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It's lonely at the top – aber nicht nur da

Hochschulen sind Organisationen, an denen das Miteinander groß geschrieben werden sollte. Tatsächlich fühlen sich viele Menschen dort auf sich allein gestellt. Ein unterschätztes Problem. Von Jeffrey Peck

Jeffrey Peck
Jeffrey Peck

IN DER LETZTEN ZEIT war ich wieder viel an deutschen Hochschulen unterwegs, saß in Workshops und traf Wissenschaftsmanager, um mit ihnen über mein Lieblingsthema zu sprechen: Worin unterscheiden sich Universitäten in Deutschland und in den USA, und warum ist das so? Unterschiede, Sie können es sich vorstellen, gibt es reichlich, doch ist in den vergangenen Monaten in vielen Gesprächen eine Gemeinsamkeit aufgetaucht, die zumindest mir zuvor nicht bewusst war. Diese Gemeinsamkeit heißt Isolation. Es geht darum, wie einsam Sie sich fühlen können als Rektor(in) oder Dekan(in), als Professor(in) oder Dozent(in) oder anderer Mitarbeiter(in) – und zwar an Hochschulen von Boston bis Berlin, von San Francisco bis Frankfurt. “It’s Lonely at the Top” – aber eben nicht nur dort.

 

Ich kann das ja selbst erleben, seit ich meine offizielle Karriere beendet habe (ein Euphemismus für "in Pension gehen“). Über 35 Jahre war ich Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft an verschiedenen amerikanischen, kanadischen und deutschen Universitäten, in den letzten sieben Jahren war ich Dekan für Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften und zugleich vier Jahre Vice-Provost for Global Strategies am Baruch College der City University of New York, der größten öffentlich-städtischen Universität in den USA – und vermutlich derjenigen mit der vielfältigsten Studierendenschaft. 

 

Ich gehörte zu dieser akademischen Welt und nun bin ich plötzlich selbst zum Outsider geworden. Und erst dadurch wird mir klar, wie schwierig und frustrierend es für sehr viele Menschen in der Hochschule sein kann, wie isoliert und verloren sich der Einzelne oft fühlen muss. >>


JEFFREY D. PECK war über viele Jahre Wissenschaftsmanager in den USA. Jetzt lebt er in Deutschland und arbeitet als Berater im Hochschulbereich. Über seine Erfahrungen und Einsichten schreibt von heute an einmal im Monat hier im Blog.


>> Jetzt bin ich Hochschulberater und Coach, und deshalb beschäftigt mich die existentielle Basis dieses Problems immer stärker. Ich bin fest davon überzeugt, dass es an der Hochschule, in der Wissenschaft und Administration viele sehr attraktive Berufe gibt. Doch auch in der Wissenschaft haben Menschen das Bedürfnis, offen und vertrauensvoll miteinander sprechen zu können. Nicht nur die Rationalität der Wissenschaft, sondern auch die Emotionalität des Einzelnen ist wesentlich. Ein Ausgleich dieser beiden Pole, die rechte Balance zur rechten Zeit, ja manchmal sogar einfach nur das Zuhören und das Mitgefühl, sind erforderlich. Not surprising – der Mensch als Ganzes steht vor uns, genau wie im alltäglichen Leben!

 

Sind wir, die an einer Hochschule Tätigen, auf die dort allzu oft herrschenden Machtspiele, die Kompetenzstreitereien, die Egotrips und das demonstrative Ausleben von Hierarchien vorbereitet? Wie verarbeiten wir die daraus entstehenden emotionalen Spannungen im Uni-Alltag? 

 

In den vielen Gesprächen, die ich führe, taucht immer wieder dieselbe Klage auf: Wir diskutieren zu selten offen und ehrlich über die Frage, was es emotional bedeutet, sich an unterschiedlichen Zeitpunkten einer Wissenschaftlerkarriere zu befinden, als Lehrende oder als Professor am Anfang, während und am Ende der Berufslaufbahn. Einige Hochschulen und Stiftungen haben das bereits verstanden und sind dabei, Formen der kritischen Reflexion unserer Position und unseres Verhaltens in der Hochschulpraxis Raum zu geben, sie zu institutionalisieren. Auf den Punkt gebracht müssen wir systematische Antworten auf die folgenden Fragen finden: Wie helfen wir unseren Kollegen, besser mit ihren Gefühlen im Berufsalltag umzugehen, egal wann und wo in der Karriere Probleme für sie auftauchen?

