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A Happy New Year – auch für das Bildungssystem!

Ein paar gute Wünsche aus amerikanischer Perspektive. Von Jeffrey Peck.

Jeffrey Peck. Foto: privat
Jeffrey Peck. Foto: privat

IN DEN USA ist es üblich, das neue Jahr nicht nur profan mit Sekt, Jubel und guten Wünschen zu begrüßen, sondern auch etwas mystischer mit einer Reihe von New Year’s Resolutions und die zumeist auch kundzutun. Die Deutschen scheinen diese Tradition weniger zu pflegen, ja möglicherweise kommt sie sogar ganz aus der Mode. So fragte gerade eine Journalistin in der WELT kompakt: "Sind gute Vorhaben unmodern?"

 

Was will ich dieses Jahr anders machen? Wie werde ich ein besserer Mensch? Werde ich aufhören zu rauchen oder andere "schlechte" Verhaltensweisen aufgeben? Der moralistische Unterton solcher Vorsätze, so unbewusst er ihren Urhebern auch sein mag, ist oft nicht zu überhören. Wenn nun auch ich ein paar gute Wünsche für die Bildung im Jahr 2019 formuliere, möchte ich deshalb unbedingt vermeiden, dass irgendwer einen erhobenen Zeigefinger im Hintergrund zu erkennen meint. Es wird die regelmäßigen Leser meiner Kolumne nicht überraschen, dass ich einige in früheren Blogposts diskutierte Punkte wieder aufgreifen werde. 

 

Apropos Moral: Leider sind für einen politisch-progressiven US-Amerikaner in diesen Tagen alle Ausblicke und Wünsche durch den gegenwärtigen Präsidenten und sein fatales Wertegerüst massiv beeinträchtigt. Die amerikanischen Bildungseinrichtungen sind nicht nur mit den direkten Auswirkungen seiner Politik – etwa in Person seiner Secretary of Education, Betsy DeVos – konfrontiert, sondern sie sind es auch indirekt als Teil einer Gesellschaft, deren Errungenschaften durch Trumps rechtskonservative Ideologie in vielfacher Hinsicht von der Zerstörung bedroht sind. 


JEFFREY D. PECK war über viele Jahre Wissenschaftsmanager in den USA. Jetzt lebt er in Deutschland und arbeitet als Berater im Hochschulbereich. Über seine Erfahrungen und Einsichten schreibt er einmal im Monat hier im Blog.


Doch wäre es falsch, diese massive Fehlentwicklung der US-Politik allein Trump anzulasten. Ich glaube, der Präsident ist vielmehr Ausdruck einer systemischen Krise, die ihren Ursprung auch und gerade im Bildungswesen hat. Ein Beispiel dafür sind die teilweise exorbitant gestiegenen Studiengebühren und die immer höheren Schuldenberge, die viele Amerikaner dadurch anzuhäufen gezwungen sind. Ebenso problematisch ist, dass in der öffentlichen Wahrnehmung (und das nicht nur in den USA) zunehmend unterschieden wird zwischen "Bildung" (Liberal Arts) auf der einen und "Karriere" (Pre-professional Training) auf der anderen Seite. Gefährlich ist darüber hinaus – und damit kehre ich doch wieder direkt zu Trump zurück – der rechtsorientierte Nationalismus von oben: Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Xeno- und Homophobie an den Hochschulen wie in der Gesellschaft nehmen in erschreckendem Ausmaß zu. 

 

Aber um fair zu bleiben: Auch das entgegen gesetzte Problem einer ausufernden Political Correctness und sogenannter Trigger Warnings ist nicht zu übersehen. So sollen die Lehrenden ihre Studierenden vorab warnen, falls die Kursliteratur ihre Sensibilitäten berühren könnte. 

 

Lässt sich angesichts der gegenwärtigen Systemkrise in den USA überhaupt noch etwas lernen von den amerikanischen Universitäten? Ich denke: ja. Nehmen wir den Tenure Track als Karrierestruktur. Er ist in Amerika unter Spardruck geraten, doch das Modell als solches ist weiter so vorbildlich, dass Deutschland gut daran tut, es stärker an den Universitäten hierzulande zu verankern. Ein Anfang ist mit dem Tenure-Track-Programm getan. Hoffentlich werden so Hochschulkarrieren auch in Deutschland künftig stärker auf Sicherheit, Planung und Fairness gebaut werden. 

