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Schluss mit der Akkreditiererei?

Haben Sie was gemerkt? Am Freitag hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) eine Entscheidung verkündet, die unser Hochschulsystem verändern wird. Ich habe (Stand Sonntagnachmittag 18 Uhr) mal gegoogelt und kaum eine Zeile dazu gefunden. Zumindest in ihren Samstags- und Sonntagsausgaben haben sich die großen Zeitungen nicht an das Thema herangetraut. Vielleicht fanden sie es aber auch einfach zu langweilig, zu trocken. Ist es ja auch auf den ersten Blick. Passen Sie auf, bis ich geschrieben habe, worum es geht. Vielleicht mögen Sie ja dann auch lieber wegklicken. Also bitte schön: Es geht um die Akkreditierung von Studiengängen.

Sind Sie noch da?

Dann zitiere ich mal aus der Pressemitteilung des BVG: "Die Regelungen über die Akkreditierung von Studiengängen des Landes Nordrhein-Westfalen, wonach Studiengänge durch Agenturen „nach den geltenden Regelungen“ akkreditiert werden müssen, sind mit dem Grundgesetz (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar."

Dazu muss man wissen, dass die Kultusministerkonferenz im Zuge (nicht wegen!) der Bologna-Studienreform Ende der 90er Jahre (und dann nochmal umfassender 2004) beschlossen hat, alle Studiengänge länderübergreifend einer externen Evaluation zu unterziehen, der Akkreditierung. Übrigens auf ausdrücklichen Wunsch der Hochschulen bzw. ihrer Vertretung, der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Parallel sollte die staatliche Genehmigung neuer Studiengänge entfallen – was die HRK wiederholt gefordert hat, aber in vielen Bundesländern bis heute nicht passiert ist. Oberstes Akkreditierungs-Organ ist der so genannte Akkreditierungsrat, eine Behörde, die die grundlegenden Akkreditierungsregeln beschließt und die außerdem für die Zulassung der mittlerweile zehn Akkreditierungsagenturen zuständig ist, die die eigentlichen Akkreditierungsverfahren durchführen. Das Problem ist allerdings: Der Akkreditierungsrat ist gar keine echte Behörde. Sondern eine Stiftung des öffentlichen Rechts. Und obwohl er die Akkreditierung bundesweit verantwortet, ist er lediglich eine Stiftung des Landes Nordrhein-Westfalens.

All das, sagen die BVG-Richter nun, wäre ja okay – wenn denn die gesetzlichen Grundlagen dafür gegeben wären. Und das, so die Richter, seien sie eben nicht. Zitat: "Die Akkreditierung ist mit schwerwiegenden Eingriffen in die Wissenschaftsfreiheit verbunden, die der Gesetzgeber nicht anderen Akteuren überlassen darf. Um dem Gesetzesvorbehalt zu genügen, muss er dafür die notwendigen gesetzlichen Vorgaben selbst treffen." Anders formuliert: Es geht nicht an, dass der Staat relativ wolkig die Kompetenzen zur Anerkennung oder Ablehnung von Studiengängen an "privatrechtlich organisierte Agenturen" (BVG) überträgt und im Gesetz dann nur auf "geltende Regelungen" verweist, nach denen akkreditiert werden solle – Regelungen, die dann von einer Stiftung des öffentlichen Rechts und von Agenturen stammen.

Schließlich sollte man auch noch wissen, dass die Akkreditierungspraxis eigentlich von Anfang an ziemlich unter Beschuss stand. Die Verfahren sei teuer, bürokratisch und inhaltlich häufig nicht hilfreich, so könnte man den Kern der Kritik in den vergangenen 15 Jahren zusammenfassen. Entsprechend frohlockte unmittelbar nach der Entscheidung vom Freitag auch der Deutsche Hochschulverband (DHV) und forderte Bund und Länder auf, "die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen". Diese lauten nach Meinung des DHV: weg mit den Agenturen. Oder zumindest fast. "Universitäten können die Qualität ihrer Studiengänge sehr gut selbst organisieren", kommentierte DHV-Präsident Bernhard Kempen. Die Rolle der Agenturen könnte dann künftig darin bestehen, die Universitäten bei der Qualitätssicherung zu beraten – wenn die das denn wollen und freiwillig darum bitten.

