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Jetzt sind die Hochschulen dran

Sie seien die "Organisationszentren" des Wissenschaftssystems, wird gern beteuert. Es ist Zeit, dass sich das auch in der wissenschaftspolitischen Prioritätensetzung widerspiegelt. Ein Gastbeitrag von Joybrato Mukherjee.

Joybrato Mukherjee. Foto: JLU-Pressestelle / Rolf K. Wegst.
Joybrato Mukherjee. Foto: JLU-Pressestelle / Rolf K. Wegst.

DAS WISSENSCHAFTSSYSTEM IST der Motor für Erkenntnisgewinn, Fortschritt, Innovation und Wohlstand: Diese Grundüberzeugung von Politik und Gesellschaft hat in den vergangenen 15 Jahren zu einer Reihe von positiven Entwicklungen geführt. Die Hochschulen konnten trotz der enorm gewachsenen Studierendenzahlen Erfolg und Zufriedenheit in vielen Studienfächern steigern; sie sind – nicht zuletzt aufgrund der Exzellenzinitiativen I und II – international deutlich sichtbarer und damit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende aus aller Welt sehr viel attraktiver geworden. 

 

Jetzt gilt es, diese positive Entwicklung zu verstärken und gleichzeitig Schwächen des Systems weiter abbauen. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verstetigung der Mittel aus dem Hochschulpakt 2020 und die schon zuvor festgelegte dauerhafte Fortführung der Exzellenzinitiative als Exzellenzstrategie sind wichtige Leitplanken für die Zukunft. Trotzdem besteht Anlass zur Sorge. Das derzeitige politische Klima in Deutschland, Europa und weltweit birgt die Gefahr, dass die Belange von Forschung und Lehre gegenüber anderen Herausforderungen und Problemlagen ins Hintertreffen geraten könnten. 

 

Wir dürfen im Jahr 2018 – mitten in einer "Welt, die aus den Fugen geraten ist", wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier formulierte – nicht den Blick dafür verlieren, dass die Stärke Deutschlands ganz erheblich auf der Kraft seines Wissenschaftssystems beruht. Konkret: Wir dürfen uns von AfD, Brexit, Erdogan oder Trump eben nicht die Logik politisch-nationalistischer Diskurse und Machtkämpfe aufzwingen lassen, die im kurzfristigen Ringen um die Deutungshoheit die Bemühungen um die wirklich langfristigen Antworten und Lösungen verhindern. Sondern wir müssen uns weiter um diese langfristigen Antworten bemühen, die auch und gerade Bildung und Wissenschaft bereitstellen können. Die Stärkung unseres Wissenschaftssystems in all seiner Vielfalt bleibt für unsere Zukunft insofern von besonderer Bedeutung.

 

In dieser Hinsicht ist es enttäuschend, dass ein wesentlicher Grundgedanke seit geraumer Zeit nicht aufgegriffen wird: Als Ausgangspunkt für viele seiner richtigen und zukunftsweisenden Überlegungen hat der Wissenschaftsrat die Hochschulen – zuvorderst also die Universitäten und die Hochschulen für angewandte Wissenschaften – als "Organisationszentren" des deutschen Wissenschaftssystems bezeichnet. Nur an den Hochschulen – und eben nicht an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen und in den Wissenschaftsorganisationen – verbindet sich die Forschung systematisch mit der Lehre, nur an den Hochschulen wird der gesamte wissenschaftliche Nachwuchs des Landes ausgebildet, nur an den Hochschulen sind alle Fächer und Fachkulturen vertreten, nur an den Hochschulen werden Netzwerke und Verbünde im eigentlichen Sinne "organisiert". 

 

Die Hochschulen als Organisationszentren des Gesamtsystems: Mit der Erkenntnis, dass die langjährige begeisterte Privilegierung  der außeruniversitären Forschungseinrichtungen nicht mehr gerechtfertigt ist, muss die Stärkung der Hochschulen – jenseits von Einzelmaßnahmen und Projektförderungen – zu einer der Top-Prioritäten für das wissenschaftspolitische Handeln von Bund und Ländern in den kommenden Jahren werden. 

