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Frau Rauch, warum wollen Sie das Land Berlin verklagen?

Die um viele Millionen gekürzten Berliner Hochschulverträge zu unterzeichnen, kann Geraldine Rauch, Präsidentin der Technischen Universität Berlin, nicht mit sich verantworten. Ein Interview über die Grenzen des Sparens, ­den TU-Plan eines Mediationsverfahrens und Rauchs Absicht, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren.
Portraitfoto Geraldine Rauch.

Geraldine Rauch ist seit 2022 Präsidentin der Technischen Universität Berlin. Vorher war sie Direktorin des Instituts für Biometrie und Klinische Epidemiologie an der Charité. Foto: TU Berlin.

Frau Rauch, Berlins Hochschulen wollten klagen gegen den einseitigen Bruch der Hochschulverträge durch den Berliner Senat. Zuletzt hat Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) den Hochschulen jedoch reduzierte Kürzungsmaßnahmen angeboten – im Gegenzug für ihre Zustimmung zur Abkehr von den bisherigen Vereinbarungen. Andere Hochschulleitungen empfehlen ihren Hochschulen bereits die Annahme. Und das TU-Präsidium?

Wir haben lange beraten, zuletzt vorgestern. Und dann abgestimmt: Dabei kam es mit einer knappen Mehrheit, drei zu zwei, zur Empfehlung an Kuratorium und Akademischen Senat (AS), die Klage nicht weiterzuverfolgen – allerdings unter der Bedingung zusätzlicher Zusagen der Wissenschaftsverwaltung zum Thema Hochschulbau. Ich gehörte zu den beiden Präsidiumsmitgliedern, die für eine Klage votiert haben und anzubieten, die Klage zurückzuziehen, sobald wichtige Bedingungen erfüllt sind. Es war eine knappe Kiste, und mit beiden Optionen, Klage oder Nichtklage, fühlt sich das Präsidium unwohl. 

"Wir würden sehenden Auges in die 
Zahlungsunfähigkeit hineinlaufen."

Was war für Sie persönlich ausschlaggebend?

Unsere Pflicht zu einer soliden Haushaltsführung. Unsere Berechnungen zeigen: Wenn wir die geplanten Einsparungen umsetzen, sind unsere Rücklagen Ende 2028 aufgebraucht. Also lange, bevor die TU auf die Größe geschrumpft ist, die aus den dann vorhandenen laufenden Mitteln bezahlt werden könnte. Wir würden sehenden Auges in die Zahlungsunfähigkeit hineinlaufen, das wäre unverantwortlich. Um die nötigen Kürzungen auch nur halbwegs zu erreichen, dürften wir drei Jahre lang keine einzige Person mehr einstellen – weder Professor:innen noch Wissenschaftler:innen noch Verwaltungspersonal. Das würde den kompletten Stillstand bedeuten.

Eine staatliche Hochschule kann doch gar nicht zahlungsunfähig werden.

Das sagen Sie so. Aber was wäre denn dann, wenn der Haushalt nicht reicht, um die Ausgaben zu decken, und keine Rücklagen mehr übrig sind, um das Loch auszugleichen? Ich weiß es nicht. Wollen wir es wirklich ausprobieren? Wir verstehen alle, dass gespart werden muss. Wir werden auch unseren Beitrag leisten. Aber bitte in einem realistischen Tempo. Den Hochschulhaushalt innerhalb von drei Jahren um dann eine Kürzungssumme von jährlich bis zu 60 Millionen Euro abzusenken, das ist nicht zu schaffen. Das ist eine Absenkung im Budget von 15 Prozent. Zumal da Unbekannte sind wie die Hauptstadtzulage: Wenn die Hochschulen die zahlen müssen, und ich gönne das allen Beschäftigten, kommen da nochmal 10 Millionen zusätzlich obendrauf. Wir sind bereit, von dem aktuellen Hochschulvertrag abzurücken, aber es muss ein leistbares Szenario sein.

Ihr Kanzler Lars Oeverdieck, lange ein Befürworter des direkten Klageweges, hat jetzt trotzdem dagegen gestimmt. Er sagt: Alle wüssten, dass 2029 ohnehin wieder Kürzungen auf die Hochschulen zukäme. Vor dem Hintergrund gelte, es sei ein gutes Verhältnis mit der Landespolitik zu wahren.