Aus dem BVG-Urteil selbst lassen sich solche Konsequenzen nicht ableiten. Die Richter geben eindeutig zu Protokoll, dass gegen eine externe Qualitätssicherung in der Hochschullehre auch durch privatrechtliche Agenturen nichts einzuwenden sei – nur gesetzlich ausreichend begründet, verankert und definiert müssten Bewertungskriterien, Verfahren und Organisation der Akkreditierung sein. Persönlich bin ich im Übrigen der Auffassung, dass die Akkreditierung durch Agenturen an sich einen qualitativen Fortschritt und (vor allem in der System-Form) einen Gewinn an Autonomie für die Hochschulen darstellt gegenüber der ministeriellen Genehmigung von Studiengängen – theoretisch zumindest, denn in der Praxis lief nun wirklich reichlich viel schief, wenn auch in abnehmender Tendenz in den vergangenen Jahren. Das Ziel muss also jetzt sein, es (noch) besser zu machen, gesetzlich, organisatorisch, inhaltlich. Denn ganz auf eine externe Qualitätssicherung zu verzichten ist am Ende nie und nirgends eine gute Idee.

Also alles halb so wild? Hatte ich nicht selbst anfangs geschrieben, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichts unser Hochschulsystem verändern wird? Ja, und zwar aus drei Gründen. Erstens müssen jetzt in allen Ländern, nicht nur in Nordrhein-Westfalen die diesbezüglichen Gesetze neu formuliert und idealerweise über länderübergreifende Vereinbarungen aufeinander bezogen werden. Das wird ein Spaß. Zweitens steht hinter der Akkreditierung von Studiengängen ein weiteres Akkreditierungsverfahren, das im Urteil gar nicht erwähnt wird, sich aber Stück für Stück durchsetzt: die in der Klammer eben schon erwähnte so genannte Systemakkreditierung, also die Genehmigung ganzer Systeme von Qualitätssicherung auf Hochschulebene. Was passiert jetzt mit der? Und drittens gibt es ja auch noch die institutionelle Akkreditierung privater Hochschulen durch den Wissenschaftsrat. Die, so verlautet es zumindest aus dem Verband Privater Hochschulen (VPH), sei ja nun noch angreifbarer. Schließlich gebe es für die überhaupt keine gesetzliche Grundlage. Es wird also spannend, wie Bund und Länder sich verhalten werden gerade in Bezug auf Punkt zwei und drei.

Das Urteil vom Freitag wurde übrigens losgetreten durch die Klage einer privaten Hochschule. So schließt sich der Kreis.

Kommentare

#1 -

Prof. Klaus Hekking | So., 20.03.2016 - 19:35
Präzise Darstellung des Problems. Man wird sehen, ob die Länder den Beschluss des BVerfG als Chance für mehr Wissenschaftsfreiheit und weniger Bürokratie begreifen. Ebenso spannend wird, wie sich die einzelnen Länder positionieren. Immerhin soll es ja so etwas wie Bildungsföderalismus geben. Wichtig: das BVerfG hat für die Neuordnung klare Leitplanken vorgegeben, so dass ein bloßes Weiter so auf gesetzlicher Grundlage nicht möglich ist

#2 -

Joachim Schroeder | Di., 29.03.2016 - 12:03
Also ist die "Akkreditiererei" grundsätzlich zu beanstanden.
Welche Folge hat dies nun für die Zuordnung der Zugangsberechtigung im behördlichen Laufbahnsystem?
-Master= höherer Dienst
-Bachelor= gehobener Dienst
-Fachschule= mittlerer Dienst

Unstreitig gibt es Qualifikationen/Ausbildungen/gewerbliche Prüfungen mit der Zugangsvoraussetzung Fachschulabschluss.
Diese werden z.T. besoldungsbezogen bis bis A13 bewertet, eine formale bildungsbezogene Einordnung erfolgt jedoch nicht (Offizier Militärfachlicher Dienst) bzw. wird abgelehnt.

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