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15 Mal aus China, siebenmal aus den USA

Warum das "1000-Köpfe-Plus"-Programm einen erstaunlich guten Start hinlegt – und doch ganz anders ist, als ursprünglich gedacht.
Screenshot der Website

Screenshot der "1000-Köpfe-Plus"-Webauftritts.

DER ANFANG IM SOMMER war holprig, aber seitdem hat das "1000-Köpfe-Plus"-Programm erstaunlich schnell Fahrt aufgenommen: Am Montag verkündete die Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) per Pressemitteilung, dass sie bereits die ersten 74 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Förderung ausgewählt hat.

Kurzer Rückblick: Als das BMFTR im Juli den Startschuss gab, existierte zwar bereits ein Webauftritt namens www.1000-köpfe-plus.de, aber der war kaum gefüllt. Die Humboldt-Stiftung hatte zu dem Zeitpunkt auf ihren Seiten noch gar keine Hinweise für Bewerberinnen und Bewerber, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) konnte immerhin schon eine Seite vorweisen – allerdings nur auf Deutsch. Warum damals alles so Knall auf Fall gehen musste? Wohl weil kurz darauf der Bundeshaushalt 2025 im Kabinett beschlossen werden sollte – und es galt, den Haushaltspolitikern zu zeigen: Das Programm steht, das Geld wird gebraucht.

Entstanden als Reaktion auf Trumps Generalangriff auf die US-Wissenschaft, sollte die Initiative verschiedene Ziele miteinander verbinden, wie Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) zum damaligen Startschuss erklärte: "Mit dem 1.000-Köpfe-Plus-Programm, im Englischen Global Minds Initiative Germany, setzen wir ein wichtiges Zeichen für die Wissenschaftsfreiheit und bieten internationalen Forschenden einen sicheren Hafen. Wir geben einen Impuls, der in unser Wissenschaftssystem hinein und weit darüber hinaus wirken soll: Bei uns hat Freiheit einen Platz. Bei uns haben Exzellenz und Leistung einen Platz."

27 Millionen Euro erhielt das BMFTR dann allein für dieses Jahr für die "1000-Köpfe-Plus" – Geld, das erstmal ausgegeben werden muss. Weshalb die im Sommer getroffene Entscheidung, das Programm über die Aufstockung bestehender AvH-Formate zu starten, die richtige war.

Von der Idee zur ersten Auswahlrunde

"Die zusätzlichen Mittel aus dem Programm ermöglichen es der Humboldt-Stiftung, auf die große Nachfrage aus dem Ausland und rekordverdächtig viele herausragende Bewerbungen zu reagieren und in einem ersten Schritt mehr Humboldt-Forschungsstipendien, Humboldt- und Bessel-Forschungspreise zu vergeben", teilte die AvH jetzt mit.

Von den 74 jetzt ausgewählten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erhielten 66 ein Humboldt-Forschungsstipendium – eine Förderung für internationale Postdocs und erfahrene Forschende aller Fachrichtungen, verbunden mit bis zu 24 Monaten Aufenthalt in Deutschland und einer lebenslangen Alumni-Bindung. Fünf kamen über einen Humboldt-Forschungspreis, drei über einen Bessel-Forschungspreis nach Deutschland – beides Auszeichnungen für herausragende Leistungen ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, verbunden mit Forschungsgeldern von 80.000 beziehungsweise 60.000 Euro und einem selbst gewählten Aufenthalt in Deutschland.

Auf Anfrage ergänzte AvH-Sprecherin Kristina Güroff, noch in diesem Herbst stehe eine weitere Auswahlsitzung an. Bis Jahresende sollen dann insgesamt zusätzliche 140 Humboldt-Forschungsstipendien sowie 20 Humboldt- und Bessel-Forschungspreise vergeben werden.

Dorothee Bär nannte die Geförderten am Montag einen großen "Gewinn für unser Wissenschaftssystem: Mit ihren Erfahrungen, ihrer Expertise und ihren Forschungsvorhaben werden sie den Forschungsstandort Deutschland bereichern und dazu beitragen, unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit weiter zu stärken." In Deutschland gebe es nicht nur exzellente Forschungsbedingungen. "Bei uns ist die Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz verankert, das ist unser großer Vorteil, und dafür setzen wir uns ein."