 

Konkret heißt dies, dass es bei der Verstetigung von HSP2020 um mehr als bloß um den Erhalt der bisherigen Mittel gehen muss. Die Hochschulen beklagen in der Lehre einen dramatischen Preisverfall: Die Pro-Kopf-Ausgaben bei der Studienplatzfinanzierung sind von 7.500 Euro im Jahr 2007 auf 6.600 Euro im Jahr 2015 gesunken. Die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger wird auf absehbare Zeit nicht wesentlich zurückgehen. Bei den derzeitigen Verhandlungen von Bund und Ländern gilt es daher, mindestens die entstandene Lücke bei den Pro-Kopf-Ausgaben zu schließen und für die Zukunft eine Dynamisierung der Mittel zu ermöglichen. Zudem müssen alle Hochschulen langfristig und verlässlich – ohne zusätzliche Wettbewerbe und Antragsverfahren – an den verstetigten HSP2020-Mitteln teilhaben.

 

Dabei muss sichergestellt werden, dass zusätzliche Mittel des Bundes nicht zu einer Verminderung der Landesmittel für die Hochschulen führen. Die Hochschulen können selbstverständlich nur dann besser gestellt werden, wenn die bundesweite Stärkung nicht durch landespolitische Entscheidungen konterkariert wird. Hierauf wird der Bund zu achten haben.

 

Die Stärkung der Organisationszentren des Gesamtsystems kann nur gelingen, wenn die für Deutschland so typische und international bewunderte Exzellenz in der Breite und in der Fläche erhalten bleibt. Das deutsche Wissenschaftssystem erbringt an vielen verschiedenen Standorten exzellente Leistungen in Forschung und Lehre. Eine übermäßige Hierarchisierung würde langfristig zu einer Schwächung des Gesamtsystems führen. 

 

Hochschulen können ihre Funktion als Organisationszentren des Systems allein dann wahrnehmen, wenn sie über die entsprechende bauliche und technische Infrastruktur verfügen. Neben den Investitionen in die Digitalisierung der Hochschulen darf der Bund auch der Frage nach der Zukunft der bisherigen Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau nicht länger ausweichen. Einen geschätzten Gesamtbedarf von über 40 Milliarden Euro für Neubauten und Sanierungen an den deutschen Hochschulen und Universitätskliniken werden die Länder nicht allein schultern können. 

 

Wenn die Stärkung der Hochschulen als Organisationszentren des Wissenschaftssystems gelingen soll, müssen auch die Länder mitziehen. In Hessen beispielsweise werden kurz nach der Landtagswahl im Oktober die Verhandlungen zum nächsten Hessischen Hochschulpakt 2021 bis 2025 beginnen. Die Anfang des Jahres vorgestellten Wahlprüfsteine der hessischen Hochschulen stehen ganz im Zeichen der Stärkung der Organisationszentren des hessischen Wissenschaftssystems. Auf dieser Grundlage haben wir drei finanzielle Kernforderungen für den Hessischen Hochschulpakt 2021-2015 entwickelt: 

 

o Wir erwarten eine jährliche Steigerung der Grundfinanzierung um mindestens fünf Prozent und damit eine Weiterentwicklung der bereits im aktuellen Hessischen Hochschulpakt vereinbarten Budgetsteigerung. Davon unberührt sind die Landesanteile für die verschiedenen Bund-Länder-Programme und für die Verstetigung des HSP2020-Programms.

 

o Seit zehn Jahren besteht das Landesbauprogramm HEUREKA, in dem das Land bis zum Jahr 2026 vier Milliarden Euro für Neubauten und Sanierungen an den 13 hessischen Landeshochschulen ausgibt. Angesichts des weiterhin erheblichen Neubau- und Sanierungsbedarfs erwarten wir eine Verdoppelung der vorgesehenen Jahresraten von 200 auf 400 Millionen Euro pro Jahr.

 

o Angesichts der Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung – ob bei Datenschutzgrundverordnung, neuen Lehrformaten, Forschungsdatensätzen, Rechnerinfrastruktur oder digitalen Verwaltungsprozessen – erwarten wir hier eine Unterstützung von 50 Millionen Euro jährlich.

 

Unabhängig von Hessen muss für alle Länder und den Bund klar sein: Man kann die Hochschulen nicht in den Sonntagsreden als Organisationszentren bezeichnen, wenn man bei den politischen Entscheidungen von Montag bis Sonnabend nicht die entsprechenden Prioritäten setzt. Der Charme unserer föderalen Ordnung liegt darin, dass Bund und Länder in kurzer Zeit viel erreichen können, wenn sie sich abgestimmt auf eine Agenda zur Stärkung der Hochschulen verständigen. 2018 sollte das Jahr für diese gemeinsame Grundsatzentscheidung werden.

 

Joybrato Mukherjee ist Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen, Sprecher der Konferenz Hessischer Universitätspräsidien (KHU) und Vizepräsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD).

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