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Akkreditierung: Die Heidelberger schlagen wieder zu

Jens Halfwassen ist Philosophieprofessor in Heidelberg, und zwar nicht irgendeiner. Seine Arbeiten zu Platon und der Metaphysik finden internationale Beachtung, als Gutachter unter anderem für die DFG und für die Alexander-von-Humboldt-Stiftung engagiert er sich auch über die eigene Forschung hinaus. Der Artikel, den Halfwassen jetzt in der FAZ veröffentlicht hat, lässt indes den Perspektivenreichtum vermissen, mit dem er sich sonst den Dingen nähert. "Kultusminister ignorieren Urteil zur Akkreditierung", wettert Halfwassen und fragt, welches Interesse die "Entscheidungsträger in den Ministerien am Erhalt dieses obszönen Geschäftsmodells" hätten.

Anfang Mai hatten Halfwassen und einige Kollegen den "Heidelberger Aufruf gegen die Akkreditierung" gestartet, ebenfalls in der FAZ. Schon damals hatte ich mich über die Wortwahl gewundert (siehe hierzu meinen Blogeintrag vom 12. Mai). Hintergrund ihres Plädoyers war, dass das Bundesverfassungsgericht (BVG) im März seine Entscheidung verkündet hatte, wonach die geltenden Regelungen über die Akkreditierung von Studiengängen mit dem Grundgesetz unvereinbar seien. Die Länder wurden verpflichtet, die Gesetze bis Ende 2017 anzupassen. Was nicht heißt, dass die Akkreditierung nach Auffassung des BVG an sich verfassungswidrig ist: Die Richter gaben zu Protokoll, dass gegen eine externe Qualitätssicherung in der Hochschullehre auch durch privatrechtliche Agenturen nichts einzuwenden sei – nur gesetzlich ausreichend begründet, verankert und definiert müssten Bewertungskriterien, Verfahren und Organisation der Akkreditierung sein. Dennoch witterten nicht nur in Heidelberg Professoren die Gelegenheit, das "Akkreditierungsmonstrum" (O-Ton Heidelberger Aufruf) ein für alle mal zu erlegen.

Umso größer scheint die Enttäuschung bei Halfwassen gewesen zu sein, als die Politik sich anders entschied. Anfang Juni einigten sich die Minister in der Kultusministerkonferenz auf die Eckpunkte einer Reform, die man als Evolution, ganz sicher aber nicht als Revolution bezeichnen kann. Kernergebnis: Die Akkreditierung bleibt, sie soll allerdings rechtlich vernünftig verankert und teilweise anders organisiert werden. Und um den Kritikern bewusst den Wind aus den Segeln zu nehmen, würdigte die KMK das Akkreditierungssystem zusätzlich noch als wichtige "wissenschaftsgeleitete externe Qualitätssicherung in Studium und Lehre".

Eine Provokation, findet nun Halfwassen und zählt auf, wer sich im Vorfeld der KMK-Entscheidung nicht alles gegen die Akkreditierung ausgesprochen habe: Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister Mathias Brodkorb, der frühere Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin und 98 Prozent der Teilnehmer einer Online-Umfrage des Deutschen Hochschulverbands (DHV). "Das Verfahren hat jede Akzeptanz verloren", schließt Halfwassen daraus, "doch die KMK interessiert das nicht."

Was er nicht sagt: 15 von 16 Kultusministern haben ganz bewusst für die Beibehaltung der Akkreditierung gestimmt; Nida-Rümelin hat innerhalb der SPD-Bildungspolitik kein Standing (mehr), und von den fast 30.000 DHV-Mitgliedern haben gerade mal 2600 auf "Weg mit der Akkreditierung!" geklickt. "Ein Veto Mecklenburg-Vorpommerns wurde ignoriert", schreibt Halfwassen weiter, als ob Brodkorb der einzig schlaue Bildungsminister wäre.

Dass die Entscheidung der KMK, die Auflagen des Verfassungsgerichts zu erfüllen, von Halfwassen als "Kampfansage" gewertet wird, wundert ebenfalls, haben die Richter doch (siehe oben) nie eine Abschaffung der Akkreditierung als solches verlangt. Am bemerkenswertesten ist jedoch das Argument, durch die Akkreditierung würden die Hochschulen der parlamentarischen Kontrolle entzogen. "Das Vorhaben der KMK ist darum ein Schlag gegen die Demokratie." Meint Halfwassen das wirklich so? Will er, dass die Parlamente über Detailfragen der Lehre (und der Forschung) an den Hochschulen wachen und entscheiden? Übrigens hat doch auch hier das BVG etwas ganz Anderes gesagt: Wesentliche Entscheidungen zur Lehre müssten mehrheitlich von Professoren getroffen werden.