Wer kommt – und warum

Aus insgesamt 25 Ländern kommen die Geförderten. Beispielhaft führte die AvH in ihrer Pressemitteilung Testimonials von fünf der ausgewählten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an. Die Zitierten stammen aus der Türkei, aus Chile, aus China, aus Belgien und den USA – doch vier der fünf haben eines gemeinsam: Sie forschen und lehren derzeit an einer US-Hochschule. Wie die Gesteinskunde-Expertin Donna Whitney, Professorin an der University of Minnesota, die mit einem Humboldt-Forschungspreis an das Institut für Geowissenschaften der Universität Potsdam geht.

Sie sagt: "Der aktuelle Rückgang der Unterstützung für wissenschaftliche Forschung in den USA hat mein Interesse verstärkt, mehr Zeit dort zu verbringen, wo wissenschaftliche Forschung geschätzt wird. Ein Aufenthalt in Deutschland gibt mir außerdem Zugang zu modernsten Forschungseinrichtungen mit ausgezeichneter technischer Unterstützung und die Möglichkeit, mich mit vielen interessanten Wissenschaftler*innen aus meinem Fachgebiet und verwandten Bereichen auszutauschen."

Angesichts der von der AvH getroffenen Testimonial-Auswahl könnte man den Eindruck bekommen, es seien vor allem Wissenschaftler aus den USA, die dank "1000-Köpfe-Plus"-Unterstützung nach Deutschland kommen. Ein genauerer Blick in die Statistik gibt das allerdings nicht her. Auch wenn vier der fünf Zitierten derzeit in den USA arbeiten, befinden sich unter allen 74 Wissenschaftlern der ersten Bewilligungsrunde nur sieben, die aktuell ihren Lebensmittelpunkt in den USA haben.

Die wahren Schwerpunkte

Die größte Gruppe der "1000-Köpfe-Plus"-Geförderten, insgesamt 30, kommt aus  anderer europäischer Staaten. Was zweierlei Schlussfolgerungen zulässt.

Erstens: Die "große Nachfrage aus dem Ausland und die rekordverdächtig viele(n) herausragende(n) Bewerbungen" scheinen nicht aus den USA zu stammen. Zweitens: Der ursprüngliche Fokus zur Unterstützung gefährdeter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt ist zumindest in dieser ersten Förderrunde zurückgetreten gegenüber dem Ziel, einfach mehr vielversprechende, vor allem junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Deutschland zu holen.

Denn die 30 Forschenden, die aus Europa in die Bundesrepublik kommen, tun das zu einem großen Teil aus Ländern, die im Academic Freedom Index stark, teils sogar vor Deutschland abschneiden: Fünfmal Spanien, fünfmal Polen, viermal Frankreich, dreimal Niederlande. Auch außereuropäische Länder, die ähnlich gut im Index dastehen, sind vertreten – allen voran Kanada mit vier Geförderten.

Auf der anderen Seite, und das ist dann doch bemerkenswert, haben gleich 15 der Geförderten als Herkunftsland die Volksrepublik China gemeinsam. Kein einziges Herkunftsland kommt auf mehr. China liegt im Academic Freedom Index ganz unten, dennoch findet die herausragend hohe Zahl der aus China nach Deutschland kommenden "1000-Köpfe-Plus"-Stipendiaten in der Pressemitteilung der AvH keine Betonung, auch Forschungsministerin Bär erwähnt sie nicht. Bärs Vor-Vorgängerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hatte sich in ihrer Amtszeit an die Spitze einer äußerst kritischen Debatte über den Wissenschaftleraustausch mit China gestellt, während sich die Wissenschaftscommunity selbst um Differenzierung bemühte.

Zwischen Pragmatismus und Anspruch

Ansonsten ist Indien, das ebenfalls zu den unteren zehn bis 20 Prozent im Academic Freedom Index zählt, als Herkunftsland von fünf Geförderten vertreten. Das EU-Land mit dem mit Abstand schlechtesten Abschneiden im Index, Ungarn, dagegen nur mit einem.

