Helfen ohne Beigeschmack von Schadenfreude und hämischer Bereicherung: Wie die deutsche Wissenschaft bedrohten US-Wissenschaftler/innen umgehen sollte. Ein Gastbeitrag von Britta Baron.

Britta Baron lebt seit 2006 in Kanada. Sie war unter anderem Leiterin der DAAD-Außenstelle USA/Kanada und Associate Vice-President International an der University of Alberta. Sie ist Mitglied der US-amerikanischen National Academy of International Education. Foto: privat.
IN DEUTSCHLAND HERRSCHT im Moment bei den nationalen Wissenschaftsorganisationen offenbar die Meinung vor, deutsche Interventionen zugunsten US-amerikanischer Wissenschaftler/innen seien "Abwerbung" und würden durch die amerikanische Wissenschaftslandschaft als schädlich und feindselig wahrgenommen. Es komme vielmehr darauf an, den amerikanischen Partnern die Beständigkeit der Kooperation und des wechselseitigen Austausches in den seit Jahrzehnten bewährten Bahnen zu versichern.
Eine Ausnahme ist die Max-Planck-Gesellschaft, deren Präsident gerade ein mit Millionen dotiertes "transatlantisches Programm" angekündigt hat, finanziert vor allem
aus privaten Stiftungsgeldern. "Wir werden zusätzliche Stellen für Postdocs und Gruppenleiter bei Max-Planck in Deutschland schaffen und auch einzelne zusätzliche Direktorenposten für erfahrene Forschende, die nicht in den USA bleiben können oder wollen", sagte Patrick Cramer laut Research Table. Ein ermutigendes Signal, obgleich die konkrete Ausgestaltung abzuwarten bleibt.
Tatsache ist nämlich, dass bereits tausende amerikanische Wissenschaftler/innen auf die Straße gesetzt worden sind und dass vermutlich eine noch weit größere Zahl durch Kündigung bedroht ist. Und selbst diejenigen, deren Job-Sicherheit nicht in Frage gestellt ist, leiden unter der erzwungenen Selbstzensur und der politischen Einschüchterung ebenso wie unter den sich rapide verschlechternden materiellen Arbeitsbedingungen.
Eine besonders gefährdete Gruppe ist die der Wissenschaftler/innen ausländischer Herkunft, die nicht durch die amerikanische Staatsbürgerschaft geschützt sind. Wie einzelne Fälle in den vergangenen Wochen gezeigt haben, bewahrt selbst ihr Green-Card-Status Personen nicht davor, auf offener Straße festgenommen zu werden und in Abschiebehaft zu geraten oder zur "freiwilligen" Ausreise gedrängt zu werden. Gerade unter den Jungwissenschaftlern, den Doktoranden und Post-Docs, liegt der Anteil von Ausländern je nach Fachrichtung bei mehr als 50 Prozent.
Eine dreifache Bedrohung von professioneller
Integrität und materiellem Überleben
Die professionelle Integrität und das materielle Überleben von Wissenschaftlern/innen in den USA werden gleich dreifach bedroht: durch die Kettensäge der radikalen Sparpolitik, durch die Einforderung politisch gesetzter Standards, etwa im Hinblick auf die Ausblendung von "Equity, Diversity and Inclusion" und den Entzug der Förderung von Programmen oder Projekten, die diesen Standards nicht entsprechen – und drittens durch die Festnahmen einzelner Personen wegen angeblich staatsgefährdendem politischen Verhaltens.
Die Zahl derjenigen, die bereits jetzt auf der Straße stehen, aus welchen der genannten Gründe auch immer, dürfte sicher bei mindestens 5.000 Personen liegen, ein erhebliches Potential an Personen, die vermutlich überwiegend eine neue wissenschaftliche Tätigkeit finden möchten.
Während die deutschen Wissenschaftsorganisationen überwiegend zögerlich sind und dazu neigen, sich auf Beteuerungen ihrer Loyalität mit den amerikanischen Freunden und Partnern zu beschränken, sind einzelne deutsche Hochschulen weniger zurückhaltend und sehen in der Notlage vieler amerikanischer Wissenschaftler/innen eine Verpflichtung zur Hilfe. Und, ja, gleichzeitig eine Chance für die Rekrutierung von Top-Talenten. In der Tat muss man beide Aspekte zusammen sehen. Auch viele andere westliche Industrienationen und selbst China treten gerade aktiv in den USA auf, um den unter Druck geratenen Wissenschaftler/innen Angebote zu machen. Auch die EU-Kommission hat sich dafür ausgesprochen, amerikanische Wissenschaftler/innen in Europa aufzunehmen, und die zuständige EU-Kommissarin hat dazu einen Brief verfasst, der unter anderem durch den amtierenden deutschen Wissenschaftsminister Cem Özdemir unterschrieben wurde. SPD-Chef Lars Klingbeil äußerte sich in einem TV-Interview mit Caren Miosga zur Situation amerikanischer Wissenschaftler/innen und zeigte dringenden Handlungsbedarf an.
