen, aber wir müssen so ausgestattet sein, dass wir unsere Aufgaben erfüllen können.

 

"Wir müssen noch klarer machen, dass die Stiftung
nicht nur Fördermittel ausgibt, sondern dass wir zugleich Impulsgeber für Transfer sind."

 

Für 2023 hatte das BMBF Ihnen sogar das Geld gekürzt. Im Haushaltentwurf für 2024 steht jetzt zumindest der volle Bundesanteil drin. Glück gehabt?

 

Ich bin Berufsoptimistin. Bund und Länder haben eine Verwaltungsvereinbarung abgeschlossen, damit haben sie viel Mut und Kraft bewiesen, denn solch ein Dokument hat fast schon Gesetzeskraft. In den ersten Jahren hat der Bund uns allein finanziert, von 2024 steuern die Länder wie vereinbart ihren Anteil bei. Ich bin überzeugt: Beide Seiten wollen ihre Zusage einhalten. 

 

Sie fühlen sich mit den Ländern sicherer als zuvor allein mit dem Bund?

 

Wir waren in der Lage, dem Bund nachzuweisen, dass wir unser Geld brauchen, weil die Fördermittel schon gebunden waren. Das BMBF hat uns dann unterstützt, und die geplanten massiven Einsparungen für dieses Jahr wurden zum Glück rückgängig gemacht. Am Ende blieb ein Minus von neun Millionen Euro übrig, das ist verkraftbar, wenn es sich nicht wiederholt. Mein Eindruck ist, wir müssen noch klarer machen, dass die Stiftung nicht nur Projektträger ist, also Fördermittel ausgibt, sondern dass wir zugleich Impulsgeber für Transfer sind. Und dass unsere Vernetzungsaufgaben, ich habe das anfangs dargestellt, so unverzichtbar aufwändig sind. Das fängt an mit der erwähnten Datenbank, mit dem Aufbau einer systematischen Wissensquelle für die Community, und endet mit einer Brückenfinanzierung, wenn es darum geht, erfolgreiche Projekte an Hochschulen anderswo bekannt zu machen und ihre Erprobung zu fördern.  

 

Wann steht die nächste Ausschreibung an?

 

Wir haben einiges in der Vorbereitung, auch neue, große Programme, aber für deren Umsetzung brauchen wir erstmal einen Wirtschaftsplan für 2024, und auf den warten wir noch.

 

Bei allem Respekt: Dient das, was die Stiftung da leistet, der Politik vor allem dazu, mit ein bisschen Glamour von der dramatischen Unterfinanzierung der Hochschullehre in der Breite abzulenken?

 

Ich teile Ihre Einschätzung, dass die Hochschulen gerade in der Lehre völlig unzureichend finanziert sind. Und auch, dass eine Stiftung mit einem Etat von 150 Millionen Euro überhaupt nicht in der Lage ist, diese Situation zu heilen. Darum müssen wir uns fokussieren: auf Impulse, auf Modellprojekte, und denen dann die Verbreitung in die Hochschullandschaft hinein ermöglichen. 

Wichtig ist: Gute Lehre beginnt am ersten Studientag im Hörsaal und setzt sich fort im Seminar und im Labor. Dort finden die erste Wissenschaftskommunikation und der Transfer statt, nicht erst am Ende einer anwendungsreifen Forschung. Was wir zu Beginn in der Hochschullehre verpassen, lässt sich am Ende des Prozesses nur schwer nachholen. Das ist wie mit dem Zähneputzen: Was in frühen Jahren versäumt wird, lässt sich im Nachhinein nur schwer reparieren, auch nicht mit einem einzelnen Goldzahn.  


></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Potsdamer (Samstag, 15 Juli 2023 09:57)

    "Wir sind personell sehr knapp aufgestellt."

    Man merkt, daß es hier um quasi-öffentlichen Dienst geht.
    34 Stellen sind üppig. Wagniskapitalfirmen mit ähnlichem Budget haben viel weiger Leute, bei deutlich mehr Arbeit.

  • #2

    Ringier (Dienstag, 08 August 2023 16:52)

    Hm, Potsdamer, welcher genauen Analyse enstammt denn Ihre Einschätzung? Oder ist das nur Getrolle?