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Dealing with Diversity – schwieriger als erwartet?

Es reicht nicht, die wachsende Vielfalt unter Studierenden demonstrativ toll zu finden. Von Jeffrey Peck.

Jeffrey Peck. Foto: privat
Jeffrey Peck. Foto: privat

SCHON DER BEGRIFF. Diversity. Eigentlich beschreibt er die deutsche Debatte gar nicht in all ihren Facetten, und doch hat er es im Deutschen zum Synonym für etwas gebracht, wofür man eigentlich sein sollte, wovon man aber glaubt, dass es jede Menge Ärger macht. Und zwar nicht nur an der Hochschule, sondern in der Gesellschaft schlechthin. 

 

Der Umgang mit Diversität ist zu einer der Kernfragen im politischen Schlagabtausch um die sogenannte Flüchtlingskrise geworden, auch wenn der Begriff Jahre vorher kursierte. Denn natürlich war der gesellschaftliche Alltag der Bundesrepublik schon vor 2015 durch eine zunehmend heterogene Bevölkerung geprägt, durch mehr sichtbare Vielfalt, mehr Farbe, mehr Lebendigkeit. Und ja, auch durch ein anschwellendes Konfliktpotenzial zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Doch wurde diese Entwicklung leider all zulange nicht in dem Umfang als Herausforderung wahr- und angenommen, wie sie es verdient gehabt hätte. 

 

Als privilegierter "Ausländer" in Deutschland, als Amerikaner, der auch in Kanada gelebt hat, war und ist Vielfalt für mich der gesellschaftliche Normalzustand. In den "Multikulti-USA" bin ich aufgewachsen, dort habe ich meine Laufbahn als Professor begonnen. Beendet habe ich meine Karriere am Baruch College der City University of New York, als Dean und Vice Provost einer der most diverse universities der USA. An US-Hochschulen ist der Umgang mit Heterogenität und den aus ihr resultierenden Konflikte seit Jahrzehnten Alltag. Im Laufe meiner Karriere habe ich viele konkrete Maßnahmen kennengelernt, die der Integration dienen sollten. Dabei wurde mir klar: Eine massive Migration in ein sich selbst als homogen erlebendes Land ist zu jeder Zeit eine große gesellschaftliche Aufgabe. In den USA wie im heutigen Deutschland. 


JEFFREY D. PECK war über viele Jahre Wissenschaftsmanager in den USA. Jetzt lebt er in Deutschland und arbeitet als Berater im Hochschulbereich. Über seine Erfahrungen und Einsichten schreibt er einmal im Monat hier im Blog.


Mit entsprechend großem Interesse beobachte ich Deutschland seit den 80er Jahren in seinem Kampf mit dem "Fremden", mit dem Aushandeln seiner Identität zwischen dem, was war, und dem, was wird oder – in Wirklichkeit – schon längst ist. Denn das ist für mich eine zentrale Erkenntnis: Wir haben es mit einer Entwicklung zu tun, die wir, selbst wenn wir es wollten, nicht werden umkehren können. Den Hochschulen kommt bei der Gestaltung dieser Entwicklung genau wie den Schulen eine wichtige Rolle zu, sie sind Mitgestalter der gesellschaftlichen Transformation.

 

Dabei reicht es nicht, die wachsende Vielfalt unter den Studierenden demonstrativ toll zu finden, es reicht nicht to celebrate the difference. Zur wirklichen Gelegenheit wird die Diversität erst, wenn die Hochschulen sie nutzen, mehr aus ihr machen für sich selbst und für ihre Studenten, ja für die Gesellschaft als Ganzes. 

 

Als Senior Fellow der Mercator-Stiftung habe ich vor drei Jahren den Umgang verschiedener Hochschulen mit Diversity und Internationalisierung untersucht. Tatsächlich haben sich viele Einrichtungen auf den Weg gemacht. Es gibt Diversitätsstrategien, Stellen für Diversitätsbeauftragte, Workshops über Diversität, die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Organisationen wie "Arbeiterkind" ist selbstverständlicher geworden. Solche und ähnliche Maßnahmen kenne ich bereits aus den USA. Sie sind wichtig. Allerdings nur als erster Schritt. Als Grundlage und Anfang. 

 

Denn wie man ebenfalls an den USA erkennen kann, scheinen sicher geglaubte Errungenschaften plötzlich wieder zur Disposition zu stehen. Dachten wir noch vor einigen Jahren, die Akzeptanz von Vielfalt, von gender, race, Ethnizität, Religion, Sexueller Orientierung, Alter oder disability sei an den Hochschulen weit fortgeschritten, artikulieren sich, kommend aus dem politischen Raum, die Vorurteile mit einem Mal aufs Neue. Sogar das alte Misstrauen zwischen Wissenschaftlern auf der einen Seite und den "normalen Leuten" auf der anderen wird bewusst geschürt, die Abgrenzung entlang der sozialen Herkunft wächst, ein Klassengegensatz tut sich auf. 

 

Vielleicht gerade deshalb können deutsche Hochschulen einiges aus den amerikanischen Erfahrungen lernen, Positives wie Negatives, und durch den kritisch-konstruktiven Vergleich die hoffentlich richtigen Schlussfolgerungen ziehen. 

 

Fünf Punkte, die aus meiner Sicht für diese Diskussion wichtig sind, möchte ich hervorheben:

 

1. Der Diversitäts-Diskurs: Das Wort diversity hat im amerikanischen Kontext seine eigene Geschichte - ganz anders als in Deutschland, das den Begriff importiert hat. Hierzulande wären daher Begriffe wie Vielfalt oder Heterogenität passender. In früheren Jahre entstandene Bezeichnungen wie "Gastarbeiter" oder "Aussiedler" haben diese Gruppen sozial, wirtschaftlich und politisch mit einer zumeist negativen Wertung versehen, ganz direkt und unverblümt. Die heute üblichen Zuschreibungen "Deutsche mit Migrationshintergrund“,  "Flüchtlinge" oder "jüdischen Mitbürger" sind angesichts der mit ihnen verknüpften Assoziationen nicht weniger abwertend. Sprache hat Macht!

