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Die Kommunikationskrise des Kommunikators

Metin Tolan wollte Göttingen nach all den Krisen und Personalquerelen zu einem neuen Miteinander und wissenschaftlichen Höhenflügen führen. Doch jetzt macht die Universität mit einem absurd anmutenden Personalstreit Schlagzeilen. Mittendrin: Metin Tolan.

IN UNIVERSITÄREN KRISEN, sagte Metin Tolan Anfang 2021, fehle es meist genau daran: "an Kommunikation". Da war der Communicator-Preisträger gerade zum neuen Präsidenten der Universität Göttingen gewählt worden, die eine gescheiterte Exzellenz-Bewerbung, den unschönen Abgang einer Präsidentin, einen noch unschöneren medienöffentlich ausgetragenen Konflikt um ihren bereits gewählten Nachfolger und die Interims-Präsidentschaft eines emeritierten Max-Planck-Direktors hinter sich hatte.

 

Er möge es nicht, öffentlich über interne Konflikte seiner Universität zu sprechen, sagte Tolan im Interview. "Wie in einer guten Familie" sollte man auch an einer Universität versuchen, Probleme möglichst selbst zu lösen. "Meine Aufgabe als künftiger Unipräsident besteht aber auch darin, dass die Universität Göttingen ihre Konflikte künftig nicht mehr so stark nach außen trägt."

 

Tolan galt bei seiner Wahl als begnadeter Kommunikator. Der Physiker hat neben seiner Forschung populärwissenschaftliche Sachbücher geschrieben und hielt sehr erfolgreiche und humoristische Vorträge unter anderem zur Physik des Fußballs, der Physik bei Star Trek oder bei James Bond.  

 

Präsident verkündet den Rücktritt des Vizepräsidenten,
doch der angeblich Zurückgetretene widerspricht

 

Doch gut zwei Jahre nach seinem Amtsantritt später befindet sich Tolan nun selbst in einer Göttinger Kommunikationskrise, die zumindest von ihrer Absurdität her die vergangenen in den Schatten stellen könnte. Und er muss sich fragen lassen, inwiefern er diese Krise mit seinem eigenen Kommunikationsstil mit verursacht hat.

 

Der Reihe nach. Am vergangenen Dienstag, den 11. April, um kurz nach elf Uhr am Vormittag verschickte Tolan eine Mail an alle Göttinger Senatsmitglieder, in der er mitteilte, dass Norbert Lossau, seit 2013 Vizepräsident für Digitalisierung und Infrastrukturen, zurückgetreten sei. Er danke Lossau für seine langjährige Tätigkeit, auch als Direktor der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, und beendete seine Mail mit einer Aufforderung: "Bitte wenden Sie sich mit allen Fragen, die sich aus dieser Veränderung in der Universitätsleitung für Sie ergeben, gern an mich."

 

Schon wenige Minuten später fand man auf der Präsidiums-Website Lossaus Kontaktdaten nicht mehr, stattdessen ein "N.N." unter "Vizepräsident*in für Digitalisierung und Infrastrukturen", auch das Foto des Präsidiums war bereits durch ein neues ersetzt, auf dem Lossau fehlte. Ebenfalls noch am selben Tag meldete das Göttinger Tageblatt unter Berufung auf einen Universitätssprecher die vermeintliche Personalie.

 

Nur dass der angeblich Zurückgetretene selbst schon anderthalb Stunden nach Tolans Mitteilung an den Senat eine eigene Mail absetzte, im Verteiler unter anderem Mitglieder von Präsidium, Senat und dem für die Universität zuständigen Stiftungsausschuss als Aufsichtsorgan. "Zu der Nachricht des Präsidenten vom 11.4.2023 ist aus meiner Sicht festzuhalten, dass ich zu keinem Zeitpunkt von meinem Amt als Hauptamtlicher Vizepräsident zurückgetreten bin", schrieb da der 60 Jahre alte Lossau.

