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Nicht vom Mangel treiben lassen

Am Donnerstag treffen sich die Kultusminister. Die Bildungswissenschaftlerin Felicitas Thiel warnt sie vor der Einrichtung dualer Lehramtsstudiengänge, dem Perpetuieren von Sondermaßnahmen und einer weiteren Senkung der Zugangsvoraussetzungen für künftige Lehrkräfte: "Eigentlich müssten wir die Schwellen erhöhen".

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Artikelbild: Nicht vom Mangel treiben lassen

Felicitas Thiel ist Professorin für Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung an der Freien Universität Berlin und Ko-Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz. Foto: Janetzko/SWK..

Frau Thiel, am Donnerstag berät die Kultusministerkonferenz (KMK) erneut über die Reform der Lehrkräftebildung. Grundlage ist ein Konzept, das die Kommission Lehrkräftebildung vorlegt. Finden Sie als Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), dass Ihre Empfehlungen aus dem Dezember genügend wertgeschätzt werden?

Gut finde ich, dass die KMK wieder über die Qualität in der Lehrkräftebildung redet und nicht allein über Quantität, um dem Personalmangel zu begegnen. Ebenso erfreulich ist, dass die KMK sich in unseren Gesprächen eindeutig zur Wissenschaftsorientierung in den Lehramtsstudiengängen bekannt hat. Was uns sorgt: dass die Kultusminister möglicherweise vorhaben, den bunten Strauß an Sondermaßnahmen, den jedes Land für sich zur Bewältigung des Mangels etabliert hat, bestehen zu lassen. Das Ziel darf aber mittelfristig nicht sein, den Zugang zum Lehrerberuf so weit offen zu halten, dass sich fast jeder und jede dafür qualifiziert. Wir brauchen die besonders geeigneten, die wirklich an dem Beruf interessiert sind. Denen müssen wir es einfach machen. Aber nur denen.

"Die Kultusminister haben bisher alles offen gelassen."

Wie kommen Sie darauf, dass die Kultusminister die Sondermaßnahmen beibehalten wollen?

Die Kultusminister haben in ihren Aussagen bisher alles offen gelassen, auch die Frage zum dualen Studium, das die von uns aufgeworfene Qualitätsfrage sogar noch verschärfen würde – zumindest wenn damit ein duales Studium schon im Bachelor gemeint sein sollte.

Was aber ist denn schlimm daran, in Zeiten des massiven Lehrkräftemangels die Tore möglichst weit zu öffnen?

Eine internationale Studie von Erik Hanushek zeigt, dass ein deutlicher Zusammenhang besteht zwischen der Gewinnung leistungsstarker Lehrkräfte und dem Lernerfolg von Schülerinnen. Ökonomen warnen deshalb zurecht davor, dass eine Senkung der Zugangsanforderungen unweigerlich auch Personen anzieht, die weniger leistungsbereit und weniger motiviert sind. Damit sinkt das Berufsprestige und im schlimmsten Fall wird der Mangel sogar perpetuiert. Deshalb müssten wir eigentlich genau das Gegenteil tun: Die Zugangsschwellen erhöhen, Eingangstests vorschalten und attraktive Aufstiegschancen für die besonders Leistungsbereiten eröffnen.

Mit dem Ergebnis, dass wir noch weniger Lehrer hätten?

Mit dem Ergebnis, dass wir den Beruf womöglich für Zielgruppen spannend machen, die ihn derzeit meiden. Estland, eines der erfolgreichen PISA-Länder, hat genau diese Strategie in einer Mangelsituation verfolgt. Außerdem sollten wir die Fakten zur Kenntnis nehmen. Es ist ja inzwischen deutlich, dass an den Grundschulen der Lehrkräftebedarf in den nächsten Jahren deutlich zurückgeht. Deshalb sollte sich die Politik gerade hier nicht vom Mangel treiben lassen. Demografiebedingt sinkt zugleich die Zahl der Studienbewerber, die an den Universitäten aufgebauten Kapazitäten sind also nicht mehr ausgelastet und könnten für Qualitätsverbesserungen eingesetzt werden. Auch das ein Argument gegen ein duales Studium. Und es gibt weitere.

"Ich frage mich schon, warum die Kultusminister unter diesen Voraussetzungen ausgerechnet dem dualen Studium einen so zentralen Stellenwert einräumen"

Zum Beispiel?

Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken haben an den Universitäten mit Mitteln der Qualitätsoffensive Lehrerbildung digital gestützte Lernsettings und Simulationen zur Praxisvorbereitung entwickelt, weil Praxiserfahrung nicht nur wissenschaftlich begleitet, sondern auch vorbereitet werden muss. Sollen wir darauf wirklich verzichten? Im Übrigen: Schauen Sie an Brennpunktschulen in Berlin und anderswo, wo 80 Prozent der Neueinstellungen Lehrkräfte ohne Lehrbefähigung sind. Wenn dann noch die dualen Studierenden dazu kämen, wer sollte die alle begleiten? Schon jetzt haben wir in einigen Ländern die absurde Situation, dass Bachelorstudierende, die als Vertretungslehrkräfte arbeiten, ihre Master-Kommilitonen im Praxissemester als Mentoren begleiten. Ich frage mich schon, warum die Kultusminister unter diesen Voraussetzungen nun ausgerechnet dem dualen Studium einen so zentralen Stellenwert einräumen.

Noch ist ja nichts entschieden.

Weshalb ich hoffe, dass man das nochmal überdenkt. Als SWK haben wir andere Möglichkeiten vorgeschlagen, um das Lehramtsstudium flexibler zu machen, und das bei hoher Qualität. Vor allen Dingen kann der Ein-Fach-Master ein guter Weg sein, um pragmatisch und schneller als bislang den Bedarf an Lehrkräften zu decken, insbesondere an den nichtgymnasialen Brennpunktschulen. Die schon bestehenden Quereinstiegs-Master zeigen die hohe Nachfrage nach solchen Angeboten, teilweise müssen Interessierte abgewiesen werden, weil sie kein zweites Fach nachweisen können. Die Universitäten sind in der Lage, innerhalb von zwei Jahren Studierende mit einem Fach wissenschaftsbasiert so zu qualifizieren, dass sie erfolgreich durchs Referendariat kommen, in den Schulen starten und parallel zum Unterrichten das zweite Fach dazu studieren. Ein Drittel der Menschen entscheiden sich im Laufe ihres Berufslebens, den Beruf zu wechseln und der Lehrerberuf ist allen Unkenrufen zum Trotz ein sehr attraktiver Beruf. Da liegt also ein Riesenpotenzial.

Nur um dem Lehrkräftemangel zu begegnen?

Das wäre zu wenig. Der Ein-Fach-Master hat das Potenzial, ein vollwertiger zweiter Weg ins Lehramt zu werden. Er schafft ein atmendes System, das in Phasen des Lehrkräftemangels wie des Überschusses anpassungsfähig ist. Außerdem, auch das ein wichtiger Punkt, wird die deutsche Lehrerbildung dadurch anschlussfähiger an die internationale Praxis. In den meisten Ländern sind Ein-Fach-Modelle üblich. Wir könnten also ausländische Lehrkräfte viel schneller in unsere Schulen integrieren und auf regulärem Wege berufsbegleitend weiterbilden.

Der Ein-Fach-Master wird in der KMK auch ausführlich diskutiert.

Wie viele andere sinnvolle Vorschläge, die SWK, Wissenschaftsrat, Stifterverband und andere in den vergangenen Monaten gemacht haben. Dass die Kultusminister sich zunächst einmal die Empfehlungen herauspicken, die den Mangel adressieren, war erwartbar, sie können ja auch nicht alles gleichzeitig beschließen. Wichtig ist allerdings, dass weitere wichtige Reformen nicht aufgeschoben werden und die Minister dann auch zügig zu den anderen großen Baustellen kommen. Neben dem Ein-Fach-Master fällt der gesamte Komplex um Fort- und Weiterbildung darunter, die Planung und Finanzierung sinnvoller Angebote, und ganz wichtig, die Rekrutierung und Ausbildung derjenigen, die sie durchführen sollen. Und dann ist da das Thema Mobilität, das dringend geklärt werden muss. Es ergibt keinen Sinn, jetzt in Land A neue Studiengänge aufzubauen, dual oder nicht, die dann in Land B nicht anerkannt werden. Eigentlich müsste die Mobilitätsfrage vor allen anderen geklärt werden. Nicht zu vergessen: Sowohl SWK als Wissenschaftsrat haben die unzureichende Verzahnung von Theorie und Praxis der Lehrkräftebildung angemahnt. Es kann nicht sein, dass in der zweiten Phase, dem Referendariat inhaltlich völlig Anderes gemacht wird als in Phase eins, dem Studium. Genauso wenig sinnvoll ist, wenn sich exakt die gleichen Inhalte wiederholen. Beides kommt vor. Wir brauchen ein phasenübergreifendes Curriculum und hier sind auch die Fachverbände gefragt.


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