Lars Oeverdieck war lange unentschlossen und ist, das hat er selbst immer wieder betont, kein glühender Verfechter der Änderungsverträge. Sein Fokus liegt aber nun darauf, dass der Senat uns beim Hochschulbau entgegenkommt. Das ist in der Tat für die TU und neben der Haushaltslage das zweite dringende Thema. Zusagen bei Thema Bau sind ein guter Ansatz, aber meiner Meinung nach nicht ausreichend, vor allem weil in der Vergangenheit Zusagen im Bereich Bau regelhaft nicht belastbar waren. Und was das gute Verhältnis zur Politik angeht: Keiner möchte sich mit der Landesregierung streiten. Eine Klage wäre aber kein Auftakt für einen Streit, sondern ein übliches Mittel, um rechtliche Uneinigkeiten zu klären. So will ich das auch verstanden wissen.

Manche sagen, Sie betrieben mit ihrer Haltung eine Art Vorwahlkampf. Präsidiumswahlen stehen an.

Ich handle nach Überzeugung, nicht um zu gefallen. Ob ich wiedergewählt werde, wird sich zeigen. Was ich weiß: Drei Jahre lang keine einzige Stelle besetzen zu können, wäre strategisch fatal für die TU und für den Wissenschaftsstandort Berlin insgesamt. Ich bin gern Präsidentin, ich bin aber auch gern Professorin, ich liebe die TU Berlin – und so lange ich im Amt bin, setzte ich mich für die Belange und das Wohl der TU mit aller Kraft ein.

Sie treten also wieder an?

So ist es.

Was bedeutet Ihre Abstimmungsniederlage im Präsidium für Ihre Rolle als Präsidentin?

Es war nicht irgendeine Abstimmung, sondern eine entscheidende, eine zukunftsweisende. Genau darum musste jedes Präsidiumsmitglied seinem Gewissen folgen. Dass das Präsidium nicht immer meiner Meinung ist, ist umgekehrt ganz normal. Für mich war ausschlaggebend, dass wir auch zukünftig einen Haushalt haben, mit dem wir handlungsfähig bleiben. Ich akzeptiere die Sichtweise der anderen, ich kann aber auch nicht von meiner abrücken.

Sie und die anderen Präsidiumsmitglieder haben Ihre unterschiedlichen Positionen am Mittwoch in einer öffentlichen Sondersitzung des AS vorgestellt. Am Ende stand der Plan eines dritten Wegs: die Einleitung eines Mediationsverfahrens.

Ich finde den Vorschlag super. Die Sitzung hat gezeigt: Sowohl einige Kuratoren als auch AS-Mitglieder lehnen die aktuellen Änderungsverträge klar ab, erkennen aber zugleich die Schwierigkeiten einer Klage. Ein juristisch zertifiziertes Verfahren anzustreben, dessen Ergebnis für beide Seiten rechtlich bindend ist, wäre für mich ein konstruktiver Ansatz, um aus der festgefahrenen Situation herauszukommen. Und böte die Chance auf eine tragfähige, verbindliche Einigung. Die Diskussion fand ich sehr ausgewogen und konstruktiv.

Meinen Sie, dass die Politik sich rechtlich binden lassen würde?

Ich meine, dass die Änderungsverträge aus Sicht der TU-Gremien nicht akzeptabel sind und wir darüber hinausgehende Zusagen der Politik nicht für ausreichend belastbar halten. Uns fehlt nach zahllosen Verzögerungen, Aufweichungen und gebrochenen Versprechen gerade auch im Bereich Bau schlicht der Glaube und das Vertrauen.

"Vage Versprechen beim Bau reichen eben nicht, um den sehr konkreten 
Kürzungen der Hochschulverträge zuzustimmen."

Welche Zusagen meinen Sie?

Es ist gut, dass eine Hochschulbaugesellschaft gegründet wird, um uns beim Hochschulbau voranzubringen. Es ist klar, dass eine solche Hochschulbaugesellschaft Zeit braucht, um sich zu etablieren. Aber diese Gesellschaft wird uns schon als Heilsbringer verkauft, bevor ihre Finanzierung oder die ihr zugrundeliegenden Mietmodelle geklärt sind. Pilotprojekte wie unser Modulbau in der Seestraße, ein dringend benötigter Ersatzbau für die Lebensmitteltechnolog:innen, hängen seit Jahren. Schon am allerersten Schritt hapert es: der Abrissgenehmigung. Wir freuen uns, wenn es da jetzt vorangeht, andersrum ist das Bauprojekt noch nicht gesichert, nur weil diese Genehmigung kommt. Vergangenes Jahr wurde uns schon einmal in die Rücklagen gegriffen, ohne dass es im Gegenzug beim Hochschulbau voranging. Jetzt wird uns das wieder in Aussicht gestellt. Ich mache da nicht allein die Wissenschaftsverwaltung verantwortlich, beim Bauen sind so viele Akteure involviert. Aber gerade deshalb sage ich: Vage Versprechen beim Bau reichen eben nicht, um im Gegenzug den sehr konkreten und viel zu hohen Kürzungen der Hochschulverträge zuzustimmen.

