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"Der Spardruck beschleunigt Entscheidungen"

Warum Budgetkürzungen an Hochschulen auch eine Chance bedeuten, diese aber allzu oft ungenutzt bleibt: Ein Interview über kreative Reaktionen auf schmerzhafte Einschnitte, neue Allianzen, frischen Kampfgeist – und die Gefahr unstrategischen Sparens.
Collage aus Portraits von Hans-Liudger Dienel und Annette Mayer.

Annette Mayer leitet die Zentraleinrichtung Wissenschaftliche Weiterbildung und Kooperation (ZEWK) an der TU Berlin. Hans-Liudger Dienel ist, ebenfalls an der TU, Professor für Arbeitslehre, Technik und Partizipation. Foto Mayer: Mike Henning, Foto Dienel: TU-Berlin.  

Frau Mayer, Herr Dienel, Sie leiten gemeinsam den Master-Studiengang "Wissenschaftsmanagement" an der TU Berlin und haben gerade ein Symposium zu den Haushaltskürzungen in vielen Bundesländern veranstaltet, Überschrift: "Nur Herausforderung oder Chance zur Profilierung?" Haben Sie sich mit der Fragestellung wohlgefühlt?

Hans-Liudger Dienel: Ich glaube, genau das ist die Aufgabe von Wissenschaft: zu fragen, was in schwierigen Situationen möglich ist. Natürlich haben wir auch ein bisschen wider den Stachel gelöckt. Die Berliner Universitäten leiden sehr unter den Kürzungen, die Situation ist zum Teil katastrophal. Gleichzeitig ist es sinnvoll, sich zu fragen: Können wir aus diesem massiven Problemdruck heraus auch neue Wege finden?

Hatten Sie nicht die Sorge, der Politik die Rechtfertigung für ihre Sparpolitik frei Haus zu liefern?

Dienel: Im Gegenteil. Wer sich mit komplementären Überlegungen beschäftigt, wer über Schaden und Chance diskutiert, macht klar, wie ernst er die Lage nimmt – und erhöht damit auch seine Glaubwürdigkeit, sich gegen kontraproduktive Kürzungen zur Wehr zu setzen.

Annette Mayer: Natürlich sind viele Maßnahmen abrupt und überzogen. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei, sich mit den Einsparungen auseinanderzusetzen. Wissenschaftsmanagement muss auch in schwierigen Zeiten konstruktive Lösungswege aufzeigen.

Welche Chancen sehen Sie denn konkret durch den Kürzungsdruck?

Dienel: Bei unserem Symposium war unter anderem die Staatssekretärin aus einem Landeswissenschaftsministerium dabei, ein früherer Abteilungsleiter aus einem Finanzministerium, dazu ein Mitglied des Präsidiums der Universität der Künste. Die zentrale These: Haushaltskürzungen können dazu zwingen, das Wesentliche neu zu definieren und unter schwierigen Rahmenbedingungen Prioritäten zu setzen. Sogar wichtige investive Entscheidungen werden durch den Druck wahrscheinlicher. Ein Beispiel: In den späten 90er Jahren stand die TU Berlin finanziell mit dem Rücken zur Wand inklusive Haushaltssperren, Fakultätsstilllegungen. Und doch beschloss der damalige Präsident Hans-Jürgen Ewers, ein Zukunftszeichen zu setzen. Er gab dem Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) eine langfristige Perspektive. Ein Beispiel dafür, dass Schrumpfen nicht nur Verlust bedeuten muss, sondern auch Aufbruch ermöglichen kann. Das hat dem ZTG in seiner Entwicklung enorm geholfen, und auch der TU. Bis heute.

Das war vor bald 30 Jahren. Und heute?

Dienel: Über unseren Masterstudiengang Wissenschaftsmanagement haben wir Kontakt zu vielen anderen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Was wir beobachten: Der existenzielle Druck führt dazu, dass Hochschulen sich stärker als vorher engagieren, um nichtstaatliche Finanzierungsquellen zu erschließen. Etwa bei der Einwerbung von Drittmitteln oder Stiftungsprofessuren. Das Paradebeispiel ist das Einstein Center Digital Future (ECDF), an dem über 50 Professuren entstanden, 35 davon an der TU Berlin, zur Hälfte finanziert von privaten Geldgebern wie Unternehmen und Stiftungen.

"Das ist ein strategischer Umgang mit der Krise."

Aber die Einrichtung des ECDF fiel doch in eine wissenschaftspolitisch günstige Zeit, als Berlin seine Hochschulen vergleichsweise gut finanziert hat und das Thema Public-Private-Partnership zusätzlich forcierte – nicht als Ersatz für den Grundhaushalt.

Dienel: Aber auch das war Ausdruck einer besonderen Prioritätensetzung. Aber ich kann Ihnen gern auch ein aktuelleres Beispiel geben. Der Spardruck beschleunigt auch investive Entscheidungsprozesse. Nach dem Motto: Wann, wenn nicht jetzt? Gerade investive Entscheidungen werden schneller gefällt, um Mittel zu sichern, die sonst verfallen würden. An der TU stellen wir etwa gezielt Seed Money für Großprojekte mit Technikbezug bereit – oberhalb von DFG-Forschergruppen oder SFBs. Die Anschubförderung des SFB-Antrags zu Pilzen als Baumaterialien unter der Leitung von Vera Meyer gehört dazu, ein hochaktuelles Thema, auch aus Nachhaltigkeitsgründen. Die Begehung ist im September. Das ist ein strategischer Umgang mit der Krise.

