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Generationengerechtigkeit mal anders

Mehr Mütterrente? Warum nicht. Aber warum knausern wir gleichzeitig so bei den Jüngeren?

Drei Generationen (Skulptur von Carl Eggers in Rotenburg/Wümme).

HUBERTUS HEIL TAT so, als sei schon die Frage unanständig. Ob die Jüngeren nicht wieder die Verlierer der Rentenpolitik seien, wollte die FAZ vom neuen SPD-Arbeitsminister wissen, und der antwortete, der Versuch, Generationen gegeneinander auszuspielen, müsse endlich aufhören. "Ich kenne keine Großmutter", sagte Heil, "die ihrem Enkel die Zukunft verbauen will, und keinen Enkel, der seiner Großmutter nicht eine gute Rente gönnt."

 

Ein schöner Satz, kaum angreifbar. Doch wenn er stimmt, wie kann es dann eigentlich sein, dass unsere Gesellschaft ihrer Jugend seit so vielen Jahren ein derart krass unterfinanziertes Bildungssystem zumutet?

 

Trotz aller Beschwörungen der Bildungsrepublik investieren Bund, Länder und Gemeinden lediglich 4,3 Prozent der Wirtschaftsleistung in ihre Schulen und Hochschulen – und liegen damit fast ein Prozentpunkt unter dem Schnitt aller OECD-Staaten (5,2 Prozent). Dass es sich um eine Frage der politischen Prioritätensetzung handelt, zeigt ein zweiter Vergleich: Dem deutschen Staat sind seine Bildungseinrichtungen 9,4 Prozent der Gesamtausgaben wert. Die OECD insgesamt kommt auf 11,3 Prozent. Da sollte man sich auch nicht mit den Problemen des Föderalismus herausreden.

 

Kinder und Jugendliche dürfen noch nicht wählen, gleichzeitig wächst die Gruppe der über 65-jährigen Wähler immer weiter. Doch während die Politik neue Rentenpakete schnürt, während von den Jungen wie selbstverständlich erwartet wird, dass sie später ihren Teil des Generationenvertrages übernehmen und den Sozialstaat trotz der dramatischen gesellschaftlichen Alterung am Laufen halten, verweigern wir ihnen die bestmögliche Vorbereitung auf diese Zukunft.

 

Ausgerechnet am Koalitionsvertrag von Union und SPD, die sich selbst für ihren Bildungsaufbruch loben, wird das überdeutlich: Die darin beschlossene Ausweitung der Mütterrente allein wird dauerhaft rund 3,7 Milliarden Euro extra kosten, jedes Jahr. Summiert man dagegen alle bis 2021 geplanten Zusatzausgaben für Ganztag, Bafög, Hochschulpakt, Digitalpakt und Kitas, kommt man auf gerade einmal 2,7 Milliarden im Jahr. Großzügig gerechnet. Und das sind zum größten Teil Einmalzahlungen. 

 

Solche Rechnungen sind kein Gegeneinanderausspielen der Generationen, sondern für Union und SPD unbequeme Fakten. So bleibt den Jungen ein Bildungssystem, das für das Allernötigste gerade gut genug ist. Wobei selbst das eigentlich nicht stimmt. Denn was ein Bildungssystem im Kern ausmachen sollte, ist sein Vermögen, auf gesellschaftliche Veränderungen flexibel reagieren zu können. Auf Migration zum Beispiel. Auf Inklusion. Auf die Digitalisierung und neue Lernformen. Mit modernen Gebäuden und Lernräumen, mit genug Professoren und gut ausgebildeten Lehrern in multiprofessionellen Teams. Nur ein solches Bildungssystem ist am Ende auch in der Lage, gerechte Bildungschancen für alle zu schaffen, abhängig von ihren Talenten. Und die junge Generation damit für die Verantwortung fitzumachen, die sie morgen für die Gesellschaft – auch für die Alten – zu tragen haben. 

 

Wo wir derzeit stehen in Sachen chancengerechter (und damit auch ökonomisch kluger!) Talentförderung, haben wir vorm Wochenende wieder bestätigt bekommen: Von 100 Akademikerkindern studieren in Deutschland 79, berichtete das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Und von 100 jungen Menschen, deren Eltern nicht studiert haben? 27.  

 

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat nun angesichts von prognostizierten 63 Milliarden Steuermehreinnahmen bis 2022 (davon fast elf Milliarden für den Bund) von Finanzminister Olaf Scholz ein deutliches Plus bei den Bildungsausgaben gefordert. Unerwartete Mehrausgaben zur Abwechslung mal für Schulen und Hochschulen, das wäre doch was in Sachen Generationengerechtigkeit. 

 

Dieser Beitrag erschien heute zuerst leicht gekürzt in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel. 


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Kommentare: 1
  • #1

    Uwe Geisler (Sonntag, 13 Mai 2018 23:09)

    Lieber Herr Wiarda,
    Ihr Urteil in Sachen Generationengerechtigkeit fällt sehr (zu) freundlich zugunsten der Regierung aus.
    Die Dramatik wird deutlicher, wenn man auf die langfristigen Wirkungen der Rentenpolitik schaut.
    Ich hatte die Zahlen kurz vor der Wahl zusammengefasst:
    https://twitter.com/uwegeisler/status/911272957103755264
    Unsere Petition zur Erhöhung der Bildungsausgaben läuft noch:
    http://openpetition.de/!bildungsoffensive
    Besten Gruß, Uwe Geisler