Amerikanische Unis und Forschungseinrichtungen haben in der Vergangenheit sehr offensiv und in großem Maßstab internationale Talente angeworben, von Jungwissenschaftler/innen bis hin zu Spitzenwissenschaftler/innen auf dem Weg zum Nobelpreis. Deutschlands Wissenschaft reagierte, indem sie Netzwerke mit den deutschen Wissenschaftler/innen in den USA aufbaute, zu pflegen, etwa durch die jährlichen Tagungen der GAIN- und GSO-Netzwerke. Es verwundert daher, wenn nun genau jene deutschen Wissenschaftseinrichtungen, die über viele Jahre mit der amerikanischen Abwerbestrategie umgehen mussten, so wenig geneigt sind, die umgekehrte Richtung einschlagen zu wollen.
Warum die deutschen
Wissenschaftsorganisationen gefragt sind
Wie aber handeln, so dass der Beigeschmack von Schadenfreude und hämischer Bereicherung an der Notlage der amerikanischen Wissenschaft vermieden wird?
Hier sind erneut die deutschen Wissenschaftsorganisationen gefragt. Oft verfügen einzelne Akteure nicht über das umfassende Verständnis der komplexen amerikanischen Wissenschaftslandschaft, deren Normen und Selbstverständnis in der Tat sehr von deutschen Verhältnissen abweichen. Deutschland unterhält Wissenschaftsvertretungen in den USA, die über den notwendigen Sachverstand und enge Verbindungen zu den einschlägigen US-Fachorganisationen verfügen, die in der aktuellen Krisensituation zum Einsatz kommen sollten. Und dass es hier eben nicht um "Abwerbung" geht, sondern um Verpflichtung zur Hilfe, lässt sich durch eine breitere deutsche Initiative sicher besser zum Ausdruck bringen als durch Einzelaktionen deutscher Unis. Folgende Gesichtspunkte sollten das deutsche Handeln nun leiten:
1. Wer schnell hilft, hilft doppelt. Es geht darum, schnellstmöglich zu handeln und unbürokratische Angebote zu schaffen.
2. So weit wie möglich sollten bestehende Programme und Instrumente genutzt werden, die durch Sondermaßnahmen in ihrem Umfang erweitert und auf die Bedürfnisse von
US-Wissenschaftler/innen zugeschnitten werden. So könnte man zusätzliche Kapazitäten an bereits laufenden Graduiertenkollegs oder vergleichbaren Strukturen schaffen. Bestehende Programme für die
Förderung von Gastwissenschaftler/innen des DAAD, der DFG und anderer Förderer könnten genutzt und angepasst werden.
3. Besondere Bedeutung hat die Unterstützung von Jungwissenschaftler/innen aus den USA, gerade auch von solchen mit ausländischem Hintergrund. Weltweit herrscht ein Wettkampf um
wissenschaftliche Talente. Es wäre fatal, wenn jetzt Jungwissenschaftler/innen aufgrund der Bedingungen in den USA dazu gedrängt würden, den Traum von der Karriere in den Wissenschaften ganz
aufzugeben.
4. Es ist legitim und sinnvoll, Angebote bedarfsorientiert auf solche Fachrichtungen und Arbeitsgebiete zu fokussieren, bei denen in Deutschland und Europa mittel- und langfristig Nachfrage besteht. Es hilft weder den amerikanischen Wissenschaftler/innen noch den deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, wenn amerikanische Wissenschaftler/innen nach Deutschland und Europa kommen, um in der Arbeitslosigkeit zu enden oder deutschen und europäischen Stellenbewerbern die wenigen bestehenden Chancen zu nehmen.