Mayer: Wir arbeiten an der TU gerade an einer Restrukturierung in der Personalentwicklung – mit dem Ziel, wissenschaftliches und wissenschaftsunterstützendes Personal besser zu verzahnen. Gerade im Bereich Führungskräfteentwicklung bringt das große Chancen: Juniorprofessor:innen und Abteilungsleitungen lernen gemeinsam, entwickeln Verständnis füreinander. Das schafft nicht nur neue Perspektiven, sondern auch Synergien.

Und umgekehrt? Wann kippt Sparpolitik ins Kontraproduktive?

Dienel: Sobald unstrategisch gespart wird. Wenn Mittel einfach dort gekürzt werden, wo sie gerade frei werden – meist also bei befristet Beschäftigten oder frei werdenden Professuren. Das ist kurzfristig gedacht und langfristig fatal. Doch genau das passiert zurzeit bei uns an der TU. Statt klar zu sagen, was wichtig ist, greift man zu formalen Lösungen: pauschale Kürzungen, Einstellungsstopps, Rasenmäher. Wer sich keine inhaltliche Schwerpunktsetzung zutraut, kürzt überall ein bisschen.

Spüren Sie das in Ihrem eigenen Studiengang?

Mayer: Deutlich sogar. Die TU Berlin hatte bisher zehn Stipendien für eigene Mitarbeitende vergeben – für Postdocs, die ins Wissenschaftsmanagement wollen, oder Teamleitungen aus der Verwaltung, die sich weiterentwickeln möchten. Diese Förderung war wichtig: als Zeichen der Wertschätzung, als Bindung an die Institution. Jetzt wurden die Stipendien von zehn auf zwei gekürzt. Das ist dramatisch. Der Bedarf ist groß, die demografische Lücke kommt. Und wenn wir da zu sehr mit der Sparsense drübergehen, verspielen wir Zukunft – denn dieser Studiengang ist nicht nur Weiterbildung, er ist ein strategisches Instrument der Personalentwicklung.

Dienel: Ich bin Prodekan der Fakultät für Geistes-und Bildungswissenschaften. Als Dekanat diskutieren wir die Sparvorgaben des Präsidiums mit allen Instituten. Ich spüre, wie neue Allianzen entstehen. Gemeinsam entwickeln wir neue Argumente gegen den Spardruck – und neue Projektideen, die ohne die Krise vielleicht nie entstanden wären: zum Beispiel eine Stiftungsprofessur für die Literaturwissenschaft oder eine gemeinsame Berufung mit dem Research Institute for Sustainability (RIFS) in Potsdam. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, ein Kampfgeist.

"Der Rasenmäher ist der einfache Weg, wenn man sich Prioritätensetzungen nicht zutraut."

Das mit dem unstrategischen Sparen läuft an deutschen Hochschulen fast immer so, oder? Ist das der Preis der auf Ausgleich, Gremienvielfalt und Machtbalance ausgerichteten deutschen Hochschulgovernance?

Dienel: Es geht sehr wohl ohne Rasenmäher – wenn man den Mut hat. Ich erinnere an Präsident Ewers in den 90er Jahren: Die Zahl der Professuren an der TU ging damals von 780 auf 276 zurück – und trotzdem oder gerade deshalb entstanden neue Leuchttürme. Aber ja: Der Rasenmäher ist der einfache Weg, wenn man sich Prioritätensetzungen nicht zutraut. Auch die Ankündigung von Senatorin Czyborra, in schwierigen Zeiten ab 2026 gezielt Mittel für Umstrukturierungen zur Verfügung zu stellen, ist ein Versuch, mutige Entscheidungen zu ermöglichen.

Mayer:  Voraussetzung ist ein transparenter Prozess – mit nachvollziehbaren Kriterien. Man kann Forschungsstärke, Vernetzung, Lehrleistungen und Transferfähigkeit messen und gewichten. Dann lässt sich mit Fakultäten und Instituten ein Gegenstromverfahren aufsetzen, das Prioritäten festlegt – nicht willkürlich, sondern strategisch.

In Berlin wurde kürzlich gegen die Sparpolitik demonstriert – aber nur rund 3.000 Menschen kamen. Wie erklären Sie sich das?

Mayer: In meinem Umfeld werden die Sparmaßnahmen als sehr einschneidend erlebt und viel Energie darauf verwendet, Strukturen zu schaffen und Prozesse umzustellen, um die wichtigsten Aufgaben weiterhin gut wahrzunehmen. Ich glaube, es herrscht aber eine Art Resignation, mit einer Demo an der Sparpolitik nichts ändern zu können. Viele denken, es bringt eh nichts. Das ist bedenklich.

Dienel: Vielleicht auch, weil die Reaktion auf die Kürzungen nicht nur Protest ist, sondern Arbeit. Viele stecken ihre Energie in Anträge, Kooperationsprojekte, neue Ideen. Auch unser Symposium war ein Versuch, mit dem Spardruck konstruktiv umzugehen. Und es ging uns auch um Dankbarkeit: Angesichts der knappen Haushaltskassen wird uns umso deutlicher,  dass die Gesellschaft uns in einer schwierigen Lage Steuergelder zur Verfügung stellt. Dann sollten wir auch etwas zurückgeben – mit Engagement und Kreativität.

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