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To Teach or not to Teach – das ist hier die Frage

Nur wenn die Lehre in der ihr zustehenden Rolle neben der Forschung steht, ist die Hochschule vollständig. Aber wieso sieht die Realität so oft anders aus? Eine amerikanisch-deutsche Bestandsaufnahme von Jeffrey Peck.

Jeffrey Peck. Foto: privat
Jeffrey Peck. Foto: privat

GEORGE BERNHARD SHAW hat einmal gesagt: "He who can, does; he who cannot, teaches." Obwohl Shaw eigentlich das Unterrichten an der Schule meinte, ist sein Satz gerade an den Hochschulen in den USA zu einem geflügelten Wort geworden. Man könnte auch sagen: zu einem Klischee. Teaching, gemeint ist die Lehre, hat demzufolge keinen großen Wert. Diejenigen, die sich in der Lehre engagieren, haben sonst nichts Besseres zu tun, keine nennenswerten Alternativen und wahrscheinlich fehlt Ihnen sogar das Talent für das besagte "Bessere". Soweit das Klischee. Nicht nur die Lehre hat einen schlechten Ruf, sondern auch jene, die sie erteilen.  

 

Immerhin hat in der amerikanischen Universitätslandschaft in den vergangenen Jahren ein Umdenken stattgefunden, eine Verschiebung der Wertigkeiten in Richtung teaching – zumindest auf der rhetorischen Ebene. Neben research liegt an den meisten US-Hochschulen mittlerweile offiziell eine klare Betonung auf teaching. Bei der Entscheidung, ob ein Professor oder eine Professorin tenure erhält (eine Unistelle auf Lebenszeit), soll die Lehre mit den Ausschlag geben. Ob das überall schon so umgesetzt wird, ist eine andere Story. 

 

In Deutschland wird ebenfalls häufiger über die Rolle der Lehre an den Hochschulen diskutiert als noch vor einigen Jahrzehnten. Dabei geht es auch hier – wenig überraschend – immer auch um ihr Verhältnis zur Forschung. Was ist wichtiger? Wie viel Geld sollen und können die Hochschulen für "gute Lehre" ausgeben? Und lohnt es sich für junge Wissenschaftler, Lebens- und Karrierezeit abseits der Forschung zu investieren? So wie an US-Unis Shaws Spruch immer noch in den Köpfen steckt, bemühen die Deutschen, sobald es um die Lehre geht, ein ebenso eingängiges Klischee. Und zwar den guten alten Humboldt und seine Weisheit von der engen Verknüpfung von "Forschung und Lehre", vom "forschenden Lernen". Es ist, obgleich ein Klischee, immerhin ein positiv konnotiertes. Und ich finde: Humboldt hat Recht. Immer noch. 


JEFFREY D. PECK war über viele Jahre Wissenschaftsmanager in den USA. Jetzt lebt er in Deutschland und arbeitet als Berater im Hochschulbereich. Über seine Erfahrungen und Einsichten schreibt er einmal im Monat hier im Blog.


Indes hat gerade erst wieder eine Studie gezeigt, dass die Professorenauswahl an Universitäten immer noch und fast ausschließlich von Publikationen, Forschungsprojekten und Drittmitteln der Bewerber abhängt. So berichten Bernd Kleinmann und Malte Hückstädt in der Zeitschrift Beiträge zur Hochschulforschung, auf ihre Studie hatte gestern zuerst der ZEITChancen Brief hingewiesen. Immerhin: An Fachhochschulen zählen exzellent Lehrleistungen tatsächlich stärker. 

 

Aber was hieße es eigentlich konkret, die Lehre nicht nur wahr-, sondern auch ernst zu nehmen? Aus meiner US-Erfahrung als Dekan, also aus der Sicht desjenigen, der die Arbeit meiner Fakultätsmitglieder zu beurteilen hatte, stellen sich basale Fragen: Was sollen die Studierenden überhaupt lernen? Wie werden Wissen und Können von den Lehrenden so vermittelt, dass sie bei den Studierenden ankommen? Und dabei geht es um viel mehr als um die Frage digital versus analog.  Was ist überhaupt das Ziel eines Hochschulstudiums: Bildung oder Karriere?

