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"Die Wissenschaftspakte sind keine Einbahnstraße"

Berlins Wissenschaftsstaatsekretär Steffen Krach über die künftigen Länderanteile bei der Wissenschaftsfinanzierung, ein neues Konzept für den Hochschulpakt und Berlins Chancen bei der Exzellenzstrategie

Steffen Krach. Fotos: Senatskanzlei/Lukas Hofmann
Steffen Krach. Fotos: Senatskanzlei/Lukas Hofmann

Herr Krach, derzeit zahlt der Bund den jährlichen Budgetzuwachs beim Pakt für Forschung und Innovation (PFI) allein. Die Große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass es weitere Steigerungen beim PFI nur geben wird, wenn die Länder wieder ihren vollen Anteil leisten. 

 

Ein Anliegen, das im Kern berechtigt ist. Was Berlin angeht, habe ich darum neulich bei einer Tagung der Fraunhofer-Gesellschaft in Gegenwart von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek Verhandlungsbereitschaft signalisiert.   

 

Auf Ihre und die Verhandlungsbereitschaft einiger weiterer Bundesländer angesprochen, konterte Karliczek im Interview: "Aber fragen Sie bitte auch, ob diese Länder nur bei der nächsten Paktrunde wieder mitzahlen wollen oder ob sie bereit sind, auch die drei Prozent Zuwachs für die vergangenen fünf Jahre nachzuholen." Diese Frage gebe ich hiermit gern an Sie weiter. 

 

Ich halte es für einen Fehler, dass die Länder damals überhaupt entschieden haben, sich aus der Finanzierung des Aufwuchses zurückzuziehen. Erst die ausgewogene Mischfinanzierung von Bund und Ländern hat unser Wissenschaftssystem in den vergangenen 15 oder 20 Jahren so stark werden lassen. Daran sieht man sehr wohl, dass die Länder insgesamt ihre Verantwortung ernst nehmen.

 

Womit Sie Karliczeks Frage noch nicht beantwortet haben.  

 

Richtig ist, dass sich durch die – ich nenne sie mal – Fehlentwicklungen beim PFI auch die Finanzierungsverhältnisse verändert haben, weg von den bewährten 50:50- und 90:10-Schlüsseln. Und diese Fehlentwicklungen könnten noch wesentlich dramatischer werden, wenn wir so weitermachen würden. 


Steffen Krach

Der 38 Jahre alte gebürtige Hannoveraner  ist 2002 zum Politik-Studium nach Berlin gekommen. 2007 wurde er persönlicher Referent, 2010 Büroleiter des damaligen SPD-Bildungssenators Jürgen Zöllner. 2012 wechselte er auf die Bundesebene und leitete die Bund-Länder-Koordinierungsstelle der SPD-Bundestagsfraktion. 2014 stieg er zum Berliner Staatssekretär auf, zunächst unter Sandra Scheeres. Seit 2016 heißt sein Chef Michael Müller: Der Regierende Bürgermeister hat zugleich das Wissenschaftsressort übernommen.


 

Und was folgt daraus?

 

Dass wir uns einig werden müssen, was der Koalitionsvertrag genau bedeutet. Da steht ja nichts von Nachzahlen drin. Aber offenbar interpretiert Frau Karliczek das anders. Und über die unterschiedlichen Interpretationen werden wir bei den anstehenden Verhandlungen reden, wenn alle Pakte gleichzeitig auf dem Tisch liegen, also neben dem PFI vor allem der Hochschulpakt. Ganz sicher wird es nicht so laufen, dass wir von einem Tag auf den anderen die entstandene Lücke ausgleichen werden. Ich habe da großes Verständnis für alle Länder die sagen: Das kommt aus finanziellen Gründen für uns nicht in Frage. 

 

Sie betonen das mit den Verhandlungen des Gesamtpakets so. Warum?

 

Weil wir ein hohes Interesse daran haben, insgesamt einen fairen Ausgleich zwischen Bund und Ländern zu erreichen. Gerade hat ja Frau Karliczek angekündigt, den Hochschulpakt nicht dynamisieren zu wollen. Es ist daher richtig, dass wir über die Zukunft des Hochschulpakts parallel zur Zukunft des PFI reden. 

 

 


Zum Hochschulpakt kommen wir gleich. Können Sie zunächst beziffern, was es Berlin kosten würde, wenn Sie auf einen Schlag die entstandene Lücke beim PFI nachzahlen würden?

 

Gut 30 Millionen Euro. Beteiligen wir uns künftig auch wieder am PFI-Aufwuchs, kostet uns das nochmal einige Millionen Euro mehr, Jahr für Jahr. 

