Debatte: Die Zukunft der Forschung (II)

 

Immer wieder kommen in meinem Blog Gastautoren zu Wort. Eine Frage, die viele bewegt: Wie soll, wie muss sich das System Wissenschaft zwischen Wettbewerb und Kooperation weiterentwickeln, um effizient, effektiv und fair zu bleiben? Kürzlich forderte Klaus Diepold von der Technischen Universität München Forschungsförderung per Lotterie; heute erläutert der Oliver Günther, Präsident der Universität Potsdam, warum das System des wissenschaftlichen Publizierens vor dem Kollaps steht.


Wie die Wissenschaftsverlage
sich zu Tode siegen

Von Oliver Günther

 

Am 28. Juli 2016 erschien in der ZEIT eine kritische Analyse des Wissenschaftsjournalisten Martin Spiewak zur gegenwärtigen wissenschaftlichen Publikationspraxis. Insbesondere – aber nicht nur – in den Naturwissenschaften hängt die wissenschaftliche Reputation derzeit vornehmlich von der Zahl und Art der Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften ab. Je höher das Prestige der gewählten Zeitschrift, desto besser für den Ruf des Autors. Besonders prestigeträchtig sind Zeitschriften mit hohem "Impact Factor", also Zeitschriften, deren Beiträge häufig in anderen Fachbeiträgen zitiert werden. Solche Zeitschriften haben naturgemäß eine höhere Akzeptanzschwelle: Ihre Herausgeber publizieren nach einem ausführlichen Begutachtungsprozess teilweise weniger als einen von zehn eingereichten Artikeln.

 

Wie Spiewak korrekt beschreibt, stößt dieser gut gemeinte Ansatz neuerdings an seine Grenzen. Akzeptanzraten von unter zehn Prozent führen dazu, dass auch solide und lesenswerte Beiträge abgelehnt werden – zumal es von jeher schwierig ist, die langfristige Relevanz eines Forschungsbeitrags zu beurteilen. Der als „Peer Review“ bekannte Begutachtungsprozess leidet darunter, dass immer weniger Wissenschaftler bereit sind, sich anonym und großteils unbezahlt als Gutachter zur Verfügung zu stellen. Zudem zeigen Metastudien, dass auch der beste Peer-Review-Prozess unter Verzerrungen leidet: Wissenschaftlerinnen scheinen im Schnitt schlechter wegzukommen als Wissenschaftler, und wer von einer prestigeträchtigen Forschungseinrichtung kommt, genießt oft einen Vertrauensvorsprung.

 

Verschärft hat sich diese Problematik durch das explosionsartige Wachstum des wissenschaftlichen Publikationswesens. Letztlich leidet das System unter seinem eigenen Erfolg: Während das Peer-Review-System noch in den 80er-Jahren hauptsächlich Spitzenwissenschaftler an renommierten Forschungseinrichtungen und Universitäten involvierte, legt heute fast jede Hochschule weltweit Wert darauf, dass ihre Professoren publizieren. Nicht wenige Hochschulen zahlen sogar Boni pro publiziertem Artikel. Da der Anteil hochbegabter Forscher an der Bevölkerung in den vergangenen 40 Jahren nicht wesentlich angestiegen ist, führt dies zwangsweise zu mehr Mittelmaß im System. Zeitschriften und auch wissenschaftliche Tagungen werden von Einreichungen aus der ganzen Welt regelrecht überflutet. Zwielichtige Verlage publizieren Pseudozeitschriften mit gut klingenden Namen, die jeden Unsinn gegen Geld veröffentlichen. Kurzum: Das System ist auf diese Art der Skalierung nicht vorbereitet, es ist überfordert.

 

Einen wichtigen Punkt möchte ich der Analyse von Spiewak hinzufügen: Die Reaktion der führenden Wissenschaftsverlage auf die Schieflage macht alles noch schlimmer. Zugegeben, das enorme Wachstum des wissenschaftlichen Publikationswesens spricht zunächst einmal für das von ihnen favorisierte Geschäftsmodell. Verständlich also, dass die Verlage das System nicht nur am Laufen halten, sondern zusätzlich anfeuern, sind sie doch gewinnorientierte Unternehmen, deren Ziel die Profitmaximierung ist.

 

Die Erfolge sprechen für sich; die Gewinne der Verlage schießen durch die Decke. So erzielte zum Beispiel der Elsevier-Verlag 2015 einen Gewinn von gut 900 Millionen Euro, was einer wahrlich bemerkenswerten Gewinnspanne von 37 Prozent entspricht. Kein Wunder, dass die Verlage dieses hochprofitable System melken, solange es irgend geht. So mancher Verlagsmanager rechnet sich – wohl zu Recht – aus, dass das aktuelle System noch bis zur eigenen Pensionierung hält und solide Gewinne und damit Boni verspricht. All das ist nachvollziehbar und nicht unbedingt unmoralisch.

 

Ob dieses Geschäftsgebaren der Wissenschaft und dem öffentlichen Wohl dient, muss jedoch bezweifelt werden. Denn finanziert werden die Zeitschriftenabonnements der Bibliotheken ja im Regelfall aus Steuermitteln. Die öffentliche Hand finanziert also nicht nur die eigentlichen Forschungsarbeiten (so sie in einer öffentlich finanzierten Einrichtung entstanden sind), sondern zahlt noch einmal für das Recht anderer Wissenschaftler, darüber zu lesen. Außerdem basiert der wirtschaftliche Erfolg der Verlage teilweise auf der Selbstausbeutung der Wissenschaftler, die unbezahlt Gutachten erstellen und so die Qualität der Zeitschriften sichern. Dass nun ausgerechnet der bereits erwähnte Elsevier-Verlag „an die intrinsische Motivation der Wissenschaftler“ (so in dem erwähnten ZEIT-Artikel zitiert) appelliert, um auch weiterhin deren kostenlose Gutachterdienste in Anspruch nehmen zu können, muss wie Hohn in den Ohren der Betroffenen klingen.

 

Allzu lange wird dies hoffentlich nicht mehr funktionieren. Das Klima zwischen Wissenschaftsverlagen einerseits und Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen andererseits wird zunehmend rauer, viele Wissenschaftler und Wissenschaftsmanager denken über alternative Ansätze nach. Insbesondere Open-Access-Modelle könnten dafür sorgen, dass mit weniger Geld im System mehr gesellschaftlicher Nutzen geschaffen werden kann. Dann müssen öffentlich finanzierte Forschungsergebnisse nicht noch einmal bezahlt werden, um über sie lesen zu dürfen. Gutachter können dann auch gern ein (meist ohnehin symbolisches) Honorar für ihre Arbeitsleistung erhalten. Und für neue Paradigmen zur Qualitätssicherung wie die Nutzung von Schwarmintelligenz wird es mehr Raum geben. Einschlägige Experimente wie auf der Plattform arXiv.org stimmen optimistisch. Von daher ist nicht auszuschließen, dass die Wissenschaftsverlage noch ein spätes Opfer der Digitalisierung werden.

 

Oliver Günther ist Professor für Wirtschaftsinformatik und Präsident der Universität Potsdam.  

 

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Bitte beachten Sie: Ich bin bis zum 04. September in Urlaub. Darum kann ich auf Ihre Kommentare nicht so zeitnah wie gewöhnlich reagieren. Ich bitte um Verständnis und wünsche Ihnen eine schöne Sommerzeit!

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Kommentare: 1
  • #1

    GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:01)

    1