 

Und schließlich, was mich hier besonders interessiert: Was für eine Rolle spielen bei all dem die Professoren? Welche Eigenschaften und Verhaltensweisen bringen sie mit, welche innere Einstellung brauchen sie, um nicht nur als Wissenschaftler erfolgreich zu sein, sondern auch als Lehrende? Sind gute Wissenschaftler notwendigerweise gute Lehrer? Vielleicht nicht, aber in Anlehnung an Humboldt wird postuliert, dass Hochschullehre durch die enge Verbindung mit der Forschung besser wird. 

 

Das aus dem Lateinischen stammende englische Wort profess beschreibt eine primär einseitige Interaktion. Doch Professoren sollten ihren Job nicht mehr als den eines Senders verstehen. Die Lehrenden sollten dialogisch unterrichten, gezielt auf die Studierenden eingehen (student centered learning). Nicht nur Vorträge halten. An meiner Hochschule in den USA wird erwartet, dass die Professoren nicht nur den Inhalt des Kurses, also Wissen, vermitteln, sondern den Lernenden vor allem in die Lage versetzen, den Sprung auf die Metaebene des critical thinking, der kritischen Reflexion zu schaffen. Ein solches Bewusstsein entsteht nur im beständigen Hin und Her, im Fragen und Hinterfragen eines Gesprächs.

 

Damit das gelingt, ist ganz offensichtlich das persönliche Verhältnis von Lehrendem und Lernendem von entscheidender Bedeutung. Diese besondere pädagogische Beziehung und ihre spezifisch deutsche Ausprägung haben mich beschäftigt, seit ich in den 70er Jahren in Tübingen und Freiburg studiert habe. Eine Beziehung, deren Gelingen vom Verantwortungsgefühl des Professors oder der Professorin abhängt. Aber eben nicht nur: Es geht auch um Geld. Als ich selbst viele Jahre später an deutschen Universitäten wie der Freien Universität und der Humboldt-Universität in Berlin lehrte, erfuhr ich am eigenen Leib, warum die Lehre hierzulande ist, wie sie ist. Mir wurde sehr schnell deutlich, dass man in Deutschland viel mehr unterrichten muss, und nicht nur das, die Seminare sind auch viel größer. Das wirkt sich zwangsläufig auf die Qualität der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden aus.

 

Auf den Punkt gebracht: In den USA wird pro Kopf einfach wesentlich mehr Geld in die Lehre investiert. In Deutschland dagegen ist die Stellenplanung und die im Vergleich zu US-Hochschulen unzureichende Professsoren-/Studierenden-Betreuungsrelation ein wesentlicher Grund für den Mangel an Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden.

 

Die sogenannte faculty/student ratio wird logischerweise immer nur von jenen Institutionen bejubelt, bei denen sie besonders niedrig ist. Leider handelt es sich hierbei meist zugleich um die teuersten Hochschulen. Nach meinen eigenen vieljährigen Lehrerfahrungen kann ich, wobei mir vermutlich die allermeisten Hochschullehrer zustimmen werden, definitiv sagen: Kleinere Klassen und Kurse, in denen Studierende mehr Diskussionen und persönliche Verbindung, kurz: einfach mehr Zeit und Austausch mit ihren Professoren, erleben, führen zu besserem Lernen.  

 

Dieser pädagogische Rahmen schafft eine sehr menschliche Art der Kommunikation und des Dialogs, er ermöglicht ein wirkliches give and take. Es entsteht eine persönliche Betreuung, die über das Ende der Lehrveranstaltung hinausreicht. Von Professoren in den USA wird selbstverständlich erwartet, dass sie häufige Sprechstunden halten, ihre Türen stehen auch sonst zumeist offen. Der Kontakt zwischen Studierenden und Professor wird gepflegt und, ganz wichtig, auch von jedem Studierenden in den obligatorischen Evaluierungen "benotet". Diese studentischen Einschätzungen wiederum werden gesammelt zu einem wesentlichen Kriterium für die Entscheidung, ob jemand Tenure bekommt oder nicht.