 

Denkbar wäre, dass Sie zusätzlich zu den für den aktuellen Aufwuchs nötigen Millionen auf die 30 Millionen in fünf Jahresschritten aufstocken.

 

Ich möchte den Verhandlungen nicht vorgreifen. Aber dass der Bund das Thema Finanzierungsschlüssel thematisieren wird, ist klar. Und natürlich ist uns gerade in Berlin die Bedeutung der Gemeinschaftsfinanzierung von Bund und Ländern sehr bewusst. Genauso wie wir großen Wert darauf legen, die unterschiedlichen Ausgangssituationen der Länder ernst zu nehmen. 

 

Sie gehören zu den größten Netto-Profiteuren, um es auf den Punkt zu bringen, wenn man PFI und Hochschulpakt zusammennimmt. Insofern ist verständlich, dass Sie dem Bund entgegenkommen möchten.

 

Wir bekommen jedenfalls deutlich mehr heraus, als wir hineinstecken, das ist richtig. Aber auch uns würde ein jährliches Drei-Prozent-Plus beim PFI nicht leichtfallen. Vergessen Sie nicht, dass Berlin immer noch 57 Milliarden Euro Schulden hat. 

 

Übrigens interessant, dass alle nur mit drei Prozent Aufwuchs in der nächsten PFI-Periode planen. Es waren mal fünf.

 

Aus der Perspektive der Wissenschaft gilt natürlich immer: Je mehr, desto besser. Aber Sie wissen auch, dass nach 15 Jahren Budgetzuwachs für die außeruniversitären Forschungsorganisationen von erst drei, dann fünf und dann wieder drei Prozent pro Jahr, die Kluft zur Hochschulfinanzierung groß geworden ist. Wir müssen schauen, wie wir sie wieder kleiner machen. 

 

Aber vorhin haben Sie selbst gesagt: Anja Karliczek lehnt die Dynamisierung des Hochschulpakts, also ein jährliches Plus wie beim PFI, ab. 

 

Und dazu sage ich: Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass Frau Karliczek vor Beginn der Verhandlungen ihre Position verkündet. Aber klar ist auch: Die Wissenschaftspakte sind keine Einbahnstraße, bei der nur der Bund etwas leistet und darum bestimmen darf, was wie läuft. 

 

Anja Karliczek wirft den Ländern grundsätzlich Nehmerqualitäten vor. Sie sagt, anstatt über mehr Geld beim Hochschulpakt zu reden, sollten die Länder selbst ihre Hausaufgaben machen und mehr in die Hochschulen investieren.  

 

Was soll denn das heißen? Es ist doch nicht so, dass manche Bundesländer freiwillig weniger in Wissenschaft und Hochschulen investieren. Der Konsens, dass mehr Geld für Forschung gut und richtig ist, ist partei- und länderübergreifend. Aber manchen Ländern fehlt schlicht die Finanzkraft. Andere dagegen sind längst dazu übergangen, ihren Hochschulen jährliche Budgetsteigerungen zu garantieren. Bei uns in Berlin erhalten die Hochschulen jedes Jahr 3,5 Prozent mehr, das summiert sich bis 2022 auf 221 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr im Vergleich zu 2017. Thüringen hat eine ähnliche Vereinbarung mit seinen Hochschulen und Baden-Württemberg auch. Mein Vorschlag lautet, dass die Länder sich allesamt zu einem jährlichen Aufwuchs für ihre Hochschulen verpflichten, und zwar der gesamten Grundmittel, und dafür steigert der Bund jährlich entsprechend seine Mittel beim Hochschulpakt. 

 

Also drei Prozent mehr bei der Grundfinanzierung gibt drei Prozent mehr beim Hochschulpakt?

 

Zum Beispiel. Wobei das für unsere Berliner Hochschulen ein schlechter Deal wäre, weil sie 3,5 Prozent mehr pro Jahr bekommen. Da würde sich nur unser Finanzsenator freuen. Aber natürlich müsste man auch die unterschiedliche Finanzsituation in den einzelnen Bundesländern berücksichtigen.

 

Wie aber sollte das gehen? Berlin kriegt für seine 3,5 Prozent auch 3,5 Prozent mehr Bundesgelder, und Hamburg, das seinen Hochschulen seit Jahren nur 0,88 Prozent Zuwachs liefert, nur 0,88 Prozent mehr beim Hochschulpakt-Aufwuchs?

