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Nicht allein die Politik verursacht Bürokratie

Wer wünscht sich nicht "weniger Bürokratie"? Doch muss auch die Wissenschaft bei solchen Forderungen ehrlich auf die Gründe schauen.

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Artikelbild: Nicht allein die Politik verursacht Bürokratie

Foto: Ro Ma / Pixabay.

ES IST EINE KLAGE, die immer berechtigt ist. Sie geht so: Wissenschaft floriert am besten, wenn sie frei ist. Und zwar auch möglichst frei von unsinnigen bürokratischen Auflagen und kleinteiligen Berichtspflichten. Denn, wie etwa die bekannte Soziologin Jutta Allmendinger neulich im Tagesspiegel in Bezug auf Berlin schrieb: "Neue Prüfungsauflagen verschlingen immer mehr Zeit und Personal." Und: "Bewährte interne Prüfverfahren werden quasi entwertet durch externe Kontrolle und die Kontrolle dieser Kontrolle."

Entsprechend stark sind die Begehrlichkeiten, die das vor seiner Finalisierung stehende SPRIND-Freiheitsgesetz, speziell zugeschnitten auf eine neuartige Bundesagentur zur Förderung von Sprunginnovationen, jetzt auch anderswo weckt. In der Tat sollte die erhoffte SPRIND-Befreiung nicht verpasst werden als Gelegenheit, auch im traditionellen Forschungs(förder)betrieb die real existierende Antrags-, Verwendungsnachweis- und Compliance-Praxis kritisch zu hinterfragen – und zwar genau da, wo sie in die Erbsenzählerei abgleitet. Einerseits.

Andererseits sollten sich die Chefetagen deutscher Hochschulen und Forschungsinstitute fragen, welchen Beitrag die Wissenschaft selbst zum Auftrieb der Kontrollitis leistet. Welchen Eindruck einer wissenschaftsinternen Projektsteuerung wird es etwa bei Rechnungshöfen und Haushaltspolitikern hinterlassen haben, wenn der Bau einer Forschungsanlage mindestens anderthalb Jahrzehnte länger dauert, die Kosten in die Milliarden und damit auf das Vielfache des einst Veranschlagten steigen, wie beim geplanten Teilchenbeschleuniger FAIR in Darmstadt?

Wo war die Forderung der Wissenschaftsorganisationen nach Aufklärung?

Und welches Bild entsteht in der Öffentlichkeit, wenn die Staatsanwaltschaft gegen den Ex-Präsidenten einer der führenden deutschen Forschungsorganisationen wegen des Verdachts auf Untreue im Zusammenhang mit Spesen und Steuergeldern ermittelt – und schon der lange Zeitraum, um den es geht, nahelegt, dass die internen Kontrollmechanismen eben nicht funktioniert haben?

Einzelfälle? Ja, wahrscheinlich. Zumal auch die Politik lange viel zu passiv agiert hat – was zeigt, dass Bürokratie nicht zwangsläufig zu einer besseren externen Kontrolle führt.

Warum jedoch waren die Wissenschaftsorganisationen nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den damaligen Fraunhofer-Vorstand über viele Monate hinweg so still: die Hochschulen, die Wissenschaftsorganisationen und die Allianz, zu der sie sich zusammengeschlossen haben? Wo war da die Kritik, wo die öffentliche Forderung nach Aufklärung?

Am Ende zahlen die normalen Forscher die Zeche – weil sich plötzlich die Anschaffung jeder Keksdose zur Bewirtung von Gästen zum potenziellen Politikum entwickelt.

Bürokratisierung bekämpft man nicht nur mit Forderungen an die Politik. Bürokratisierung bekämpft man auch, indem man Missstände klar und offen als solche benennt. Auch wenn sie aus den eigenen Reihen kommen.

Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.

Kommentare

#1 -

Heute mal anonym | Di., 14.11.2023 - 12:30
Kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen: Regeln gelten nur für das einfache Volk. Wenn die Universitätsleitung etwas unbedingt haben will, dann wird das auch umgesetzt. Irgendwann kündigen halt die Abteilungsleiter, weil sie den Konflikt zwischen Dienstpflicht und Vorgaben der Leitung nicht mehr aushalten.

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