 

Doch die Sache hat einen Haken: Wegen der weitreichenden strukturellen, finanziellen und kulturellen Unterschiede wird ein lediglich "übersetztes" amerikanisches System ohne die entsprechenden Justierungen nicht unbedingt funktionieren. Genannt seien hiesige administrative Regelungen wie die weitgehend fixierten Altersgrenzen, die Lehrstuhl-Logik und das damit verbundenen deutsche Denken in Professorenhierarchien. 

 

Zu Beginn des neuen Jahres möchte ich auch noch einmal auf das Thema gute Lehre zu sprechen kommen. Die Fortsetzung des "Qualitätspakts Lehre" steht an, und wie von mir in vorigen Blogs angesprochen verdient jede und jeder Studierende die so essentielle Erfahrung qualitativ hochwertiger Lehre und Betreuung an der Hochschule. Doch haben die Student Experience und der Student Success im Hochschuldiskurs bislang leider weitaus weniger Gewicht als die Exzellenz der Forschung. Wir alle wissen, dass dies in der historischen Genese des deutschen Wissenschaftssystems begründet ist. Wie aber können wir dann der Lehre eine zentrale Rolle verschaffen und damit die Bedeutung, die ihr zusteht, und zwar an Universitäten und Fachhochschulen gleichermaßen? 

 

Und um am Ende noch zu meinem Dauerthema Diversity zu kommen: Die womöglich größte Herausforderung für das deutsche Bildungssystem sehe ich in der Aufgabe, eine langfristig wirkende Integration von "Deutschen mit Migrationshintergrund" und von Studienpionieren mit Nicht-Akademikereltern zu gewährleisten. Bislang höre ich viele Worte und Schwüre und beobachte zu wenige systematische Veränderungen. Dass die weitgehende Öffnung einer akademischen Institution nicht nur möglich ist, sondern den Lehrenden zudem Freude und Sinn beschert, weiß ich aus eigenen langjährigen Erfahrung, zuletzt als Dean and Vice Provost am Baruch College, das zur City University of New York gehört, der größten Urban Public University der USA mit einem sehr großen Anteil von First-Generation Students und Studierenden mit Migrationshintergrund. Es sind Studierende, die keineswegs "schwächer" sind, sondern sich durch hohe Motivation und Lernbereitschaft auszeichnen. Eigenschaften, bei denen im Vergleich – ich wage es kaum zu sagen – bei hiesigen Studenten so manches Mal ein nicht zu übersehendes Verbesserungspotenzial feststellen durfte. 

 

Für mich sind eine diverse Studentent_Innenschaft und, nicht zu vergessen, eine diverse Professor_Innenschaft mit heterogenen Wurzeln und Perspektiven immer ein Gewinn für die Bildung. Die diverse Hochschule kann und sollte ein Ort sein, der nicht nur den Zugang zur "Welt der höheren Bildung und Forschung" bietet, sondern auch persönliche Entfaltungsmöglichkeiten und die Grundlagen zum sozialen Aufstieg in einer zunehmend vielfältigen globalen Welt bietet. Dieses Verständnis sehe ich derzeit am ehesten in Amerika in Form der Liberal Arts Education gelebt, es ist nicht weniger als die originalgetreuste Entsprechung des wegweisenden und so oft falschverstandenen Humboldtschen Ideals. 

 

Meine Wünsche für das Neue Jahr sind die eines In- und Outsiders des deutschen Wissenschaftssystems: Ich bin ein durch die deutsche intellektuelle Tradition geprägter Wissenschaftler – einerseits. Denn andererseits bin ein Anhänger des amerikanischen Pragmatismus, ein US-Professor und Wissenschaftsmanager, der die Traditionen beider Länder sehr schätzt. Und gerade deshalb ist es mir so wichtig, möglichst verschieden Sichtweisen kennenzulernen und, wo immer ich kann, selbst neue Perspektiven in die Debatte zu bringen. Als Akademikergemeinschaft sollten wir bei allem gegenseitigen Respekt kontroverser und offener über die strittigen und die brisanten Themen reden, konstruktiv und bereit zu mutigen Entscheidungen. Das ist meine wichtigste New Year's Resolution, das wünsche ich uns allen für dieses Happy New Year 2019.

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