"Was uns in ersten Rückmeldungen der neuen Geförderten immer wieder genannt wird, sollte Mut machen und zugleich zeigen, was es bei uns weiter zu fördern und zu verteidigen gilt: die Wissenschaftsfreiheit, die Attraktivität des Forschungsstandorts und die weltoffene, internationale Zusammenarbeit", sagt Humboldt-Präsident Robert Schlögl.

Für die Beliebtheit des Wissenschaftsstandorts Deutschland ist die so schnelle erste Vergaberunde auf jeden Fall ein beeindruckendes Zeichen. Die Humboldt-Stiftung ist nach eigenen Angaben in der Lage, dank "1000-Köpfe-Plus" rund 30 Prozent mehr Forschungsstipendien und 20 Prozent mehr Forschungspreise zu verleihen, als ursprünglich für dieses Jahr geplant waren. Gleichzeitig belegen die Zahlen, dass das neue Programm bislang keine Disruption bedeutet, sondern die willkommene Ergänzung eines schon vorher florierenden deutschen Wissenschaftsaustauschs.

Anstatt ein paar tatsächliche oder vermeintliche Forscherstars nach Deutschland zu locken, geht das Gros der Mittel in die Unterstützung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ob verfolgt, unter Druck oder nicht: Sie kommen für eine begrenzte Zeit nach Deutschland, lernen das System kennen, sie bleiben – oder sie gehen wieder.

Kennenlernprogramm statt Abwerbewelle

Keine Abwerbeinitiative, sondern ein Kennenlernprogramm. Oder, wie Humboldt-Präsident Schlögl es formuliert: "Mit unseren flexiblen Angeboten können wir herausragenden Wissenschaftler*innen eine vorübergehende Basis in Deutschland bieten und langfristige Kooperationen anstoßen."

Die ursprünglich diskutierten, krisengewinnlerisch anmutenden Träume eines aggressiven Recruiting-Programms für US-Forschende – damals von Befürwortern noch mit Blick auf Harvard und Stanford ventiliert – sind einer realistischeren, aber damit langfristig auch tragfähigeren Idee gewichen.

DFG-Präsidentin Katja Becker hatte schon im Juli gesagt: Ja, die Initiative ermögliche es "internationalen Spitzenwissenschaftler*innen, ihre Arbeiten mit freier Wahl von Thema und Methode unter exzellenten Rahmenbedingungen weiterzuverfolgen". Aber: "Gleichzeitig unterstützt sie das Konzept der weltweiten Brain Circulation, das vom deutschen Wissenschaftssystem seit Jahren aktiv gelebt und gefördert wird." Natürlich werde auch das deutsche Wissenschafts- und Innovationssystem durch die Initiative gestärkt. "Vor allem aber stärkt sie die weltweite Wissenschaft und ihre Erfolgsaussichten im Kampf gegen Klimawandel, Fluchtbewegungen, Energiekrisen, Pandemien und vieles mehr."

Apropos DFG, die ebenfalls vom Forschungsministerium mit der Programmdurchführung beauftragt wurde: Deren Sprecher Marco Finetti sagt auf Anfrage, man werde voraussichtlich in der kommenden Woche im Rahmen der "1000-Köpfe-Plus" eine eigene Förderinitiative ausschreiben, die sich an Forschungsverbünde richten werde.

Kommentare

#1 -

Dominik Fischer | Di., 21.10.2025 - 18:10

Glückwunsch zum gelungenen Start!

Und wunderbar, dass Daten erhoben werden und eine Kennzeichnung erfolgt, wer und wie viele durch die Initiative gefördert werden, um Rückschlüsse auf den Erfolg des Programmes zu ziehen und ggf. Anpassungen vornehmen zu können.

Das wurde ja unter anderem in diesem Blog sehr nachdrücklich angeregt ;)

#2 -

Penny Woeful  | Do., 23.10.2025 - 07:28

Ich finde es weder dramatisch noch überraschend, dass nicht 90% der Geförderten aus den USA kommen. Es geht m.E. in dem Programm darum, tolle zusätzliche Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt zu gewinnen. Auch solche, die unter anderen Umständen in die USA gegangen wären, jetzt aber für eine gewisse Zeit nach Deutschland kommen. In Zeiten, in denen Trump z.B. Visa für internationale Postdocs zunehmend unmöglich macht, ist das doch eine passende Auswahl der AvH.

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