Angesichts ihrer fortgesetzten Totalablehnung der Akkreditierung darf man, muss man daher in Anlehnung an Halfwassen fragen, welches Interesse er und seine Mitstreiter eigentlich selbst haben, wenn sie solche Aufrufe und Artikel formulieren. Was erhoffen sie sich von der Absage an eine wie auch immer geartete externe Evaluation? Und wie stellen sich die Heidelberger Professoren ihrerseits die Zukunft der Hochschullehre vor?

Die ernüchternde Antwort findet sich wiederum im Heidelberger Aufruf. Dort heißt es, die Universitäten hierzulande verfügten über ein "in den Jahrhunderten ihres Bestehens" quasi von selbst entwickeltes System der Qualitätssicherung, "dessen Strenge ihresgleichen sucht". Der Weg zur Professur sei in Deutschland lang, schmal und steinig. "Wer ihn hinter sich gebracht hat, ist nachweislich qualifiziert, nun seinerseits sinnvolle Studiengänge zu konzipieren." Mal abgesehen von dem inhaltlichen Widerspruch, dass Halfwassen in seinem aktuellen Artikel ja für eine stärkere parlamentarische Kontrolle der Lehre plädiert: Im Grunde sind die Unterzeichner sich selbst genug. Lasst uns doch in Ruhe, lautet die Übersetzung ihrer Botschaft, wenn man sie aller Empörung und der Vielzahl an Pseudo-Argumenten entkleidet.

Ein bisschen wenig angesichts der Herausforderungen, die sich durch die gesellschaftliche Öffnung der Hochschulen an die Professoren stellt. Und auch ein bisschen wenig differenziert für einen klugen Wissenschaftler wie Jens Halfwassen.

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Kommentare

#1 -

Guido Wirtz | Sa., 10.09.2016 - 15:53
Auch wenn ich vielen ihrer Argumente zu den 'Heidelberger Stellungnahmen' zustimme und die dort an den Tag gelegte Selbstüberschätzung nur als peinlich für meinen Berufsstand empfinde, sollten wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Der Einwand meines ehemaligen Kollegen Deninger aus Münster, dass ein großer Teil des Aufwands in formale Kriterien geht (weil diese besser zu überprüfen sind?) ist sicher teilweise berechtigt! Die Vorbereitung ist sehr aufwändig und die fachlichen Fragestellungen treten oft in den Hintergrund. Andererseits sind an all diesen Verfahren ja auch Kolleginnen und Kollegen aus den entsprechenden Fächern beteiligt, was zumindest zum Teil auch die externe fachliche Beurteilung inklusive Rückkopplung an das Kollegium sicherstellt. Zumindest dieser Aspekt ist aus meiner Sicht unverzichtbar - vielleicht gerade wegen des so schwierigen Weges zum Lehrstuhl, der häufig genau die Kriterien bei der Bewertung von Nachwuchs vernachlässigt, die für die Lehre und eine Studiengangsplanung mit Blick auf die verschiedenen Zielgruppen an Studierenden - nicht jede/r wird zur/zum Professor/in geführt - notwendig wären.
Natürlich all das mit einer ordentlichen gesetzlichen Grundlage (letztlich wurde nur dieser Punkt moniert) und bitte nicht direkt durch Parlament oder Kultus- bzw. Wissenschaftsminister, sondern durch Fachkollegien, die die Eigenheiten der verschiedenen Fächer auch verstehen.

#2 -

Klaus Hekking | Fr., 09.12.2016 - 19:15
Der heldenhafte Einsatz von Herrn Halfwassen in der FAZ ist, nachdem alle Schlachten geschlagen sind, ein kleines literarisches Nachhutgefecht aus der Etappe und hat auch diese Bedeutung. Der historischen Wahrheit halber sei vermerkt: Ein Jahrzehnt lang haben die tapferen Vorkämpfer für die Wissenschaftsfreiheit in den staatlichen Hochschulen nie den Mut gehabt oder Veranlassung gesehen, gegen das aus ihrer Sicht so schreckliche Akkredtierungssystem vorzugehen. Es blieb den privaten Hochschulen vorbehalten, mit ihrem Weg nach Karlsruhe die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass ein deutlich wissenschaftsadäquateres Akkreditierungssystem für alle Universitäten und Hochschulen per Staatsvertrag zwischen den Ländern vereinbart wurde. Es sei bei dieser Gelegenheit daran erinnert, dass mit dem neuen Staatsvertrag auch der Rechtsweg gegen Akkreditierungsentscheidungen eröffnet ist. Da können dann die Herren Professoren aus den Staatshochschulen auf von uns vorgespurten Wegen gegen unberechtigte Eingriffe in ihre akademische Freiheit vorgehen.

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