 

Das wird sicher so nicht funktionieren. Auf keinen Fall darf die Schere zwischen den Ländern weiter aufgehen. Eine Selbstverpflichtung der Bundesländer zur Erhöhung ihrer Hochschulbudgets muss zusammen mit der Dynamisierung des Hochschulpakts austariert werden. Den Hochschulen würde das eine enorme Planungssicherheit bringen und den Weg frei machen für deutlich mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft. So machen wir das bereits in den neuen Berliner Hochschulverträgen. Die 3,5 Prozent an jährlichem Zuwachs gelten auch für die Bundesmittel, die in Berlin beträchtliche zehn Prozent der Grundfinanzierung ausmachen. 

 

Im Bundestag wächst die Skepsis, ob es wirklich sinnvoll ist, immer noch mehr ins Wissenschaftssystem zu stecken.

 

Da will ich mal eine rhetorische Gegenfrage stellen. Wo sonst haben die zwischen Bund und Ländern vereinbarten Programme so gut funktioniert und so erstaunlich positive Folgen gehabt wie in der Wissenschaft? Beim Hochschulpakt lautete 2006 das Ziel: Wir wollen die Zahl der Studierenden erhöhen. 12 Jahre später studieren nicht mehr 2,0 Millionen Menschen in Deutschland, sondern 2,8 Millionen, Ziel erreicht! Einige sagen sogar schon, das seien zu viele. Diese Auffassung teile ich nicht, aber es zeigt den Effekt, den das Programm hatte. Oder nehmen Sie die Exzellenzinitiative. Die sollte den Exzellenzgedanken und den Wettbewerbsgeist fördern. Im Augenblick laufen die Begutachtungen für die Exzellenzcluster-Anträge, und da begleite ich unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer. Wenn ich mir angucke, welche Ergebnisse die bisherigen Runden brachten und mit welchem Enthusiasmus und welcher Professionalität unsere Antragsteller jetzt wieder vorgehen, und zwar durch die Bank, kann ich nur sagen: Das ist beeindruckend. Und es zeigt deutlich, was wir durch die Gemeinschaftsfinanzierung zusammen erreichen können. 

 

Wären Sie bereit dazu, sich als Land Berlin als Gegenleistung für PFI und Hochschulpakt einer stärkeren und direkteren Ausgabenkontrolle zu unterwerfen? 

 

Ich habe großes Verständnis, wenn der Bund genau wissen will, was mit seinem Geld passiert. Muss er auch, sonst steigt ihm wahrscheinlich der Bundesrechnungshof aufs Dach.

 

Was er beim PFI und der Finanzierung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen schon häufiger gemacht hat.

 

Ich persönlich hätte zum Beispiel nichts dagegen gehabt, wenn Johanna Wanka 2014 für die Übernahme der Bafög-Mittel durch den Bund im Gegenzug eine genaue Zweckbestimmung für die Verwendung der Mittel von den Landesfinanzressorts verlangt hätte. Doch es gab nur unverbindliche Willensbekundungen, und so mussten die Bildungs- und Wissenschaftsministerinnen und Minister um jeden der gut 1,2 Milliarden Euro zusätzlich kämpfen. 

 

Berlin vermarktet sich seit einer Weile als "Brain City". Was soll das eigentlich heißen?

 

"Brain City" steht für eine Stadt, die ganz auf Wissenschaft setzt und natürlich für unser Ziel, Berlin zu einem der international zehn besten Forschungsstandorte zu entwickeln. Wir wollen die besten Köpfe aus aller Welt hierher bringen und schaffen dafür Schritt um Schritt die notwendigen Rahmenbedingungen. 

 

Und die "Brain City" gibt’s nur im Dreierpack? Freie Universität, TU und Humboldt-Universität wollen gemeinsam Exzellenzuniversität werden.

 

Ich finde es richtig, dass die drei zusammen mit der Charité im Verbund antreten. Das ist die logische Konsequenz aus 15 Jahren Entwicklung in der Berliner Wissenschaftslandschaft. Ob ich mir die Clusteranträge anschaue, die Sonderforschungsbereiche oder auch unseren jüngsten Erfolg bei der Ausschreibung des Internet-Instituts: Fast immer sind Forscher und Forscherinnen aller Berliner Universitäten mit dabei, und diese Kooperation auf der Ebene der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler findet seit fünf oder sechs Jahren ihre zunehmende Entsprechung auf der Ebene der Hochschulleitungen. 

 

Einige haben in Berlin trotzdem beim Thema Verbund immer noch eine andere Assoziation. Vor elf Jahren wollte der damalige Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner schon mal ein Dach über die drei Universitäten spannen, in der Presse machte das Schlagwort von der Super-Uni die Runde.  