 

Von der Website entfernt,
die Mailadresse gesperrt

 

Und fügte hinzu: Am 24. März hätten Tolan und die (erst zwei Tage vorher für eine zweite Amtszeit bestätigte) für Personal und Finanzen zuständige Vizepräsidentin Valérie Schüller ihn zur Einreichung einer schriftlichen Rücktrittserklärung bis zum 3. April aufgefordert, dem sei er jedoch nicht nachgekommen. Außerdem habe er einem Gesprächsvermerk, der ihm am 5. April durch Tolan zugegangen sei, noch am selben Tag schriftlich widersprochen. Der Vermerk habe festgestellt, dass Lossau bei einem "Aussprache-Termin" am 22. März mündlich seinen Rücktritt erklärt habe.

 

Er lasse sein Amt ruhen, da dies in dem Gespräch am 22. März der ausdrückliche Wunsch des Präsidenten gewesen sei "und ich auf mein Angebot vom 28.3. zur einstweiligen Weiterführung der Präsidiumsaufgaben keine Antwort des Präsidenten erhalten habe".

 

Einen Tag nach Lossaus digitaler Replik, am 12. April, war der nach eigenen Angaben nicht zurückgetretene Vizepräsident dann nicht mehr per Uni-Mail erreichbar. Sein Account sei gesperrt worden, meldete er Universitätsangehörigen über seine private Mailadresse.

 

Was ist da los? Auf Anfrage will Lossau sich nicht öffentlich äußern, bestätigt lediglich die Echtheit seiner mir von Unbekannten zugespielten Mails. Auch Tolan lässt einen umfangreichen Fragenkatalog durch seine Pressestelle unbeantwortet. Gegenüber dem Göttinger Tageblatt hatte diese immerhin noch mitgeteilt, dass Details zu Personalangelegenheiten "grundsätzlich nicht" veröffentlicht würden.

 

Was sagen Senat
und Stiftungsausschuss?

 

Dabei sind die Ungereimtheiten groß. Trifft es zu, dass Vizepräsidentin Schüller Lossau zum Einreichen einer Rücktrittserklärung aufgefordert hat? Wenn ja, mit welcher Begründung? Welcher Vorwurf wird Lossau konkret gemacht?

 

Hat es sich tatsächlich so zugetragen, dass Präsident Tolan erst nach Verstreichen der von Schüller gesetzten Frist einen Gesprächsvermerk an Lossau schickte, demzufolge dieser bereits zwölf Tage vorher mündlich seinen Rücktritt erklärt hatte? Und was sagt zu den Vorgängen der Vorsitzende von Stiftungsrat und Stiftungsausschuss, der frühere DFG-Präsident Peter Strohschneider, der offiziell Dienstvorgesetzter von Tolan, Lossau und dem Rest des Präsidiums ist?

 

Klar ist, dass Tolan, 58, inzwischen mehr als nur ein Kommunikationsproblem hat. Sollten Schüller und er nicht eindeutig nachweisen können, dass Lossau mündlich seinen Rücktritt erklärt hat (und wie sollen sie das?), können sie ihn rechtlich gesehen nämlich gar nicht aus dem Amt entfernen. Das kann allein der Senat der Universität über ein Abwahlverfahren. 

 

Ob Tolan und sein übriges Präsidium einen solchen Antrag in der für diesen Mittwoch turnusgemäß anstehenden Senatssitzung stellen wollen, auch diese Frage ließ die Pressestelle unbeantwortet. 

 

Unterdessen ist aus der Universität über den bereits unter der früheren Präsidentin Ulrike Beisiegel ins Amt gekommenen Lossau zu hören, er sei nicht nur die mit Abstand dienstälteste und erfahrenste Führungskraft der Universität, er habe sich auch unter Tolan seine unabhängige Rolle bewahrt.

 

Anhaltspunkte, dass der Vizepräsident sich etwas habe zu schulden kommen lassen, was das derzeitige Vorgehen rechtfertigen würde, kann keiner der von mir Befragten nennen. Im Gegenteil, sagt ein Insider, im Senat erhalte Lossau fast immer die wenigsten Fragen und sein Aufgabengebiet habe er stets zuverlässig gemanaged. 

