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"Deutschlandweit ziemlich einzigartig"

Dortmund könne nicht nur auf ein Fußballstadion mit 80.000 Plätzen verweisen, sondern auch auf ein beeindruckendes Geflecht von Wissenschaftseinrichtungen, sagt Manfred Prenzel. Mit sieben anderen Gutachtern hat er es untersucht. Ergebnis: Die Stadt macht erstaunlich viel daraus.

Manfred Prenzel, 66, ist Erziehungswissenschaftler und Bildungsforscher und war von 2014 bis 2017 Vorsitzender des Wissenschaftsrates. Foto: facesbyfrank.

Herr Prenzel, Sie gehören zu einer Gruppe von acht Gutachtern, die der Stadt Dortmund bescheinigen, in Sachen Wissenschaftsförderung ein Vorbild für andere zu sein. Das überrascht.

 

Was? Dass ich da mitgemacht habe?

 

Das auch. Dazu kommen wir gleich. Zuerst zur Stadt. Wenn Sie die Leute in Deutschland fragen, was ihnen zu Dortmund einfällt, werden 98 Prozent "BVB" antworten und zwei Prozent "Bier". Wissenschaft kommt da nicht vor.

 

Unterschätzen Sie mal nicht die Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen. Dortmund hat eine starke Universität und ein beeindruckendes Geflecht von Forschungseinrichtungen vorzuweisen. Der Unterschied zu den meisten anderen Städten in Deutschland ist aber, dass sich Dortmund vor fünf Jahren einen "Masterplan Wissenschaft" gegeben hat. Und dessen Wirksamkeit und die dadurch erzielten Fortschritte haben wir Gutachter jetzt evaluiert.

 

Ein "Masterplan Wissenschaft" klingt nach viel Papier und Kulisse und wenig Konsequenz.

 

Eben nicht. Das ist ein ziemlich besonderer Prozess, den die Stadt da angestoßen hat: Eine Kommunalverwaltung definiert zusammen mit den Führungsetagen der lokalen Wissenschaftseinrichtungen gemeinsame Entwicklungsziele für Stadt und Forschung. Mehr als 100 Akteure aus Wissenschaft, Kommune, Wirtschaft und Kultur haben ein gemeinsames Programm für die Wissenschaft erarbeitet, der im Juli 2013 vom Rat der Stadt verabschiedet wurde. Von Beginn an gab es ein Monitoring, um die Umsetzung in den verschiedenen Handlungsfeldern zu messen und damit eine allgemeine Verbindlichkeit herzustellen. Auch das ist im deutschlandweiten Vergleich ziemlich einzigartig. 

 

Was steht denn drin in dem Programm?

 

Der Masterplan nennt strategische Handlungsfelder und Forschungsschwerpunkte, und für alle Schwerpunkte wird die genaue Rollenverteilung zwischen Stadt und wissenschaftlichen Partnern festgelegt – von der Logistik über die Produktionstechnik und Energie bis hin zur Wirkstoff- sowie schließlich der Schul- und Bildungsforschung. Während die Forschungseinrichtungen sich in den Schwerpunkten abstimmen und vernetzen, treibt die Stadt zusammen mit den wissenschaftlichen Einrichtungen ein dazu passendes Campusentwicklungskonzept voran, das Raum zum Expandieren lässt. Sie plant im Umfeld zusätzliche Studierendenwohnungen. Parallel zum Forschungsschwerpunkt Energie treibt sie ihre Energiewende voran. Die Wirtschaftsförderung richtet eine Willkommensagentur ein, um zugezogene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beim Ankommen zu unterstützen. Und die Stadt hilft dabei, zusammen mit Wissenschaft und Wirtschaft ein Dual-Career-Netzwerk zu etablieren, damit auch die Partnerinnen und Partner der Wissenschaftler attraktive Arbeitsplätze finden. 

 

Jetzt sind Sie ja richtig ins Schwärmen gekommen. Die regionale Verflechtung der Wissenschaft war schon eines Ihrer Lieblingsthemen, als Sie noch Vorsitzender des Wissenschaftsrates waren, oder?

 

Wir haben dazu unter meiner Koordinierung eine Empfehlung erarbeitet, das ist richtig. Und weil Sie vorhin schon die Frage andeuteten, warum gerade ich in der Gutachterkommission mitgemacht habe, hier haben Sie Ihre Antwort: Wenn Sie an so einer eher grundsätzlichen Empfehlung arbeiten, dann hat die Möglichkeit, sich einmal die praktische Umsetzung sehr gründlich anzuschauen, großen Reiz. Zumal der Moderator des Masterplans kein Unbekannter ist. Detlef Müller-Böling hat das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) aufgebaut, einen Thinktank in der Hochschulpolitik. Beim Dortmunder Masterplan war er von Anfang an dabei. Und hat darauf gedrängt, dass dessen Wirkung überhaupt extern und systematisch evaluiert wird.

 

Haben Sie eigentlich keine Sorge, hier für ein zugegebenermaßen ausgefeiltes Standortmarketing missbraucht zu werden? 

 

Ja, die Stadt hat die Studie finanziert. Klar sind bei den Auftraggebern einer solchen Evaluation immer viele Interessen im Spiel. Na und? Ich hätte das nicht gemacht, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, hier ginge es vor allem um die schöne Schlagzeile. Vielmehr haben wir ja eine Studie mit 120 Seiten vorgelegt. Die beteiligten Institutionen wollen wirklich einen Mehrwert für die Stadt, das ist spürbar. Sie haben sich auf einen gemeinsamen Prozess eingelassen, und jetzt wollen sie wissen, was es gebracht hat. 

