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Exklusive Veranstaltung

Wenn die eigenen Eltern studiert haben, ist das Hochschulstudium fast sicher. Wenn nicht, ist Kämpfen angesagt. Das belegt der neue "Bildungstrichter".

Wie Herkunft und Hochschulzugang zusammenhängen: Grafik des DZHW.

DER BILDUNGSTRICHTER ist zurück. Eigentlich hatte er schon vergangenen Juni wie gewohnt in der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks erscheinen sollen, doch dort hatte er überraschend gefehlt. Was prompt zu Vorwürfen führte, der Sponsor der Sozialerhebung, das BMBF, habe mögliche "bad news" (O-Ton Kai Gehring von den Grünen) beseitigen wollen. 

 

Heute hat das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) den Trichter dann doch veröffentlicht, zunächst auf seiner Website. Nicht so schön gelayoutet wie früher, aber deutlich in seiner Botschaft: Die soziale Spaltung beim Hochschulzugang ist kaum geringer geworden. Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien beginnen statistisch gesehen 79 ein Hochschulstudium, teilte das DZHW mit. Von ihren Altersgenossen, deren Eltern nicht studiert haben, schaffen es nur 27 Prozent auf die Hochschule. 

So sah der Bildungstrichter 2012 aus.
So sah der Bildungstrichter 2012 aus.

Der Bildungstrichter wird seit 1985 errechnet. 2012 betrug die Quote bei Akademikerkindern noch 77 von 100 und bei Nicht-Akademikerkindern 23 von 100. Schaut man genauer in die Daten hinein, zeigt sich, wie stark der Hochschulzugang vom Bildungshintergrund der Eltern abhängt. Haben die keinen beruflichen Abschluss, sinkt die Studienanfängerquote der Kinder auf nur noch 12 Prozent. Habe dagegen mindestens ein Elternteil einen Berufsabschluss, erläutert das DZHW, steige der Studier-Anteil auf 24 Prozent. Und von Kinder, deren Mutter oder Vater Abi haben, gehen schon fast die Hälfte (48 Prozent) an die Hochschule. Jeder Übergang im Bildungssystem bedeutete eine erneute Selektion, weil die Entscheidung für die eine oder andere Option (zum Beispiel Gymnasium versus Realschule) von der Bildungsnähe des Elternhauses beeinflusst werde. 

 

Wie ausschlaggebend die Übergänge sind, lässt sich an der grafischen Darstellung des neuen Bildungstrichters gut nachvollziehen: Schon in der Sekundarstufe II, also nach der 9. bzw. 10. Klasse, ist die Bildungsspaltung gewaltig. Von Nicht-Akademikern besuchen nur 46 Prozent der gymnasiale Oberstufe (und 54 Prozent berufliche Schulen); unter Akademikerkindern beträgt die Gymnasialquote satte 83 Prozent. Von denen wiederum die allemeisten (86,9 Prozent) zum Studium weitergehen. Von den 46 Prozent Nicht-Akademikerkindern in der gymnasialen Oberstufe tun das nur knapp die Hälfte. "Familien mit geringem Bildungshintergrund tendieren häufig dazu, die Kosten für höhere Bildung zu überschätzen und Bildungserträge zu unterschätzen, ungeachtet von Bildungspotenzials ihres Kindes", sagt die Studienautorin Nancy Kracke.

 

All das führt dazu, dass Kinder aus Akademikerhaushalten zweieinhalb mal so häufig an den Hochschulen vertreten sind, wie es ihr Anteil am gesamten Altersjahrgang statistisch erwarten ließe. Dieser sogenannte Index der Bildungsbeteiligung (BBI) hat sich zwischen 2005, als er 2,6 betrug und in der neuen, von 2016 stammenden Berechnung (2,5) kaum verändert. Der Umkehrschuss ist klar: Kinder aus Doppel-Nicht-Akademikerhaushalten sind an den Hochschulen weiter extrem unterrepräsentiert.