 

Kein Wunder, dass viele deutsche Studenten_innen nach einem Aufenthalt an einer amerikanischen Universität von der dortigen Betreuung schwärmen. Dasselbe hörte ich sogar hier von meinen deutschen Studierenden: "Sie sind der erste Professor in Deutschland, der sich so viel Zeit genommen hat, mit mir zu sprechen." Ich könnte es mir einfach machen und sagen, das liege an meiner kulturellen Prägung. Aber ich hatte auch ein geringeres Lehrdeputat hier in Deutschland. Ja, so ist es halt: je weniger Studierende da sind, desto mehr Zeit kann ich mir als Professor für sie nehmen.

 

Trotzdem wäre es einseitig und unfair, die amerikanische Situation als durchweg vorbildlich zu präsentieren. Denn auch dort gilt, und ich habe es anfangs angedeutet: Die Realität sieht oft anders aus. Je größer der Publikationsdruck und die Zahl der abgelieferten wissenschaftlichen Arbeiten werden – die übrigens nicht zwingend auch Indikator von mehr oder besserer Forschung und damit solider Wissenschaft sind - desto weniger wichtig wird im Alltag der Professoren die Lehre. So bleibt es auch in den USA leider sehr oft nur bei einem Lippenbekenntnis. Ein hervorragender Forscher/(in)/Wissenschaftler(in), so schlecht sie/er auch unterrichtet, wird auch in den USA fast immer die Universitätsstelle behalten. Das ist sicher. Bei jemand, der sich in der Lehre auszeichnet, ist das weniger sicher – wobei es natürlich auf die Ausrichtung des jeweiligen Colleges oder der jeweiligen Universität ankommt. 

 

Und doch: Wir dürfen gerade wegen der offensichtlichen Mängel nicht den Mut verlieren. Wir müssen weiter die Bedeutung guter Lehre fördern, durch unsere Rhetorik, durch beharrliches Drängen und durch unser eigenes Handeln. Je hartnäckiger wir die Bedeutung der Lehre thematisieren auch bei denen, die es vielleicht nicht hören wollen, desto eher fördern wir ein Bewusstein für das Mögliche und Bessere. Je lauter wird über gute Lehre und reden und herausragende Beispiele herausstellen, desto mehr erhöhen wir den Erwartungsdruck auf die Community, auf Professoren und Studierende und alle sogenannten Nachwuchswissenschaftler dazwischen – die Anonymität und Distanz zu verringern und in einen unmittelbaren und persönlicheren Kontakt miteinander zu treten.

 

Nur wenn die Lehre in der ihr zustehenden Rolle neben der Forschung steht, ist die Hochschule vollständig. Nur dann ist sie als Ganzes wirklich die humanistische Institution, die sie immer nicht nur sein will, sondern auch sein soll. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jakob Wassink (Mittwoch, 13 Juni 2018 21:37)

    Sehr geehrter Herr Peck,
    Ihre Schlussfolgerung, dass eine bessere Betreuungsrelation eine bessere Lehre zur Folge hat, ist natürlich richtig. Man kann aber auch in Deutschland unter den gegebenen Rahmenbedingungen (Monopolstellung staatlicher Hochschulen, grundrechtlich gewährleistetes Teilhaberecht an Hochschulbildung, Kapazitätsausschöpfungsgebot) bessere Betreuungsrelationen erreichen. Wenn ich mir ansehe, wie überfrachtet selbst Masterstudiengänge, die auf eine eigenverantwortliche Promotion vorbereiten sollen, immer noch sind und welchem überflüssigen bürokratischen Irrsinn sich Hochschullehrer*innen bei der Gestaltung von Curricula und Prüfungsverfahren hingeben, überkommt mich ein Unwohlsein.