 

Was bedeutet die Führungskrise
für Göttingens Exzellenzchancen?

 

Tolan dagegen wird von mehreren Gesprächspartnern aus der Univerwaltung und den Gremien als mitunter nicht einfach im Umgang geschildert. Er könne auch schlecht mit Kritik umgehen. 

 

Inzwischen sorgt man sich an der Universität auch wegen der Folgen der Führungskrise. Der AStA befürchtet, das von Lossau verantwortete Ziel der Klimaneutralität der Universität bis 2030 könne nun gefährdet sein. Aus dem Senat wiederum sind Stimmen zu hören, dass Vizepräsidentin Schüller schon mit den Folgen der finanziellen Schieflage der Universität, ausgelöst durch die Sparmaßnahmen des Landes, mehr als ausgelastet sei. Wie könne sie, die jetzt auch Lossaus Zuständigkeitsbereich kommissarisch verantworte, und das möglicherweise über Monate, beide Jobs erfolgreich erledigen? Vorausgesetzt, dass es dann überhaupt viele Bewerber für Lossaus Nachfolge gibt.

 

Problematisch könnte sich die erneute Führungskrise auch auf die Chancen der Universität in der nächsten Runde der Exzellenzstrategie auswirken, bei der sie neulich mit fünf Antragsskizzen ins Rennen gegangen ist. Das Trauma des Göttinger Exzellenztitel-Verlusts 2012 hatte in letzter Konsequenz auch entscheidend zum nicht ganz freiwilligen Rückzug Beisiegels sieben Jahre später beigetragen– weil Göttingen unter ihrer Leitung nur einen einzigen Exzellenzcluster-Antrag zum Erfolg brachte. Nicht genug, um wieder Exzellenzuniversität zu werden.

 

Mit Tolan, so die Hoffnung vor zwei Jahren, werde die Universität nicht nur einen exzellenten Innen-, sondern auch einen begnadeten Außenpolitiker bekommen. Der Präsident selbst sagte bei seinem Amtsantritt, er halte eine offene Kommunikation für eine Schlüsselqualifikation im Amt einer Unipräsidentin oder eines Unipräsidenten. Und in Bezug auf die Exzellenzstrategie betonte er, Göttingen müsse sich so aufstellen, das die Universität, wenn die nächste Wettbewerbsrunde anstehe, gut vorbereitet sei. "Dazu braucht es aber mehr, als dass sich nur einige wenige Bereiche stark entwickeln. Wir müssen alle Teile der Universität in ihren Potenzialen mitnehmen und anheben."

 

Erst einmal aber muss Tolan jetzt seine eigene Kommunikationskrise lösen. Gespräche, so ist zu hören, soll es immerhin geben. 


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Kommentare: 2 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 19 April 2023 12:38)

    Liebe Leserinnen und Leser,

    wie Sie vielleicht bemerkt haben, hatte ich unter diesem Artikel keine Kommentarspalte vorgesehen, da ich bei Beiträgen über Personalia teilweise schlechte Erfahrungen mit anonymen Absendern gemacht habe. Mir ist, wie Sie wissen, ein kritischer, aber zugleich wertschätzender Ton im Blog sehr wichtig.

    Doch nun hat mir der Göttinger Theologieprofessor Thomas Kaufmann geschrieben und bat mich, den folgenden Leserbrief zu veröffentlichen. Das wiederum wollte ich ermöglichen, weil eine kritische Debatte wichtig ist. Und damit erfolgt zugleich die Einladung: Wenn Sie sich ebenfalls beteiligen wollen mit einem Leserbrief, melden Sie sich gern unter: post@jmwiarda.de.

    Beste Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #2

    Thomas Kaufmann (Mittwoch, 19 April 2023 12:39)

    Wer ist der "Possenreisser" der Göttinger "Posse", Herr Wiarda?

