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"Die besten Schulen in den schwächsten Stadtteilen"

René Geißler ist Verwaltungswissenschaftler und Experte für kommunale Finanzen bei der Bertelsmann-Stiftung. Er plädiert dafür, Fördermittel zuerst da einzusetzen, wo arme Kinder zur Schule gehen.

René Geißler: Die wachsenden finanziellen Unterschiede zwischen Ländern und Kommunen sind ein Schwerpunkt seiner derzeitigen Forschung. Foto: privat

Herr Geißler, wenn Sie 3,5 Milliarden Euro hätten, und Sie sollten sie in benachteiligten Regionen einsetzen – wo würden Sie anfangen?

 

Eine gute Frage, die nur schwer zu beantworten ist. Als dieses Thema im letzten Jahr im Landtag Nordrhein-Westfalen debattiert wurde, sind wir dafür eingetreten, die Gelder anhand der Kinderarmut zu verteilen. Wenn also zum Beispiel in Essen sechs Prozent der armen Kinder leben, erhält die Stadt auch sechs Prozent der Fördermittel. Das ist fair und transparent. Der Gedanke basiert auf zwei Beobachtungen: Im Regelfall sind auch die Städte, in denen sich Kinderarmut ballt, an sich arm. Demzufolge ist dort auch die bauliche Situation der Schulen schlecht. Des Weiteren ist der Effekt guter Schulbauten auf den Bildungserfolg gerade bei Kindern aus sozial schwachen Familien am größten. Im Grunde müssten die besten Schulen in den schwächsten Stadtteilen stehen.

 

Haben die Kommunen dazu belastbare Daten?

 

Ja, zu den Haushalten mit Hartz IV- Bezug gibt es ausreichend Daten über die Agentur für Arbeit bzw. die Jobcenter. Die Zahlen sind bekannt und werden regelmäßig veröffentlicht.

 

Nun verteilen sich arme Kinder in den Städten nicht unbedingt gleichmäßig auf die Schulen, sondern es kann sein, dass sie sich innerhalb der Stadt auf wenige Schule konzentrieren. Wie könnte man hier steuern?

 

Über die Verteilung innerhalb einer Kommune muss letztlich der Stadtrat entscheiden. Gewisse Dinge kann man nicht zentral aus Berlin oder Düsseldorf vorgeben. Hier muss und sollte man darauf vertrauen, dass die Verantwortlichen vor Ort angemessene Entscheidungen treffen. Es ließe sich möglicherweise in einer Richtlinie des Landes festhalten, dass besondere Bedarfslagen der Schulen bevorzugt berücksichtigt werden sollen.

 

Sie würden jetzt nicht anfangen Köpfe zu zählen und das Geld nach Armutsquote verteilen?

 

Innerhalb der Städte stellt sich in der Tat die Frage nach der Datenlage. Dann geht es ja nicht mehr um die Frage, in welcher Stadt wohnen die armen Kinder, sondern in welcher Straße. An dieser Stelle kann ich mir vorstellen, dass aus Datenschutzgründen diese Zahlen nicht vorliegen.

 

Sie wären sogar dafür, die Hürde Datenschutz zu bearbeiten?

 

In diesem konkreten Fall: Ja. Wir neigen in Deutschland dazu, an Hürden zu scheitern, die wir zuvor selbst errichtet haben.  Aber wenn es uns tatsächlich ernst ist im Kampf um bessere Bildungschancen, müssen wir auch den Mut haben, neue Wege zu gehen und den Verantwortlichen in Schulen und Jugendämtern ein Stück mehr zu vertrauen.

 

Interview: Daniela von Treuenfels

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