Bis 22. August sollen alle Hochschulen der Senatsverwaltung ihre Rückmeldung zu den Änderungsverträgen geben. Glauben Sie wirklich, dass die anderen jetzt noch alles auf Halt stellen und auf den Mediationsvorschlag aufspringen?

Zunächst einmal ist das der Vorschlag der TU-Gremien allein, aber natürlich waren sich alle einig, dass es ideal wäre, wenn alle Hochschulen zusammenstehen. Aber die Zeit ist jetzt sehr knapp, es gab noch keine Gelegenheit, das in der Landeskonferenz der Rektor:innen und Präsident:innen der Berliner Hochschulen (LKRP) zu besprechen. Klar ist, dass sich die angebotenen Änderungsverträge auf alle anders auswirken. Wenn das Land zum Beispiel künftig alle Versorgungslasten übernimmt, profitieren wir als TU kaum davon, andere Hochschulen schon. Am Ende verantwortet jeder seinen eigenen Haushalt und seine eigene Zukunft als Hochschule. Das ist kein Politikum, kein Wahlkampf und keine Frage von Solidarität, sondern ein nüchternes Rechenmodell.

Der Berliner Exzellenzverbund, die Berlin University Alliance, steht im November zur Evaluation an. Wenn die TU jetzt nicht unterschreibt, welchen Eindruck wird das auf die Gutachtenden machen?

Ich bin sicher, dass sich auch die Gutachtenden wünschen, dass die Berliner Hochschulen nicht in die Zahlungsunfähigkeit laufen.

Letzte Frage: Wie ist Ihr Verhältnis zu Ina Czyborra?

Frau Czyborra kämpft wohl oft allein auf verlorenem Posten. Aber dennoch wurde in den letzten Jahren viel Porzellan zerschlagen – nicht unbedingt durch sie persönlich, aber das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik hat gelitten. Um dieses Vertrauen wieder aufzubauen, braucht es jetzt realistische und belastbare Zukunftsvisionen – sicher unter einem reduzierten Haushalt, aber eben auch unter machbaren Bedingungen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf tagesspiegel.de.

Nachtrag:
Die Präsidien der Berliner Hochschulen empfehlen ihren akademischen Gremien, den geänderten Hochschulverträgen mit dem Berliner Senat zuzustimmen. So haben es die Berliner Hochschulen am 22. August offiziell der Berliner Wissenschaftsverwaltung gemeldet – also genau innerhalb der von ihnen erbetenen Frist für eine Antwort. Man habe vor einer schweren Entscheidung gestanden, kommentierte Julia von Blumenthal, Präsidentin der Humboldt-Universität und Vorsitzende der Landeskonferenz der Rektor*innen und Präsident*innen der Berliner Hochschulen (LKRP). "Mit dem Änderungsvertrag gewinnen wir Planungssicherheit, stehen jedoch vor gravierenden Einschnitten in Lehre und Forschung. Nun kommt es darauf an, dass der Senat und das Abgeordnetenhaus sich als verlässlich erweisen. Der neue Vertrag muss so in Kraft gesetzt werden, wie er jetzt auf dem Tisch liegt. Veränderungen wären nur dann akzeptabel, wenn sie zugunsten der Hochschulen ausfallen würden."

Die TU teilte unterdessen in ihrem Schreiben an SPD-Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra mit, ihr Präsidium empfehle ihren Gremien, "zum derzeitigen Stand keine Klage einzureichen". Das endgültiges Absehen von einer Klage hänge von der vollständigen Einhaltung der zuletzt den Hochschulen gemachten Zusagen durch die Senatsverwaltung ab. Und weiter: "Das Präsidium bittet die Senatsverwaltung, auf Grund des nach der Entscheidung des Präsidiums geäußerten Wunsches vom 13.08.2025 des Akademischen Senats und einiger Kuratoriumsmitglieder, ein Mediationsverfahren durchzuführen, um Gespräche zum weiteren Vorgehen und zum Umgang mit diesem Wunsch."

Einen Bericht zum Inhalt der geänderten Hochschulverträge, zum Umfang der Kürzungen und zum weiteren Zeitplan für die parlamentarische Umsetzung finden Sie hier

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