 

Soweit die wichtigsten Ergebnisse. Sie sind dramatisch – aber das waren sie auch schon 2012. Warum also wurde die Veröffentlichung des Bildungstrichters verschoben? Das DZWH führte vergangenes Jahr "methodische Gründe" an, doch zeigt sich der Bildungstrichter nun im Großen und Ganzen methodisch unverändert. Schon im Juni hatten die Forscher denn auch das Comeback des Trichters zu gegebener Zeit versprochen. Und das Ressort der damaligen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hatte seinerseits beteuert, es habe keinerlei politischen Einfluss genommen. Nun ist seit gut zwei Monaten allerdings eine neue Ministerin, Anja Karliczek, im Amt. Gibt es da wirklich keinen Zusammenhang?

 

So oder so sind die neuen Ergebnisse besonders peinlich angesichts des extremen Anstiegs der Studentenzahlen in den vergangenen 15 Jahren. 2005 studierten 1,96 Millionen Menschen in Deutschland, 2016 waren es 2,80 Millionen – ein Zuwachs von über 40 Prozent. Doch von dem profitierte offenbar vor allem eine Gruppe: die Kinder der Bildungsbürger. Wenn wir ehrlich sind, war die vielgelobte Öffnung der Hochschulen bislang allein eine quantitative; eine soziale war sie nicht. 

 

Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks bezeichnete es in einer ersten Reaktion auf den neuen Bildungstrichter als "gesamtstaatliche Aufgabe", der sozialen Selektivität des Bildungssystems entgegenzuwirken. "Es geht um das gesamte Bildungssystem". Das BAföG müsse schnell angepasst werden, um die Übrgangsquoten von Nicht-Akademikerkindern zu erhöhen. Eine zusätzliche Barriere beim Hochschulzugang sei der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in vielen Hochschulstädten. "Wie gut, dass der Bund die Länder beim Neubau und bei der Sanierung von Studierendenwohnheimen unterstützen will", sagt Meyer auf der Heyde, und als müsse er die neue Regierung daran erinnern, fügt er hinzu: "Das ist nämlich im Koalitionsvertrag der Großen Koalition festgelegt."


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Kommentare: 11
  • #1

    F.D. (Mittwoch, 09 Mai 2018 14:01)

    "Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien beginnen statistisch gesehen 79 ein Hochschulstudium, teilte das DZHW mit. Von ihren Altersgenossen, deren Eltern nicht studiert haben, schaffen es nur 27 Prozent auf die Hochschule."

    Wieso "schaffen es nur 27 Prozent"? Wäre nicht korrekter: "gehen nur 27%"? Schaffen impliziert ein "Anders-Wollen". Könnte es sein, dass bei Kindern häufig der Berufsabschluss der Eltern angestrebt wird, gerade weil der Lebensweg der Eltern quasi als positives Erfolgsmodell schon vor- und mitgelebt wurde?

  • #2

    Klaus Diepold (Mittwoch, 09 Mai 2018 16:00)

    Die Fakten wurden uns wiederholt vor Augen geführt, so wie jetzt auch wieder. Ich verstehe allerdings nicht, wie es zu dieser starken sozialen Selektivität kommt, die noch dazu viel stärker ausgeprägt ist, als in den meisten europäischen Ländern? Vor allem mit einem Blick nach Großbritanien verwundert das doch stark, wo man erwarten würde, dass dort die Studiengebühren eine entsprechende Filterwirkung entwickeln würden. Dort ist das Problem aber nicht so ausgepägt wie in Deutschland, und dass, obwohl es keine Studiengebühren mehr gibt. Kann mir das mal jemand erklären?

  • #3

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 09 Mai 2018 16:08)

    Lieber Klaus Diepold,

    Studiengebühren und ein sozial offener Hochschulzugang sind nicht zwangsläufig Gegensätze. Gut gemacht und sozial ausgestaltet können (nachgelagerte) Studiengebühren jene belasten, die es sich leisten können.

