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Just try a little more Jazz – Networking für Anfänger

Warum es sich lohnt, auch beim professionellen Smalltalk ein bisschen mehr von sich herzugeben. Von Jeffrey Peck.

Jeffrey Peck. Foto: privat
Jeffrey Peck. Foto: privat

DIESES JAHR WAR ich zu einer Reihe von Festveranstaltungen der deutschen Wissenschaftsszene eingeladen. Schöne Feiern waren das, bedeutungsvoll, mit einer den jeweiligen Anlässen würdigen Dramaturgie. Fast immer gehören in Deutschland Podiumsdiskussionen dazu, deutlich zu viele Grußworte und – fast schon obligatorisch – klassische Musik. Viele wichtige Leute waren anwesend, einige wirklich, andere dachten es zumindest von sich, kurzum: die perfekte Gelegenheit, erfolgreiches Networking zu betreiben. Dachte ich.

 

Denn auch wenn der Begriff Networking erstaunlich schnell Teil des deutschen Wortschatzes geworden ist, heißt das nicht, dass die Deutschen zu dieser Beschäftigung ein unkompliziertes Verhältnis pflegen. Erst recht nicht in der Wissenschaft. In den USA ist das anders. Dort ist Networking in Hochschulen inzwischen genauso selbstverständlich wie in der Geschäfts- und Finanzwelt. Irgendwie folgerichtig, wenn man bedenkt, wie mehr und mehr Universitäten auch sonst Unternehmen ähneln. Doch in Deutschland ist wahrscheinlich genau das der Grund, warum Networking für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen negativen Beigeschmack hat. Es wird unter Akademikern nicht als rein positives Aufeinander-Zugehen, als Gelegenheit zum Kennenlernen und Austauschen verstanden, sondern als Instrumentalisierung von Menschen und Kontakten beargwöhnt, das dazu diene, sich "geschäftliche“ Vorteile zu verschaffen.    

 

Ich habe immer wieder und insgesamt viele Jahre in Deutschland gelebt, doch bleibe ich bei solchen offiziellen Feiern bis heute der amerikanische Kulturwissenschaftler, der beobachtet und reflektiert, was in vergleichbaren Settings an den Hochschulen in den USA anders laufen würde als hierzulande. Und ich frage mich: Was bedeuten die Unterschiede? Was sagen die Rituale, Diskurse und Kommunikationssignale der hiesigen Wissenschaftswelt über die deutsche Version des Networkings aus? Gilt auch in Deutschland, was in den USA fraglos der Fall ist: dass man ein gewandter Networker sein muss, um als Wissenschaftsmanagerin oder als Professor Karriere zu machen? Anders formuliert: Ist geschicktes Networking in der deutschen Wissenschaftslandschaft, auch wenn viele es demonstrativ ablehnen mögen, mittlerweile so essentiell wie in der amerikanischen? Und wenn dem so sein sollte: Läuft man nicht Gefahr, zu amerikanisch zu werden, die mehr an ein Streichquartett erinnernde deutsche Kontaktpflege preiszugeben für ein bisschen mehr Swing und Jazz-Improvisation? 


JEFFREY D. PECK war über viele Jahre Wissenschaftsmanager in den USA. Jetzt lebt er in Deutschland und arbeitet als Berater im Hochschulbereich. Über seine Erfahrungen und Einsichten schreibt er einmal im Monat hier im Blog.


Bevor ich mich an Antworten auf diese Fragen versuche, muss ich gestehen, dass ich persönlich in meinem Unialltag Networking meist als etwas sehr Positives empfunden habe. Bis heute mag und genieße ich es sogar. Kurze Begegnungen in der Öffentlichkeit, ein paar freundliche Worte, die eine einfache direkte Basis bieten, um Menschen kennenzulernen. Networking ist für mich ein sich Hin- und Hergeben für wenige Minuten, ein oberflächlicher Kontakt mit dem Potenzial, sogar zur Grundlage von Jahrzehnten überdauernden Freundschaften zu werden, die den ursprünglichen professionellen Austausch bald hinter sich lassen. Was also spricht gegen ein aktiv betriebenes Networking? Als Wissenschaftler wünscht man sich doch KollegInnen, die bereit sind zum Gespräch. Neugierig, wie man ist, möchte man immer wieder neue Leute kennenlernen und Neues von ihnen erfahren. Darin besteht für mich der Kern der akademischen und intellektuellen Welt und ihrer schrittweisen Erweiterung. 

 

Ist man gleich zynisch, wenn man sich bei diesem Kennenlernen durchaus bewusst ist, dass eine breite, sich ständig erneuernde Basis an guten Kontakten auch Hilfe und Unterstützung bedeuten kann? Zum Beispiel für Lebenssituationen, in denen man auf der Suche nach einer neuen Stelle oder nach Stipendien ist? Wir alle wissen nur zu gut, dass Reputation, gesellschaftliche Stellung, Macht und Einfluss nicht nur durch wissenschaftliche Publikationen entstehen und gefestigt werden.

