Chancen nutzen, Schwächen beseitigen
Die GAIN-Tagung zeigt: Viele der dort Forschenden blicken voller Unsicherheit auf die politische Entwicklung – und voller Hoffnung auf deutsche Förderstrukturen. Doch bei denen gibt es Verbesserungsbedarf. Ein Gastbeitrag von Julian Dierkes.
Volle Ränge beim Video-Grußwort von Forschungsministerin Dorothee Bär. Foto: DAAD.
VERGANGENE WOCHE war ich in Boston auf der GAIN-Tagung, dem großen Treffen deutscher Wissenschaftsorganisationen mit Postdocs, die in den USA und Kanada forschen. Als Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim wollte auch ich mit jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins Gespräch kommen. Ursprünglich als Rückkehrbörse für deutsche Forschende gedacht, hat sich die GAIN immer mehr für Nicht-Deutsche geöffnet. Diesmal hatten rund 30 Prozent der 330 Teilnehmenden gar keinen Deutschlandbezug – und wollten trotzdem wissen, welche Chancen das deutsche Wissenschaftssystem bietet. Das Interesse war so groß, dass die Anmeldung frühzeitig geschlossen werden musste. Für mich war das ein unübersehbares Signal: Deutschland wirkt im Moment wie ein sicherer Hafen.
Blockiert durch die politische Unsicherheit
Die Dramatik der Lage in den USA wurde mir schon vor Beginn der GAIN vor Augen geführt. Bei einer Infoveranstaltung war das, zu der die baden-württembergischen Hochschulen speziell Promovierende und Postdocs von Harvard und MIT eingeladen hatten. Über 60 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen – weit mehr, als selbst die Organisatoren erwartet hatten. Viele erzählten, wie sie unter dem Wissenschaftsfeindbild der Trump-Regierung leiden. Nicht-Amerikanerinnen wollen eigentlich weg, trauen sich aber nicht, weil sie um ihre Visa fürchten. Und selbst an Spitzenunis sind Karrieren durch das Finanzierungschaos und die politische Unsicherheit blockiert: Juniorprofessuren werden gar nicht erst ausgeschrieben, Stellen eingefroren, Bewerbungen aussichtslos. Und das vielleicht für eine oder gar mehrere ganze Kohorten an Promovierenden.
Meine Perspektive war dabei auch geprägt von meiner Zeit an der University of British Columbia in Kanada. Dort habe ich während der Pandemie mit Kolleginnen und Kollegen diskutiert, wie Förderpolitik auf Krisen reagieren sollte. Unser Fazit damals: keine hektischen Sonderprogramme, sondern Stärkung der Strukturen. Nur so bleibt ein System krisenfest. Genau diesen Weg geht nun auch die deutsche Bundesregierung mit dem neuen Programm "1.000 Köpfe Plus". Statt Schnellschüssen werden bewährte Förderlinien bei DFG, DAAD und Alexander von Humboldt-Stiftung ausgebaut.
Julian Dierkes ist hauptamtlicher Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim. Von Hause aus Soziologe, hat er sich in seiner Forschung vor allem mit dem japanischen Bildungssystem und der Demokratisierung in der Mongolei beschäftigt.
Foto: Uni Mannheim/A. Münch.
Das entsprach dem Diskurs bei der GAIN: Man wolle "brain circulation" statt Abwerbung, wurde immer wieder auch von den zahlreich angereisten deutschen Wissenschaftspolitikern betont – anscheinend die politisch präferierte Strategie – auch wenn mir nicht klar ist, warum man dieser US-Regierung gegenüber mit Kritik Zurückhaltung üben sollte. Damit ähnelt der deutsche Ansatz auch dem kanadischen Canada-Research-Chair-Programm, das ich während meiner Zeit in Vancouver kennengelernt habe und das eine gezielte Stärkung von Forschungsexzellenz über etablierte Strukturen ermöglicht.
Das kommt vor allem in den Natur-, Lebens- und Ingenieurwissenschaften gut an. Programme wie die Emmy-Noether-Nachwuchsgruppen sind dort ein Leuchtturm im sicheren Hafen: sechs Jahre Finanzierung für ein eigenes Team, verbunden mit hervorragenden Berufungschancen. Ich habe in Boston immer wieder gehört, wie attraktiv das im internationalen Vergleich wirkt – einzig die ERC Starting Grants bieten ein ähnliches Paket. Obendrein ist das Programm auch noch so selektiv, dass die Chancen auf eine Berufung auf eine Professur oder attraktive Dauerstellen an außeruniversitären Forschungseinrichtungen sehr gut stehen.
Ein blinder Fleck bei den Sozialwissenschaften
Doch als Vertreter einer sozialwissenschaftlichen Fakultät sehe ich auch einen blinden Fleck. In meinen Gesprächen in Boston – fast ausschließlich mit Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen – wurde klar: Für sie ist das Emmy-Noether-Programm schwer zugänglich. In der Regel verlangt es zwei Jahre Postdoc-Erfahrung. Im deutschen System sinnvoll, weil Postdocs dort eine etablierte Karrierestufe sind, auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften. In den USA jedoch existiert dieses Format kaum. Wer dort in diesen Fächern promoviert, bewirbt sich direkt auf Juniorprofessuren oder Lehrtätigkeiten. Das Ergebnis: Von den 31 Emmy-Noether-Gruppen in den Sozialwissenschaften seit 2000 stammt nur eine von einem US-PhD – zufällig ein Mannheimer Kollege, Nan Zhang, der nach der Promotion in Stanford mit seinem Emmy-Noether-Antrag erfolgreich war und inzwischen auch einen Lehrstuhl in unserer Fakultät innehat.
Wenn die Antwort auf die Krise in den USA das Programm "1.000 Köpfe Plus" ist, dann sollte das auch Anlass sein, die konkrete Ausgestaltung unserer Förderlogik kritisch zu überprüfen. Ziel muss sein, dass die Programme möglichst viele Talente erreichen – auch über Forschungskulturen und disziplinspezifische Unterschiede hinweg. Für die Sozialwissenschaften bedeutet das: Die Vorgabe "in der Regel zwei Jahre Postdoc-Erfahrung" als Voraussetzung für Emmy-Noether-Anträge gehört auf den Prüfstand. In Ländern wie den USA, in denen Postdoc-Stellen kaum existieren, führt diese Regelung faktisch zur Ausschlussklausel. Eine flexiblere Handhabung würde den Zugang erleichtern. Wenn dies mit höheren Budgets für das Emmy-Noether-Programm verknüpft würde, könnte sich seine Attraktivität noch weiter steigern – gerade für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in den USA und in anderen Krisenregionen.
Für mich ist klar: Jetzt wäre der Moment, nicht nur Strukturen zu stärken, sondern sie auch so offen zu gestalten, dass sie wirklich global wirken.
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