    Mit dem zusätzlichen Geld können dann die Hochschulen bessere Betreuungsleistungen erbringen, die vor allem jenen zugute kommen, die (am Anfang des Studiums) eine stärkere Orientierung brauchen. Diese größere Offenheit für "first-generation students" spricht sich dann wiederum unter den Schulabgängern herum. Wenn dieser Effekt stärker ist als die potenzielle soziale Abschreckungwirkung der Gebühren, bleibt am Ende ein positives Saldo übrig.

    Diese Erklärung möchte ich aufgrund mangelnder aktueller Einblicke allerdings bewusst nicht konkret auf Großbritannien beziehen.

    Viele Grüße!
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #4

    Klaus Hekking (Mittwoch, 09 Mai 2018 19:31)

    Ich unterstütze JM Wiardas Statement nachdrücklich. Eine Subjektfinanzierung anstelle der bei uns üblichen Institutionellen Finanzierung der Hochschulen verbunden mit Studiengebühren würde die soziale Selektivität deutlich reduzieren. Im Übrigen: die hier ermittelten Quoten beziehen sich auf die Staatshochschulen. Bei den Privaten sind Sie bedeutend geringer

    Klaus Hekking, Verband der Privaten Hochschulen

  • #5

    Klaus Diepold (Donnerstag, 10 Mai 2018 11:41)

    Lieber Herr Wiarda, lieber Herr Hecking,

    das ist alles richtig. Ich hatte das Stichwort "Studiengebühren" an dieser Stelle eingeflochten, weil von Seiten der Gebührengegner immer wieder das Argument verwendet wurde/wird, dass die Gebühren sozial ungerecht seien und eine entsprechende soziale Schieflage in der Studentschaft erzeuge. Die dargebrachten Fakten zeigen aber klar, dass wir das in Deutschland auch ohne Studiengebühren schaffen. Die Gründe liegen als NICHT bei den Gebühren. Im Gegenteil, die Gebühreneinnahmen, so der Prozess sozialverträglich gestaltet ist (z.B. nachgelagerte Gebühren) könnte Potentiale schaffen, den Missständen (und als solche sehe ich die soziale Selektivität) konstruktiv entgegenzutreten (siehe Argumente von J.-M. Wiarda). Dazu müssten wir aber insgesamt besser verstehen, was die Gründe für die aktuelle Situation sind (vielleicht beruht meine Frageaber auch nur auf meiner persönlichen Ignoranz).

    Mich interessiert das insbesondere, weil ich selbst ein "first generation" Student war und aus einer "bildungsfernen Gesellschaftsschicht" stamme.

  • #6

    Peter Greisler (Donnerstag, 10 Mai 2018 12:31)

    Lieber Herr Hekking, die Zahlen, die Sie über den Übergang zu privaten Hochschulen haben, würden mich interessieren, zumal die Auseinanderentwicklung lange vor dem Hochschuleintritt einsetzt, vor Schulbeginn. Insofern wäre ein erheblicher Unterschied bei privaten Hochschulen gegenüber vergleichbaren staatlichen Fachhochschulen, bzw. Universitäten interessant.

    Auch der Hinweis von F.D. ist spannend. Wieviele von denen, die nicht zur Hochschule gehen, gehen in die berufliche Bildung, weil sie das für sich attraktiver finden?
    Vielleicht können DZHW und andere Hochschulforscher in den nächsten Jahren mehr über die Gründe und Zusammenhänge herausfinden. Die Beschreibung des seit Jahrzehnten wenig veränderten Trichters alleine hilft ja nicht.

  • #7

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 10 Mai 2018 13:13)

    Ich stimme Herrn Greisler ausdrücklich zu: Wir müssen mehr über die Selektionsmechanismen erfahren, die schon in der Kita und in der Grundschule zu wirken beginnen. Umgekehrt wissen wir ja auch schon eine Menge.