    Die Analogisierung der verkorksten Göttinger Präsidentenwahl von 2019 mit der jetzigen Causa Lossau ist absurd. Die damalige Wahl Sascha Spouns, der vom Berater zum Kandidaten geworden war und ein wesentliches Bewerbungskriterium nicht erfüllte, fiel am Ende deshalb durch, weil sich das Auswahlverfahren als nicht gerichtsfest erwies. Das Ganze war übrigens eine Folge der m.E. gescheiterten Konstruktion der niedersächsischen Stiftungsuniversität, die entweder allmächtige Stiftungsratsvorsitzende – so damals der Generalsekretär der VW-Stiftung Wilhelm Krull – hervorbringt oder ein Machtvakuum provoziert.

    Herr Wiarda schreibt keine Silbe darüber, dass das 2013 geschaffene Amt eines zweiten Hauptamtlichen Vizepräsidenten, das Herr Norbert Lossau innehatte oder noch innezuhaben meint, eine strukturelle Absurdität ist. Keine andere Universität, soweit mir bekannt, besitzt neben dem Kanzler oder Hauptamtlichen Vizepräsidenten für Finanzen ein solches Amt. Die frühere Präsidentin Ulrike Beisiegel schuf es – und ließ dafür sogar das Niedersächsische Hochschulgesetz ändern! Wenn der Göttinger Universitätspräsident Metin Tolan einen Fehler gemacht hat, dann den, dieses Amt nicht gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft abgeschafft zu haben! Denn wie kann es funktionieren, einen neuen Kurs als Präsident fahren zu wollen – und das ist angesichts der krassen Verschuldung, die Tolan geerbt hat, unabdingbar! – wenn man einen ‚erfahrenen‘ Hauptamtlichen Vizepräsidenten, der fester Bestandteil des „Systems Beisiegel“ war, mitnimmt? Niemand verargt es einem Minister, wenn er die Positionen seines engsten Vertrauens bei Amtsantritt neu besetzt. Tolan aber hat, gebremst durch die strukturelle Fehlkonstruktion des zweiten Hauptamtlichen, die er vorfand, Rücksichten genommen, die ihm nun auf die Füße fallen.

    Eine "Posse" ist es in der Tat, da hat Herr Wiarda Recht. Doch er selber gibt, bedingt durch pfadabhängige Schilderungen, den Possenreißer. In Gegenwart von Zeugen soll Herr Lossau zunächst seine Bereitschaft zum Rücktritt erklärt haben. Doch diesen widerrief er zügig wieder, vermutlich nach juristischer Beratung. Denn wenn man selber geht, steht man eben anders dar, als wenn man gegangen wird. Dabei dürfte es Lossau im Kern um die Frage seiner Anschlussbeschäftigung gehen.

    Es mag sein, dass sich der Senat in seinen Rechten beschränkt sieht. Aber darum geht es jetzt nicht, Thema verfehlt! Im Kreis der Dekane hieß es, dass die Grundlagen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Lossau in dem Leitungsgremium der Universität zerstört sind. Neben Tolan sehen das offenbar auch die anderen vier Mitglieder des Präsidiums genauso. Welchem Chef würde man denn das Recht absprechen, jemanden vor die Tür zu setzen, mit dem die Zusammenarbeit unmöglich geworden ist?

    Warum Herr Wiarda einen geradezu höhnischen Zusammenhang zwischen der Exzellenzambition Göttingens und der "Posse" herzustellen für angemessen hält, weiß wohl nur er selbst oder seine ungenannten Informanten. In der Tat: Der Phantomschmerz nach dem Verlust des Exzellenzstatus 2012 war groß. Unter Verweis auf das Ziel, den Exzellenzstatus wiedergewinnen zu wollen, wurde sehr viel Geld ausgegeben und dauerhaft gebunden; das zweite Hauptamtliche Vizepräsidentenamt ist nur die Spitze des Eisbergs. Nun ist ein Präsidium angetreten, das sparen muss und nachhaltig wirtschaften will, Chapeau! Ob "Exzellenz" nicht auch darin bestehen kann, mit schlechten Karten ein gutes Spiel zu machen, werden wir sehen.

    Thomas Kaufmann
    (Göttingen; z.Zt. Wissenschaftskolleg Berlin)