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Kinder, warum seid ihr so unzufrieden?

Eine internationale Studie hat ergeben, dass deutsche Kinder vergleichsweise ungern zur Schule gehen. Für „The Children's Worlds“ befragten Forscher insgesamt 56.000 Kinder im Alter von acht, zehn und zwölf Jahren aus 16 Ländern, davon über 3000 in Deutschland. Nur 36 Prozent der deutschen Achtjährigen gaben an, sich uneingeschränkt auf die Zeit in der Schule zu freuen. Der mit Abstand niedrigste Wert. Zum Vergleich: In Algerien sagen das 86 Prozent, in Äthiopien 78 und in Großbritannien immerhin noch 47 Prozent. In allen Ländern nimmt die totale Zufriedenheit mit der Schule übrigens mit dem Alter ab – in Deutschland geht sie runter bis auf 21 Prozent bei den 10- bis 12-Jährigen.

Was sagen diese Ergebnisse über deutsche Schulen aus und was über die Lebensumstände unserer Kinder? Die Forscher halten sich zurück mit Schlussfolgerungen dazu.

Auffällig ist, dass die Zufriedenheit mit dem Schulbesuch tendenziell ansteigt, je ärmer ein Land wird – und je wertvoller dies vielleicht in den Augen der Kinder und ihrer Eltern den Schulbesuch macht. Natürlich gibt es Ausnahmen: Israel und Norwegen als reiche Länder zum Beispiel liegen bei der Zufriedenheit immerhin im Mittelfeld.

Auffällig ist außerdem, dass die Zufriedenheit mit der Schule offenbar nicht besonders eng zusammenhängt mit der Lebenszufriedenheit der Kinder insgesamt – und eben auch nicht mit ihren wirtschaftlichen Lebensumständen. Am glücklichsten sind die Achtjährigen „The Children's Worlds“ zufolge ausgerechnet in Rumänien, es folgen Polen, Kolumbien und Israel. Die Kinder in Deutschland sind allerdings auch insgesamt weniger zufrieden, nur in Großbritannien, Südkorea, Nepal und Äthiopien äußern sich noch mehr Achtjährige negativ.

Materiell betrachtet ist die Situation der Kinder in Deutschland offenbar vergleichsweise gut: Nur neun Prozent der Kinder berichten von ständigen Geldsorgen in der Familie, der zweitniedrigste Wert nach Südkorea und noch vor Norwegen. Deutsche Kinder müssen am zweitwenigsten im Haushalt helfen und genießen ihre Freizeit.

Warum sind also die deutschen Kinder mit der Schule, aber auch mit ihrem Lebens insgesamt so vergleichsweise unzufrieden? Ich kann drei Erklärungsmuster anbieten, die sich teils ergänzen, teils auch widersprechen.

Erklärung eins: Deutschland ist einfach kein allzu kinderfreundliches Land, dafür sprechen viele Indikatoren, nicht zuletzt die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die niedrige Geburtenrate und zum Beispiel auch die Tatsache, dass laut Studie deutsche Kinder fast am häufigsten Erfahrungen mit Gewalt berichten, nur in Estland und Großbritannien sind es noch mehr.

Erklärung zwei: Die Schulen in vielen anderen Ländern sind einfach immer noch kindgerechter. Dafür spricht, dass verhältnismäßig viele Kinder in Deutschland der Meinung sind, ihre Lehrer hörten ihnen nicht ausreichend zu und würden sie nicht fair behandeln. Hinzu kommt, dass nur die Kinder in Südkorea noch unglücklicher sind mit den Schulnoten, die sie bekommen.

Erklärung drei: Die Deutschen sind insgesamt ein unzufriedenes Volk. Bei der allgemeinen Lebenszufriedenheit landet Deutschland trotz seiner wirtschaftlich guten Lage im Europa-Vergleich lediglich auf Platz 12 – gemeinsam mit Polen und Großbritannien. Die Deutschen erreichten in dieser Kategorie demnach einen Wert von 7,3 und damit nur knapp über dem Schnitt von 7,1. Also könnte bei „The Children's Worlds“ gelten: Wie die Großen, so die Kleinen.

Fest steht: Die Studie, bei der die britische York University und die Schweizer Jacobs-Stiftung federführend sind, sollte Pflichtlektüre werden für Bildungspolitiker genauso wie für Lehrer – ermöglicht sie doch, einmal abseits von Pisa, Timms & Co mit einer international vergleichenden Perspektive auf Deutschland und seine Jugend zu schauen.

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