    Auf Twitter kommentierte heute Morgen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, selbst ein ausgewiesener Bildungsexperte, den Bildungstrichter und meinen Bericht wie folgt: "Wie passt die Bewertung zum Wunsch, mehr junge Leute für berufl. Bildung zu gewinnen? Ist #Bildungstrichter zeitgemäß? Wird damit nicht auch suggeriert, akademische Bildung ist besser als berufliche? Wissen wir nicht längst, dass der berufliche Weg beste Karrierechancen hat?"

    Die Antwort einer anderen Twitter-Nutzerin auf Kretschmers Frage kommt meiner persönlichen Position recht nahe. Sie schrieb: "Insofern, als dass bei mehr Chancengleichheit und Perspektivenvielfalt alle gleichermaßen freier entscheiden könnten: Akademikerkinder vielleicht für eine berufl. Bildung und umgekehrt. Und wenn besser = einkommensstärker und geringere Arbeitslosigkeit meint, stimmt es doch idR."

    Die Frage ist ja, WARUM Nicht-Akademikerkinder eine berufliche Ausbildung oft "attraktiver finden" und Akademikerkinder ein Studium. Vielleicht ja auch, weil die Entscheidungen und Sichtweisen in Wirklichkeit gar nicht so "frei" sind, sondern eben von Traditionen, tradierten Wertvorstellungen und Erwartungen Dritter (vor allem der Eltern) geprägt sind.

  • #8

    Klaus Diepold (Freitag, 11 Mai 2018)

    Martin Spiwak hat in der Zeit einen Artikel zu der vorliegenden Trichterstudie mit dem Titel "Wer schafft es nach oben?" veröffentlicht. Der ist lesenswert und versucht einige Punkte zu klären, über die zumindest ich mich regelmäßig wundere.

  • #9

    H.Mauer (Montag, 14 Mai 2018 14:31)

    Als Akademikerin aus einem nicht-akademischen Elternhaus frage ich mich: Wurde eigentlich untersucht, ob der Bildungstrichter für alle Geschlechter gleichermaßen selektiv ist, oder lassen sich hier Unterschiede beobachten?

  • #10

    Reinhard Brabd (Freitag, 18 Mai 2018 15:20)

    Es ist methodisch nicht erfasst, wieviele Abiturienten nach der Erstausbildung dann doch noch ein Studium aufnehmen. Es könnte ja sein, dass mit einer solchen Nacherfassung die Unterschiede wesentlich verringert werden!?

  • #11

    A (Samstag, 19 Mai 2018 09:56)

    Als Arbeiterkind steht es erstmal nicht zur Debatte ein Studium anzustreben.

    Bei der Berufsberatung in der Realschule werden nur Ausbildungsberufe vorgeschlagen. Und auch zu Hause und in der Familie gibt es nur Arbeiter.

    Wenn man jetzt doch den Weg eines Studiums gehen möchte, ist man oft sehr auf sich alleine gestellt.

    Die Eltern verstehen zum Teil nicht, wieso man nicht "normal" eine Ausbildung macht, so wie sie.
    Warum man etwas machen will, was erstmal Geld kostet.
    Sie bleiben skeptisch und können auch bei der Anmeldung in der Uni (usw.) nicht helfen.

    Auch in der Uni gibt es Menschen, die davon ausgehen, man würde alles über Einschreibung, Stundenpläne, Prüfungen und Nachprüfungen bereits wissen.

    Es bleibt eine Verunsicherung und viel Kritik von allen Seiten. Jedenfalls bei mir und meinen Freunden aus der Uni, die auch "nur" aus Arbeiterfamilien kommen.

    Es ist einfach nicht zu vergleichen mit Kommilitonen aus Akademiker Kreisen, die Unterstützung in jeder Form bekommen.

    Da können die Eltern Tipps geben, z.B eine Klausur zu schieben, wenn es zu viele sind. Oder sagen, dass man auch einfach ein bisschen länger studieren kann, wenn es sein muss. Dass man sich Zeit lassen kann.

    In meiner Familie wäre so etwas undenkbar.