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Das überflüssige Gerede vom Kulturwandel

Angesichts der neuen Hightech-Strategie verlangt ein führender CSU-Politiker eine Neuausrichtung der Forschung. Die mangelnde Differenzierung solcher Forderungen ist atemberaubend.

Screenshot von der BMBF-Website.
Screenshot von der BMBF-Website.

ALLMÄHLICH IST ES dann auch genug. Dass Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) anlässlich der Verabschiedung der Hightech-Strategie 2025 diese Woche als "zentrales Anliegen" nannte, dass die Forschung bei den Bürgern ankomme, geht noch in Ordnung. Wir haben es in den vergangenen Monaten oft von ihr gehört, manche sagen mittlerweile: oft genug, aber es stimmt ja auch. Nur dank der Wissenschaft besteht die Hoffnung, im Kampf gegen Volkskrankheiten wie Krebs Fortschritte zu erzielen. Ob Elektromobilität, Künstliche Intelligenz oder Strategien gegen den Klimawandel: Alle großen Durchbrüche und Innovationen werden auch künftig zu allererst aus der Leistung von Wissenschaftlern entstehen. 

 

Eine Grenze ist erreicht, sobald aus der Betonung dieses Zusammenhangs ein impliziter Vorwurf wird. Nach dem Motto: Allzu viele Forscher hätten immer noch nicht kapiert, für wen sie eigentlich arbeiten. Sie befänden sich in einem Elfenbeinturm, und die Gesellschaft, die sie (zu einem großen Teil über Steuergelder) finanziert, interessiere sie nicht die Bohne. 

Anders kann man nicht verstehen, was der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Rupprecht, als Reaktion auf den Kabinettsbeschluss zu Papier gebracht hat. "Mit der Strategie verlangen wir einen Kulturwandel in Wissenschaft und Forschung", verkündete Rupprecht am Mittwoch per Pressemitteilung. "Hin zu einer Kultur, die den Transfer zum Nutzen von Wirtschaft und Gesellschaft als die bestimmende Geschäftsgrundlage von Forschung sieht." Der Dreiklang "Wissenschaft, Forschung, Transfer" solle den Takt angeben. Rupprechts Kollege Stefan Kaufmann von der CDU äußert sich ebenfalls in der Pressemitteilung, allerdings zum Glück deutlich reflektierter.

 

Die mangelnde Differenzierung in den Aussagen Rupprechts indes wird umso atemberaubender, je länger man sie sich durch den Kopf gehen lässt. Erstens: Wissenschaft und Forschung haben also eine grundsätzliche Umkehr nötig, weil sie offenbar bislang insgesamt die falschen Prioritäten gesetzt haben. Und zweitens: Der Transfer ist für den CSU-Politiker nicht eine – ohne Frage – wichtige Zielfunktion von Forschung, es ist DIE Geschäftsgrundlage. Was genau soll so ein Satz eigentlich für die Grundlagenforschung bedeuten, die nicht gleich "liefern" kann? Verliert sie Rupprechts Argumentation folgend dann ihre Rechtfertigung? Oder, was kaum besser wäre, hat er sie in seiner Kulturwandel-Philippika einfach vergessen?

 

Natürlich würde Rupprecht jetzt antworten, so habe er das doch gar nicht gemeint. Mag sein. Dann muss er anders formulieren. So bleibt hängen, dass ein führender Koalitionspolitiker der Wissenschaft mal kurz pauschal unterstellt, sie werde ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht. Wie war das nochmal mit der verbreiteten Wissenschaftsskepsis, die es zu bekämpfen gelte?

 

Zum Glück reagiert "die Forschung" cool. In einem gemeinsamen Gastbeitrag in der WELT gestern erklärten die Präsidenten der vier großen außeruniversitären Forschungsorganisationen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das Erfolgsrezept der deutschen Forschungslandschaft sei die Arbeitsteilung. Wer die Abstimmungsprozesse im Vorfeld einer solchen Stellungnahme kennt, weiß, dass der Beitrag der fünf Forschungschefs lange vor Rupprechts Pressemitteilung fertig gewesen sein muss, aber er klingt wie die perfekte Antwort. Und die geht so weiter: Ob Hochschulen, DFG oder Forschungsorganisationen: Sie alle trügen mit ihren eigenen Schwerpunktsetzungen und Missionen zum Wohlstand bei, sei es – beispielsweise – über die erkenntnisgeleitete Grundlagenforschung der Max-Planck-Gesellschaft, die anwendungsorientierte Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft oder die Bearbeitung gesellschaftlicher Fragestellungen durch die Leibniz-Gemeinschaft. Ende der Ansage.

 

Nein, diese Arbeitsteilung hat nicht den "Transfer" als die einzig bestimmende Geschäftsgrundlage. Sollte sie auch nicht haben. Und nein, diese Arbeitsteilung braucht keinen Kulturwandel.  Aber ja, dieser Arbeitsteilung tut hier und da eine Schärfung gut. Und ja, Deutschland muss besser werden bei der Übertragung von Forschungsergebnissen in die Anwendung. Für beides sind die anstehenden Bund-Länder-Verhandlungen um die Fortsetzung des Pakts für Forschung und Innovation (PFI), der die fünf Unterzeichnerorganisationen finanziert, eine geeignete Gelegenheit. Und was die Weiterentwicklung unserer Forschungslandschaft insgesamt angeht, könnte die Agentur für Sprunginnovationen, so sie wirklich die dafür nötigen Freiheitsgrade erhält, einen wirksamen Beitrag leisten. 

 

Es wäre gut, wenn Wissenschaftspolitiker bei allen berechtigten Anliegen und Forderungen an die Wissenschaft in ihren nächsten Stellungnahmen einfach mal wieder betonen, dass die Forschung in Deutschland ihre Aufgaben im Sinne der Gesellschaft schon jetzt ziemlich herausragend erledigt. Und vielleicht mag Albert Rupprecht den Anfang machen. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Zukunftsmusiker (Freitag, 07 September 2018 12:04)

    Rupprecht hat im Kern Recht: Forschung verläuft heute ganz überwiegend karriereorientiert, nicht mehr sachorientiert. Das hemmt Innovationen, verhindert auch Durchbrüche innerhalb der Grundlagenforschung. Forscher, die kreativ und sachorientiert arbeiten, dienen der Gesellschaft. Forscher, die Papierberge ohne frische Ideen produzieren, weil das innerhalb der bestehenden Strukturen den eigenen Karrieren förderlicher ist, dienen der Gesellschaft per Saldo eher nicht. Das ist ein großes Problem. Am besten würde man dieses Problem natürlich innerhalb der Wissenschaft lösen. Aber wenn das nicht geschieht, sondern sich die Fehlentwicklungen laufend verstärken, greift die Politik ein. Das ist grundsätzlich richtig.

  • #2

    tmg (Freitag, 07 September 2018 12:40)

    'Transfer als Geschäftsgrundlage von Forschung'

    Als Wissenschaftler im MINT-Bereich ist man fassungslos über solch einen Unfug, für den allerdings durch die ''Lieschen Müller''-Vorstellung von Frau Karliczek zu dem, was Wissenschaft ist/sein sollte, derzeit heftig der Boden bereitet wird.

    Empfehlenswerte Lektüre zur Bedeutung von 'nutzloser' Grundlagenforschung: das schmale Heft ''The usefulness of useless knowledge'' über das Princeton Institute of Advanced Studies, gemeinsam geschrieben vom Gründer und vom derzeitigen Leiter dieses Instituts.