 

Wir werden nicht durch die Hintertür eine Fusionsdebatte führen. Niemand muss fürchten, dass die Identitäten der beteiligten Universitäten verwischt werden, und die Sorgen vor einer Super-Uni waren schon vor zehn Jahren absurd. Außerdem ist die Debatte heute eine ganz andere als 2008. Der Verbundantrag bietet für alle Beteiligten die Chance zu einer besseren und engeren Zusammenarbeit und zu positiven Effekten für alle Universitäten gleichermaßen. Für die Entwicklung der dafür notwendigen Kooperationskultur hat übrigens die 2008 gegründete Einstein Stiftung einen wichtigen Beitrag geleistet.

 

Von der Einstein Stiftung dachten damals viele, sie würde eine Art übergeordnete Universitäts-Holding werden.

 

Das ist sie nicht. Die Einstein Stiftung fördert die Spitzenforschung an unseren Universitäten. Die Stiftung hatte zu Beginn eine kritische Phase, aber heute ist sie aus der Berliner Wissenschaftslandschaft nicht mehr wegzudenken. Alle Universitäten, auch die Charité, profitieren von ihrer Förderung, und insofern ist der Verbundantrag der nächste stimmige Schritt. 

 

Aus den Universitäten ist eher zu hören, dass die Konflikte zunehmen, je mehr sie sich von der allgemeinen Absicht, stärker strategisch zu kooperieren, auf die Ebene der Details begeben. Da wird dann offenbar doch recht kleinteilig um Macht gerungen.  

 

Der Mehrwert des gemeinsamen Antrags, ohne jetzt in Einzelheiten gehen zu können, wird spürbar und eindeutig werden, und zwar für alle Beteiligten, von den Forschenden und Studierenden bis hin zur Verwaltung. Dass so ein Verbundantrag komplexer ist als eine Einzelbewerbung, sollte auch keinen überraschen. Aber ich tausche mich ja recht häufig mit den Unipräsidenten aus, und aus den Gesprächen gehe ich immer wieder mit dem guten Gefühl raus, dass die Bewerbung auf einem guten Weg ist, inhaltlich und atmosphärisch. 

 

Das klingt sehr schön, ist aber sehr allgemein.

 

Ganz konkret ist die Rekrutierung von Top-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einfacher, wenn die Universitäten ihre Berufungspolitik noch stärker abstimmen. Wenn zum Beispiel die Spitzen-Berufung an der einen Uni eine zweite an der anderen nach sich zieht, weil das Umfeld insgesamt stimmig ist. Beim Forschungsthema Digitalisierung machen wir mit dem Deutschen Internet-Institut und dem Einstein Center Digital Future gerade vor, was man gemeinsam erreichen kann. So wie es uns überhaupt, seit wir die Einstein Stiftung und deren Personenförderung haben, schon viel besser gelingt, international mitzuhalten. Weitere Vorteile der Verbundbewerbung liegen hier in Berlin auf der Hand, aber ich kann dazu noch nichts sagen. 

 

Hat es Sie eigentlich überrascht, dass es außerhalb von Berlin so wenig Verbundanträge gibt? Nur die Hannoveraner Universitäten wollen auch gemeinsam antreten, insofern sie die dafür nötigen drei Exzellenzcluster sammeln.

 

Mir ist schon bei den Bund-Länder-Verhandlungen zur Exzellenzstrategie die Zurückhaltung der meisten Kolleginnen und Kollegen in der Frage eines Verbunds aufgefallen. Ein oder zwei Antragsbekundungen mehr hätte ich allerdings schon erwartet. Eins weiß ich: Für einen Wissenschaftsstandort wie Berlin ist diese Förderlinie sehr passend.

 

Während Sie über Exzellenz debattieren, kämpft Bildungssenatorin Sandra Scheeres mit den Folgen des dramatischen Lehrermangels in der Hauptstadt. Dabei greift Scheeres, die bis 2016 auch für Wissenschaft zuständig war, im Stil einer Ertrinkenden nach allem, was sich ihr bietet. Zum Beispiel auch nach den Lehramtsstudierenden, die künftig "unterrichten statt kellnern" sollen. Auch Lehrer, die in den Universitäten für die Praxisausbildung künftiger Pädagogen zuständig sind, wollte sie abziehen. Ein unfreundlicher Akt Ihrer ehemaligen Chefin?

 

Ich sage mal so: Ich finde es richtig, dass Sandra Scheeres entschieden hat, die abgeordneten Lehrer an den Universitäten zu belassen.

