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G 9 hilft Politikern, nicht Schülern

Diese Woche startete meine neue Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel. In der ersten Folge habe ich gesagt, was ich vom Hin und Her in der Schulpolitik halte.

Plötzlich G9-Fans: Die CDU-Spitzenkandidaten Daniel Günther (links) und Armin Laschet. Foto-Credits: siehe unten.

ARMIN LASCHET IST schon vor seinem Amtsantritt zum ersten Mal wortbrüchig geworden, und keinen scheint es zu stören. Vergangenes Jahr hatte der CDU-Politiker und designierte nordrhein-westfälische Ministerpräsident noch versprochen, es werde im Falle eines Wahlsiegs keine komplette Rolle rückwärts geben an den Schulen. Kein flächendeckendes Zurück zu neun Gymnasialjahren bis zum Abi, dem sogenannten G 9, denn das bringe "zu viele Probleme" und sei keine Lösung. "Wir haben immer gesagt, G 8 muss besser gemacht werden, denn es gibt ja Schulen, wo es funktioniert, und es gibt Schulen, wo es nicht funktioniert."

 

Eine, nebenbei bemerkt, recht sinnentleerte Aussage, denn das gilt für Unterricht und eigentlich für so ziemlich alles im Leben eigentlich so ziemlich immer. Und jetzt also die Einigung mit dem neuen Koalitionspartner FDP: G 8, die erst vor anderthalb Jahrzehnten beschlossene Schulzeitverkürzung auf acht Jahre Gymnasium, wird abgewickelt. Was bleibt, ist eine Pseudo-Wahlfreiheit: Nur wenn Gymnasien in Übereinstimmung mit Eltern, Lehrern und Schulträger für G 8 votieren, können sie das Modell retten. Man habe den Schulen "kontroverse Diskussionen" ersparen wollen, sagten Laschet und sein FDP-Verhandlungspartner Christian Lindner in einer fast schon niedlichen Argumentation.

 

Dass parallel auch die neue CDU-FDP-Grüne-Koalition in Schleswig-Holstein die Wiedereinführung von G 9 beschloss, passt ins Bild, ist aber zweitrangig. Schon die Entscheidung im größten Bundesland besiegelt das Schicksal der einst mit großen Erwartungen auch in Westdeutschland gestarteten Schulzeitverkürzung. Jünger sollten die Schulabgänger werden, moderner die Lehrpläne und stärker an der späteren Berufspraxis orientiert. Das Modell G 8 in den alten Bundesländern ist faktisch tot, und es ist nicht an sich selbst gescheitert, nicht an protestierenden Elternfunktionären, die glauben, für das Wohl ihrer Kinder zu sprechen. G 8 zerbrach an der überparteilichen Bequemlichkeit von Politikern, die Erkenntnisse der Bildungsforschung systematisch ignorierten, weil sie keine Lust mehr hatten auf nervige Schuldebatten.

 

Was die Bildungsforscher aufgrund aufwendiger Studien immer wieder berichteten: dass G 8 und G 9 zu identischen Lernergebnissen führen, aber auch zu ähnlichen Stresslevels bei den Schülern. Eine Rückkehr biete daher keine positiven Folgen, sagte zuletzt etwa Olaf Köller vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften. Nun, sagen wir mal: keine positiven Folgen für Schüler.

 

Für Politiker dagegen offenbar schon. Wenn Politiker wie Laschet oder Daniel Günther (der CDU-Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein) jetzt von "Ruhe für die Schulen" sprechen, meinen sie in Wirklichkeit Ruhe für sich selbst. Den Schulen muten sie mit dem zwangsweisen Wechsel zu einer völlig neuen Struktur - und nichts anderes ist die Einführung von G 9 - auf Jahre hinaus erneutes Durcheinander und Mängelverwaltung zu. Genau jenes Durcheinander und dieselbe Mängelverwaltung, die viele Eltern überhaupt erst gegen G 8 aufbrachten. Das gerade überwundene Nebeneinander der Systeme, das Chaos aus fehlenden Lehrplänen und nicht zum neuen Rhythmus passenden Schulbüchern, beginnt von Neuem.

 

Deutschland zerfällt damit endgültig in zwei Schulwelten: Hier der Osten mit nicht nur funktionierenden, sondern auch akzeptierten G-8-Strukturen und vorderen Plätzen in deutschlandweiten Schulrankings. Hier der Westen, dessen Schulen weitere zehn Jahre in die Beschäftigung mit sich selbst abgleiten. Dabei hatte ausgerechnet Schleswig-Holstein zuletzt Boden gutgemacht. Bis Daniel Günther drei Monate vor der Wahl von einem Tag auf den anderen beschloss, dass G 9 fürs Land besser sei. Nun, wir werden sehen.

 

Meine Kolumne erscheint von jetzt an alle zwei Wochen montags im Tagesspiegel im Wechsel mit George Turner und seiner Kolumne "Turners Thesen".

 

Fotos: Laurence Chaperon/CDU Schleswig-Holstein; KAS: "Armin Laschet", CC BY 2.0

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