 

Und was hat der Masterplan nun gebracht?

 

Die Konsequenz, mit der er umgesetzt wurde, habe ich ja schon beschrieben. Das Selbstverständnis der Stadt ändert sich, man könnte auch sagen: Das Selbstbewusstsein nimmt zu. Gleichzeitig fällt den Forschungseinrichtungen die Rekrutierung herausragender Wissenschaftler leichter, die Startups schaffen zusätzliche Arbeitsplätze, und die Großunternehmen haben neue Argumente, in der Stadt zu bleiben. Und all das angesichts eines tiefgreifenden Strukturwandels in der Industrie. Und Sie müssen noch eines im Kopf behalten: Die Stadt konnte nur wenig zusätzliches Geld für den Plan aufwenden, er lebt also von der Koordination der Partner. Anders formuliert: Die ganze Stadt müht sich nach Kräften, sie will nicht mehr nur die Kommune mit dem 80.000-Plätze-Fußballstadion sein. Sie will mindestens gleichberechtigt als Wissenschaftsmetropole wahrgenommen werden, weil sie es in Wahrheit längst ist.    

 

Und der Masterplan schafft das?

 

Viele Wissenschaftler engagieren sich ehrenamtlich für und in der Stadt, in nahezu allen Stadtteilen sind Hochschulen und Forschungsinstitute mit Veranstaltungen oder Projekten präsent. Und der Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft klappt: In Nachbarschaft zur Universität ist in den vergangenen 30 Jahren einer der erfolgreichsten Technologieparks Europas gewachsen. Aber natürlich sehen wir als Gutachter an vielen Stellen Verbesserungsbedarf. Der Austausch zwischen Wissenschaftlern und Stadtbevölkerung muss weiter wachsen. Neue Formate sind gefragt, um den Menschen die Wissenschaft noch näher zu bringen. Was eine besondere Herausforderung ist in einer Stadt, deren Universität – typisch fürs Ruhrgebiet – einst von der Politik an den Rand und nichts ins Zentrum gesetzt wurde. Auch die Kontakte zu den Unternehmen und Vereinen können noch intensiver werden.

 

Hört sich stark nach einem Lieblingswort der gegenwärtigen Wissenschaftspolitik an: die sogenannte Third Mission der Hochschulen. 

 

Exakt. Und um noch ein Schlagwort einzuwerfen: Darum muss es jetzt nach unserer Auffassung einen Masterplan 2.0 geben. 

 

Wenn die Vorteile so groß sind, wie Sie beschreiben, warum machen es dann so wenige Städte wie Dortmund?

 

Bisher finden wir Kooperationen und Koordinationen in Deutschland eher auf der regionalen Ebene, aber sehr selten auf der kommunalen Ebene. Sicherlich verfügen nicht viele Großstädte über ein vergleichbares Netzwerk von Einrichtungen, aber selbst Städte wie Hamburg haben nicht in Ansätzen eine vergleichbare Strategie – und bemühen sich auch nicht darum. Oder nehmen Sie München, ein international führender Forschungsstandort. Dort kocht jeder sein eigenes Süppchen. Da findet mit Blick auf die Stadtentwicklung kaum Abstimmung statt, nicht zwischen den Hochschulen untereinander und auch nicht mit den Forschungsinstituten. Einzig Dresden kann meines Erachtens mit Dortmund mithalten. Das Dresden Concept verbindet in ähnlicher Weise die Akteure – und war damit sogar in der Exzellenzinitiative erfolgreich.  

 

Apropos: Anderswo im Ruhrgebiet sind sie der Meinung, Dortmund leiste sich einen Egotrip. Schließlich gibt es seit zehn Jahren auch die Ruhr-Allianz unter Beteiligung der Universitäten in Dortmund, Duisburg-Essen und Bochum. Die als Verbund auch gern im Wettbewerb um die Exzellenzuniversitäten angetreten wäre, aber nicht die dafür nötigen Exzellenzcluster zusammenbekommen hat. Ist ein kommunaler Masterplan da nicht genau das falsche Signal? 

 

Zunächst haben die Dortmunder ja auf kommunaler Ebene ihre Hausaufgaben gemacht, und das vorbildlich. In der Tat aber haben wir für den angeregten Masterplan 2.0 sehr stark betont: Verfolgt die Ruhr-Perspektive stärker, übertragt die guten Erfahrungen in Dortmund auf die ganze Region. In fünf Jahren können wir ja wieder gucken, was daraus geworden ist. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Manfred Ronzheimer (Dienstag, 02 Oktober 2018 07:58)

    Gutes Interview. Ich hatte seinerzeit auch über den Prenzel-Ansatz berichtet: http://www.taz.de/!5034414/
    Werde jetzt den Dortmunder Ergebnissen nachgehen.

  • #2

    Michael Hoelscher (Donnerstag, 18 Oktober 2018 13:57)

    Was einen Masterplan mit der Wissenschaft angeht, so ist zumindest Heidelberg auch mit von der Partie. Allerdings bezieht er sich dort die Zusammenarbeit von Stadtverwaltung, Universität, diversen Außeruniversitären und der Zivilgesellschaft vor allem auf die (bauliche) Einbindung und Weiterentwicklung des Campus in die Stadt.