 

2. Das Verhältnis gender – diversity: Besucht man deutsche Hochschulen, weiß man schnell, warum die Gender-Frage dort bis heute so dominant ist: nach wie vor zu wenige Professorinnen insgesamt und noch weniger Frauen in leitenden Positionen. Das ist ein zentrales Problem. Nur sollte gender nicht unverbunden neben diversity stehen. Aus der US-Erfahrung gibt es eine andere Rangordnung. diversity schließt gender ein, so entsteht ein größerer gemeinsamer Raum für Diskussion und Handeln. Gerade weil in Deutschland glücklicherweise das Bewusstsein für andere benachteiligte Gruppen (minorities) zunimmt, müssen die Hochschulen sehr aufpassen, dass diese Gruppen weder finanziell noch administrativ gegeneinander positioniert werden. 

 

3. Die reine Anwesenheit von Fremden, hier die Studierenden, ist nicht genug. In den USA hat man durch bittere Erfahrungen gelernt, dass Fortschritte in Sachen Toleranz, Offenheit oder Interkulturalität nicht von selbst und allein dadurch entstehen, dass unterschiedliche Menschen an einem Ort zusammenkommen.   Systematisch organisierte Programme und Curricula mit klaren Fragestellungen, Zielen und Konsequenzen müssen in der gesamten Institution veranstaltet und verankert werden, um difference zu verstehen und entsprechend zu handeln. Hochschulen dürfen nicht dabei stehenbleiben, die Vielfalt ihrer Studierenden durch eine offene Immatrikulationspolitik zu fördern. Sie müssen auch dafür Sorge tragen, dass allen Studierenden unabhängig von ihrer Herkunft ein erfolgreicher Abschluss möglich ist. Es geht um eine Förderung, die das Individuum in den Fokus nimmt. Das braucht commitment der Institution mit konsequenter Betreuung und auf die Bedürfnisse der Einzelnen eingehendes Mentoring. 

 

4. Deutsche mit Migrationshintergrund versus International-Studierende. Die Hochschulen wollen internationaler werden und werben deshalb zunehmend erfolgreich um internationale Studierende. Das ist in Ordnung und positiv zu bewerten, doch dürfen die Hochschulen darüber nicht die "Deutschen mit anderem Hintergrund" vergessen. Also jene, die hier schon lange leben. Nur weil viele von ihnen deutsche Pässe haben, sollten sie nicht unbeachtet bleiben als hervorragend geeignete einheimische Vermittler fremder Kulturen. Aber als "Deutsche" leiden auch sie unter Fremdenhass oder Verfremdung. Zum Glück haben inzwischen mehrere deutsche Universitäten den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher diversity und Internationalisierung verstanden und begonnen, wichtige Brücken zu bauen. 

 

5. Kritik an political correctness als Ausrede: Es ist keine Frage, dass in einigen Fällen und Situationen das, was unter PC verstanden wird, zu weit geht und übertrieben ist. Jede(r) kennt Beispiele, über die man lacht oder sich ärgert. Aber in unserer gegenwärtigen politischen Situation, in den USA und in Deutschland/Europa, müssen wir darauf achten, dass der menschliche und humanistische Kern der Diversitätsdebatte nicht aus den Augen verloren wird: Aus dem Streben um mehr gesellschaftliche Chancen für alle entstand der Diskurs der political correctness.  

 

Vielfalt ist eine Herausforderung für Hochschulen. Im Alltag ist sie oft schwierig und anstrengend, doch sie bringt einen enormen Gewinn. Indem Menschen sich selbst im Anderssein ihres Gegenübers reflektieren, lernen sie über sich selbst. Studierende an Hochschulen, die die Vielfalt wollen, zulassen und fördern, lernen, selbstbewusster, kritischer, verständnisvoller zu sein. Im Idealfall werden sie zu engagierteren Bürgern, zu besseren citizens. Nichts brauchen wir dringender in unser immer komplexeren Gesellschaft, von der wir alle hoffen, dass sie weiter liberal-demokratisch und divers bleibt. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Klaus Diepold (Donnerstag, 02 August 2018 10:13)

    Leider wird das Thema "Diversity" immer noch überwiegend defizit-orientiert behandelt, d.h. Diverstity als menschenrechtliches Konzept im Gegensatz zur Ausgrenzung. Die positive, sprich konstruktive Sichtweise auf Diversity, die der Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit und von Kreativität dient tut sich oft noch schwer Fuß zu fassen.

  • #2

    Thomas v. Stein (Sonntag, 19 August 2018 22:55)

    Ich denke, dass das Problem der mangelnden Vielfalt - um hier einmal nicht von diversity zu sprechen - wie in einem Brennglas die ganze Misere der deutschen Hochschulen beleuchtet. Hier fast gottgleiche -in ihrer Stellung unantastbare -Professoren, die ihre Doktoranden so lange wie möglich in prekären Verhältnissen mit endlosen Ketten von Zeitverträgen (ermöglicht durch das Wissenschaftszeitgesetz) halten, dort junge, ehrgeizige Wissenschaftler, die genau wissen, dass sie nie in den Genuss einer unbefristeten Stellung kommen, wenn sie gegen die Götter aufbegehren. In so einem Klima Vielfalt zu schaffen, ist ähnlich unmöglich, wie eine Revolution in einem Bienenstock anzuzetteln.