 

Vorerst, wie man hört. 

 

Tatsächlich wurde uns gesagt, dass die Lehrer 2019 zurückgeholt werden könnten, aber das werden wir dann diskutieren. Die Bildungsverwaltung argumentiert uns gegenüber immer so, dass der Anteil der abgeordneten Lehrkräfte in den vergangenen Jahren massiv gestiegen sei und der Praxisanteil in der Lehrerbildung inzwischen zu hoch liege. Meine Antwort lautet: Ist das eine schlechte Entwicklung? Sagen uns nicht alle Bildungsforscher seit vielen Jahren, dass wir frühzeitig den Praxisbezug im Lehramtsstudium ausbauen sollen? Wir können jetzt nicht die Universitäten bestrafen für Fehler, die nicht sie zu verantworten haben, sondern die die Politik gemacht hat.  

 

Wie meinen Sie das? 

 

In den Jahren seit 2003 hat das Land seine Zuschüsse an die Hochschulen mehrfach gekürzt und sich dabei immer wieder besonders die Lehrkräftebildung ausgesucht. Noch in den Hochschulverträgen von 2010 bis 2013 und 2014 bis 2017 hatten wir im Prinzip keinerlei Absprachen mit den Universitäten getroffen, die Zahl der Studienplätze in den Lehrämtern zu erhöhen. Zwar haben wir 2016 mit einer Zusatzvereinbarung begonnen, nachzubessern. Aber erst die seit diesem Jahr laufenden neuen Hochschulverträge greifen das Thema Lehrkräftebildung zentral auf. Und gerade weil wir eine deutliche Erhöhung der Studienplätze mit den Hochschulen vereinbart haben, kam die von der Bildungsverwaltung losgetretene Debatte zu den abgeordneten Lehrkräften zur Unzeit. 

 

Wie konnte die Politik überhaupt mit ihren Prognosen so eklatant danebenliegen? Schon 2005 gab es erste Bildungsforscher, die auf einen aufkommenden Lehrermangel hingewiesen haben. 

 

Das ist jetzt keine Entschuldigung, aber ich erinnere mich daran, wie noch vor sieben oder acht Jahren bundesweit von demografischen Renditen geträumt wurde, wenn erst die Schülerzahlen zurückgehen und dann mehr Geld und mehr Lehrer pro Schüler zur Verfügung stehen würde. Das war eine unfassbare Fehleinschätzung seitens der Politik und der Verwaltung. Zur Fairness gehört aber auch die Erkenntnis, dass sich das heute alles so leicht sagt. Wer weiß, welche Vorhaltungen ich mir im Jahr 2027 dazu anhören muss, was ich alles nicht vorhergesehen habe? Ich habe schon die Zuversicht, dass wir in Berlin an vieles gedacht haben. Aber wie gesagt: Fragen Sie mich 2027 nochmal.  

 

A propos Zukunft: In der vergangenen Woche gab es Verwirrung um die Zukunft des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIG). Erst hieß es in der Beschlussvorlage für den Aufsichtsrat, das BIG soll auf jeden Fall Teil der Charité werden, dann war plötzlich wieder von zwei Optionen die Rede: Integration oder Entkopplung von Charité und MDC. Was war denn da los? Und noch viel wichtiger: Was wird es denn jetzt? 

 

Da muss ich zunächst ein dickes Lob an den Bund loswerden. Das BIG ist gewiss kein einfaches Konstrukt und umso mehr kommt es auf die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bund und Land an. Und das Beispiel BIG zeigt, trotz aller Herausforderungen, was man in der Wissenschaft gemeinsam erreichen kann. Mit dem jetzt definierten Auftrag haben wir die Riesenchance, das BIG entscheidend voranzubringen und seinen langfristigen Erfolg zu sichern. Eine Integration in die Charité bietet dafür die perfekte Grundlage. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Edith Riedel (Freitag, 22 Juni 2018 21:07)

    Die gemeinsame Bewerbung um den Status "Exzellenzuniversität", gerade die Sonderregelung, dass dies auch durch drei Universitäten gemeinsam geschehen könne, ist sehr durchsichtig auf die Situation in der Hauptstadt zugeschnitten worden. Für den idiosynkratischen Wissenschaftsstandort Berlin ist diese auf ihn zugeschnittene Förderlinie natürlich passend, sonst für Niemanden. Schön, dass sich der Wettbewerb die Hauptstadt und ihre Universitäten als Sieger*innen ins Buch geschrieben hat.