 

Eine irgendwie leichtere Attitude

 

Bis zu dieser Erkenntnis, denke ich, ähneln sich Networking und der Diskurs darüber in unseren beiden Ländern. Was aber ist dann das typisch "Amerikanische", von dem ich hier reden möchte? Es ist, meine ich, einfach eine etwas andere Herangehensweise, eine irgendwie leichtere Attitude, eine entspanntere Grundhaltung, wie man aufeinander zu- und wie man miteinander umgeht. Und in dieser Attitude unterscheiden sich viele Deutsche und Amerikaner auch abseits der Wissenschaftsszene. Wenn Networking nun aber wie beschrieben dazu dient, bestimmte professionelle Ziele zu erreichen durch eine zielorientierte Form des Umgangs mit anderen, dann ließe sich an dieser Stelle einiges voneinander lernen. An den Hochschulen gilt das derzeit ganz besonders, weil parallel andere amerikanische Eigenheiten, etwa der Tenure Track, ins deutsche Wissenschaftssystem importiert werden. In einem Beitrag für die Zeitschrift Personal in Hochschule und Wissenschaft entwickeln habe ich neulich vorschlagen: "Ein Hauch mehr Amerika" könnte wie das "Öl im Getriebe" auch das Denken und Handeln in den heiligen Hallen der deutschen Wissenschaft vitalisieren. 

 

Konkret: Etwas mehr Unbefangenheit, etwas mehr Lockerheit, mehr Neugier und Begeisterungsfähigkeit, mehr Lust aufs Unbekannte und ja: etwas mehr Naivität im Umgang miteinander, wohl wissend, dass es eine kalkulierte Form der Arglosigkeit ist. So ergibt sich ein zielführender, überzeugender Start in manch anregende Gesprächsbeziehung hinein. Dass das auch in Deutschland funktioniert, zeigt die aufblühende deutsche Startup-Szene, die in ihren Umgangsformen sehr bewusst an amerikanische Gepflogenheiten angeknüpft hat und mittlerweile an vielen Stellen fast erfolgreicher agiert als das Original. 

 

Vielleicht ist diese Art des Miteinanders und des Smalltalks am Ende doch mehr mit Jazz als mit einem Streichquartett zu vergleichen? Mehr spielerisches Improvisieren als das Ablesen vom Blatt? Mehr Typ Entrepreneur als Typ verbeamteter Wissenschaftler? Offenheit, Respekt und Toleranz gegenüber anderen Meinungen, Perspektiven und sogar Identitäten sind Voraussetzung auch im Networking, sie sind die Grundlagen des Miteinanderumgehens. Der leichte, hin- und her schwingende, sich gegenseitig stimulierende und aus der Situation entwickelnde Austausch von Ideen zwischen Menschen mit verschiedener Herkunft, bei dem Hierarchien und Amtsstrukturen das Zuhören, den Gedankenfluss und die Akzeptanz nicht hindern, bei dem die Verschiedenheit im gemeinsamen, –  nennen wir es hier ruhig – Spiel aufgeht, bei dem die gegenseitige Ergänzung und Bereicherung neue Freude am Denken und Schaffen hervorbringt. 

 

Wenn dies ein wenig wie mein vorheriger Blogpost über Diversity klingt, ist das nicht nur naheliegend, sondern folgerichtig. Die dort geforderte humanistische Attitude betrifft nicht nur Hautfarbe, Ethnizität oder Religion, sondern auch unsere Einstellung zu und unser Umgang mit Differenz und Vielfalt überhaupt. Auch im Bereich der Empfindungen und Gefühle, der Werte und Interpretationen erweitern wir so unseren Raum für innovative und kreative Entwicklungen. 

 

Nicht jeder kann, möchte oder muss Networker sein. Auch im Getriebe der Hochschule ist die gemeinsam gelebte Vielfalt der eigentliche Gewinn. Nur wünschte ich mir, besonders wenn man Neues wagt: Gehen Sie aus sich heraus, trauen Sie sich einen neuen Umgang zu mit den Menschen, die Ihnen begegnen – just try a little more Jazz!

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Kommentare: 1
  • #1

    Klaus Diepold (Donnerstag, 23 August 2018 09:40)

    Vielen Dank, dass Sie das Thema in lockerer und unverkrampfter Form angesprochen haben.

    Als weiteren Indikator für den Zustand des Networkings betrachte ich bei einer Veranstaltung das Verhältnis von kuratierte Rede- und Vortragszeit und der Dauer der angesetzten Kaffeepausen. Wenn der Quptient nahe bei 1 liegt, dann ist das eine Einladung zum Networking. Übrigens, die Musik spielt auch eine Rolle �