 

Bis zum Abschluss ihres Ph.D.-Studiums bzw. in Deutschland bis zu ihrer Habilitation haben sich Doktoranden oder Postdoktoranden hauptsächlich auf Forschung und Wissenschaft konzentriert, in den USA haben sie zusätzlich noch einige Jahre Erfahrung in der Lehre an der Uni als T.A. (Teaching Assistant) erworben. Aber weder diesseits noch jenseits des Atlantiks sind junge Wissenschaftler(innen) wirklich auf ihren Beruf und die angestrebte Karriere im Hochschulbereich vorbereitet. Junge Akademiker wissen kaum, was im Alltag an Belastungen auf sie zukommt. Das gilt für die konkrete Vorbereitung einer Vorlesung genauso wie für die Leitung eines Forschungsprojekts oder für das Controlling eines Budgets. Vom persönlichen Umgang mit schwierigen Studierenden, dem Verarbeiten von Konflikten mit Kollegen oder mit der Hochschulleitung ganz zu schweigen. Und wie finden sich junge Wissenschaftler(innen) in der komplexen Hochschullandschaft mit ihren oft nicht weniger komplizierten Persönlichkeiten und Strukturen auch emotional zurecht? 

 

Hierfür sollten die Hochschulen mehr prozessorientiertes individuelles Mentoring anbieten, mehr Gruppen-Workshops und Seminare. Aber ebenso wichtig ist aus meiner Erfahrung noch etwas Anderes: die Einstellung der Wissenschaftler(innen) und damit auch ihre Bereitschaft, sich selbst und die eigene Rolle zu hinterfragen. 

 

So sagte mir kürzlich ein deutscher Professor, der wenige Jahre vor der Emeritierung steht, er habe von ganz allein und ohne jede Beratung gelernt, mit jeglicher Situation in seinem Berufsalltag umzugehen. Und kurz danach sagte mir einer seiner Kollegen, der lange in Nordamerika war, dass amerikanische Professoren aufgeschlossener seien, über ihre eigene Rolle nachzudenken und aktiv an ihrem Verhalten zu arbeiten. 

 

Ob nun US-Hochschulen tatsächlich weiter sind oder nicht, ändert nichts an der Schlussfolgerung, die hier wie dort gilt: Wir müssen bereit sein zuzugeben, dass sich auch an den Hochschulen Menschen auf sich allein gestellt fühlen und Hilfe brauchen. Erst dann kommen wir zu einem wirklichen Miteinander und zu einem produktiveren Arbeitsklima für alle. 

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Kommentare: 4
  • #1

    Susanne Rau, Erfurt (Dienstag, 10 April 2018 09:09)

    Sehr gut! Bitte schreiben Sie weiter, Jeffrey Peck!

  • #2

    ONMA Hannover (Dienstag, 10 April 2018 15:50)

    Stimme der Frau rau zu! Ein bemerkenswerter Mann, eine starke Persönlichkeit.

    LG aus Hannover

    PS: Besuchen Sie auch mal unsere Website onma.de/webdesign-hannover/

  • #3

    Regina Hunter (Samstag, 14 April 2018 00:09)

    Was für ein wichtiges Engagement, die Energie, die in psychischen Konflikten verlorengeht, für die wissenschaftliche Qualität und einen offenen, grosszügigen Austausch frei zu machen. Ach, und ich hoffe, dass diese Bemühungen auch die jungen Akademikerinnen und Akademiker erreichen. Vielen Dank, lieber Jeffrey Peck, alles gute Gelingen und viel Freude für das Weitere Regina Hunter, Dr. phil. Klin. Psychologin

  • #4

    Steffen (Montag, 16 April 2018 23:00)

    Seine Reflexion ist gut, ich sehe das letzte Treffen mit ihm auch mitschwingen. Gerade der Blick "über den Teich", auch v.a. aus seiner Sicht auf D/EU, ist wertvoll. Aber sind wir ehrlich: wo fehlt es nicht an Offenheit und ehrlichem Lösungswillen anstelle von Egoismen derzeit??