5. Finanzielle Förderung sollte sich auf eine Übergangsphase von ein bis zwei Jahren beschränken, nach deren Ablauf es hochqualifizierten und entsprechend motivierten Wissenschaftler/innen möglich sein sollte, sich auf dem deutschen und europäischen Markt zu etablieren oder eine Rückkehr in die USA wieder in den Blick zu nehmen. Amerikanische Gehaltsvorstellungen liegen oft über den in Deutschland und Europa üblichen Standards. Wenn einige wenige ausgesuchte Spitzenwissenschaftler/innen aufgenommen werden, deren Gehaltserwartungen nicht mit üblichen deutschen Standards zusammenpassen, so können sich hier einzelne Universitäten oder Forschungseinrichtungen engagieren, so wie das auch in der Vergangenheit erfolgreich geklappt hat. Für breitere Angebote deutscher Wissenschaftsorganisationen sollten aber die üblichen Sätze zur Anwendung kommen.
Erkenntnisse über die eigene
Attraktivität gewinnen
Man wird sehen, wie wirkungsvoll deutsche Angebote auch im Vergleich zu Angeboten anderer Länder sein werden, und dadurch auch Erkenntnisse gewinnen können über die vielbeschworene internationale Attraktivität des Forschungsstandorts Deutschland. Mit seiner Forschungsinfrastruktur kann sich Deutschland in vielerlei Hinsicht schon jetzt mit US-amerikanischen Standards messen. Ein Umstand, der vielleicht bei dieser Gelegenheit auch noch besser international zur Geltung gebracht werden kann.
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Victor Ehrlich (Dienstag, 15 April 2025 16:57)
Britta Barons Forderung Nr. 5 ist wenig praxisgerecht. Während ein US-Geisteswissenschaftler mit dem Laptop unter dem Arm sein neues Büro in Deutschland betreten kann, haben Experimentalforscher mit ihrem Team Umzüge größeren Ausmaßes zu bewältigen. Für lediglich ein bis zwei Jahre lohnt ein solches Unterfangen nicht. Und da sind wir dann auch wieder bei dem Thema, an dem derzeit bei uns in Deutschland vieles scheitert: Eine verlässliche, längerfristige und auskömmliche finanzielle Grundausstattung, die einen nicht mit dem Rücken zur Wand ständig zum Einreichen von Mittelanträgen zwingt, damit der ganz normale Wissenschaftsbetrieb aufrecht erhalten werden kann.
Forderung Nr. 5 ist auch etwas lebensfremd. Wer mit Kind und Kegel nach Europa umzieht, will in der Regel seiner Familie ein paar Jahre Stabilität bieten. Die neue Kita, die neue Schule und der neue Job für die Partnerin bzw. den Partner: Wer will all das nach ein, zwei Jahren schon wieder von vorne durchmachen?
Britta Baron offenbart ein Verständnis der Forschungsfinanzierung, das leider symptomatisch für zahlreiche deutsche Förderorganisationen ist. Man leistet etwas Anschubhilfe und irgendwie sollen es dann Universitäten et al. richten, deren Budgets nie an die gestellten Anforderungen angepasst wurden.
Wolfgang Kühnel (Freitag, 18 April 2025 14:28)
Ich bin etwas irritiert von der ganzen Diskussion. Jahrzehntelang war es Normalität, dass europäische Wissenschaftler nach USA ausgewandert sind, und längst nicht alle wollten wieder zurückkommen. Ebenso war es nach der Wende Normalität, dass russische Wissenschaftler in die USA ausgewandert sind, von Rückkehrern habe ich nie gehört. Beides hatte mit "Hilfe" oder "Unterstützung" nichts zu tun.
Warum soll es jetzt nicht Normalität werden, wenn Amerikaner nach Europa kommen? In Irland und Großbritannien haben sie keine Sprachprobleme, in Deutschland sind wir stolz auf englischsprachige Studiengänge, Anträge auf Drittmittel sind oft auf Englisch abzufassen, das ist eher eine Hürde für die Einheimischen, auf Fachtagungen (auch innerdeutschen) redet man ohnehin Englisch. Es gibt bilinguale Schulen, und die Sprache ist voller Anglizismen, in unseren Innenstädten machen sich amerikanische Fastfood-Ketten breit, inzwischen auch KFC. Wir haben uns einen gewissen Teil des "American way of life" längst angewöhnt. Das passt alles besser zusammen als Zuwanderung aus Afghanistan, Syrien und der Türkei.
Junge Postdocs werden nicht alle eine Familie mitbringen, sie werden sich Partner auch in Europa suchen, vielleicht auch solche, die aus dem Ausland stammen. Sie können uns helfen, die hochgelobten "Department-Strukturen" mit abgeschafften Hierarchien zu etablieren, sie können uns dabei auch Effizienz und Arbeitsmoral lehren und darin auch Vorbilder sein. Was bitte soll dagegen sprechen?