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"Bevor die Politik eingreift, sollten wir das selbst regeln"

Imageprobleme, Intransparenz, mangelnde Standards: Der Philosophische Fakultätentag will die Habilitation retten. Der Vorsitzende Tassilo Schmitt sagt, wie das gehen soll.

Tassilo Schmitt, 57, ist Althistoriker, Professor an der Universität Bremen und Vorsitzender des Philosophischen Fakultätentages. Foto: privat.

Herr Schmitt, seit 15 Jahren gibt es die Juniorprofessur, jetzt etablieren Bund und Länder den Tenure Track als Zugang zur Professur. Hat die Habilitation sich überlebt? 

 

Sicher nicht. Die Habilitation ist in vielen Fachkulturen immer noch eine besonders gute Methode, um die wissenschaftliche Qualifikation eines Wissenschaftlers nachzuweisen. In einer Tiefe und zugleich in einer Breite, die kein anderes Verfahren ermöglicht. 

 

Aber ihre Bedeutung als Königsweg zur Professur hat sie doch längst eingebüßt.

 

Ihre Bedeutung als einzigen Weg. Das ist ein Unterschied. Damit habe ich auch kein Problem – auch sonst kenne ich niemand, der sich ernsthaft die Vergangenheit zurückwünscht. Aktuell haben wir als Philosophischer Fakultätentag eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit dem Potenzial der Kombination von Juniorprofessur und Tenure Track beschäftigt und die Vergleichbarkeit der vorhandenen Modelle sichern soll. Das heißt aber nicht, dass wir die Habilitation als bewährten Qualitätsnachweis aufgeben wollen. Im Gegenteil: In den Geisteswissenschaften und speziell in den Kleinen Fächern würde ich so weit gehen zu sagen, dass die Habilitation der wesentliche Weg zur Professur bleiben wird. 

 

Sie hat aber ein schlechtes Image. Wer sich habilitieren will, begibt sich in eine Abhängigkeit, die manchmal viele Jahre dauert und keineswegs automatisch in eine Professur mündet. 

 

Das ist der Standardvorwurf gegen die Habilitation, sie diene der Ausbeutung junger Wissenschaftler durch die Arrivierten. Die Tatsache, dass dieser Vorwurf oft erhoben wird, macht ihn aber in der generellen Form nicht richtig. Die vorhandenen Probleme, die ich gar nicht leugnen will, haben nicht mit der Habilitation an sich zu tun, sondern mit den kurzfristigen Arbeitsverträgen für wissenschaftliche Mitarbeiter. Das ist auch bei vielen Juniorprofessuren nicht anders. Wesentlich sind jeweils die Perspektiven. Hier liegt die Verantwortung der Politik und der Hochschulen. Was jetzt mit dem Tenure Programm angestoßen wird, hätte grundsätzlich auch für Habilitierte einen Sinn: Chancen für die, die gut sind.

 

Stört es Sie nicht, dass die Habilitation unter Plagiatsskandalen leidet? Wenn von Gefälligkeitsverfahren die Rede ist zugunsten des eigenen wissenschaftlichen Nachwuchses, von mangelnder Qualitätssicherung?

 

Solche Behauptungen stören mich immens. Ich glaube aber nicht, dass wirklich viel an ihnen dran ist. Und ich kenne keine Studie, die zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass die Habilitationen im Laufe der Jahre durchweg schlechter geworden wären. Meiner Vermutung nach ist eher das Gegenteil der Fall, aber auch das ist nur eine Vermutung.

 

"Wenn wir die Habilitation erhalten wollen,
müssen wir etwas 
für ihre Qualität zu tun."

 

Warum hat der Philosophische Fakultätentag dann jüngst Empfehlungen beschlossen, Titel: "Für gute Habilitationsverfahren"?

 

Weil Sie ja Recht haben mit dem problematischen Image. Wenn wir als Fakultätentag die Habilitation erhalten wollen, stehen wir auch in der Verantwortung, etwas für ihre Qualität zu tun.

 

Sagten Sie nicht gerade, die sei Ihres Erachtens besser denn je? 

 

Hier müssen wir jetzt mal unterscheiden zwischen der wissenschaftlichen Arbeit namens Habilitation, die normalerweise das zweite wissenschaftliche Buch nach der Promotion ist, und dem Verfahren der Habilitation. Dem Verfahren gilt unsere Sorge und unsere Resolution, denn wenn wir schon neben der Habilitationsschrift zusätzliche Ansprüche an die Habilitanden stellen, dann muss dieses Mehr auch qualitätsgesichert sein. 

 

Was genau meinen Sie mit dem Verfahren?

 

Bis vor kurzem wussten wir das selbst nicht so genau. Darum haben wir vor einem Jahr eine Umfrage unter unseren Mitgliedsfakultäten gestartet, um herauszufinden, was sie von ihren Habilitanden verlangen. Das Ergebnis hat uns in seiner Vielfalt selbst überrascht. Die Habilitationsverfahren werden abhängig vom Ort und vom Fach stark unterschiedlich gehandhabt, wobei es natürlich einen Kern gibt: die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Habilitationsschrift. Doch ansonsten sind die Anforderungen so vielfältig und unterschiedlich, dass es uns wichtig schien, Mindeststandards zu definieren. 

 

Und welche sind das?

 

Die Kommissionen, die die Habilitationsverfahren durchführen, sollen aus mindestens drei Gutachtern bestehen, davon mindestens einer aus der Fakultät und mindestens einer von außen. Die Gutachten selbst dürfen nicht allgemein gehalten sein, sie dürfen nicht aus pauschalen Stellungnahmen bestehen. Notfalls müssen weitere Gutachten eingeholt werden. Grundsätzlich gilt, dass diejenigen, die Gutachten schreiben, auch genug vom Gegenstand der Habilitation verstehen müssen. Das gilt insbesondere bei interdisziplinär angelegten Arbeiten. Interdisziplinarität darf nicht bedeuten, dass die Beurteilung ohne Fundierung in den betroffenen Disziplinen erfolgt. 

 

Und solche Sachen muss man extra betonen?

 

Wie gesagt: Die Vielfalt der Habilitationsordnungen ist sehr groß. Wir müssen den Fakultäten sagen: Wenn ihr die Habilitation als Verfahren verteidigen wollt, dann müssen eure Ordnungen auch den eigenen Qualitätsanspruch einlösen. 

 

An welchen Stellen gilt das noch?

 

Unseren Empfehlungen zufolge sollte keine Habilitation mehr verliehen werden, ohne dass auch die hinreichende Lehrerfahrung des Habilitanden in einem schriftlichen Bericht dokumentiert und bewertet wird, dazu die absolvierten Weiterbildungsmaßnahmen, die studentischen Evaluationen der Lehrveranstaltung. Es muss mindestens eine Probevorlesung geben, und die muss ein anderes Thema behandeln als die Habilitationsschrift. Abhängig vom Einzelfall sollte es zusätzlich eine Musterlehrveranstaltung oder ein Kolloquium geben, oder die pädagogisch-didaktische Eignung muss durch die Vorlage von Lehrkonzepten nachgewiesen und beurteilt werden. 

 

"Wir geben wir den Fakultäten einen Katalog
der Möglichkeiten an die Hand." 

 

Sollte nicht auch das im Jahr 2019 längst überall eine Selbstverständlichkeit sein?

 

Vielerorts ist es das ja auch, aber das heißt nicht, dass es überall sehr systematisch zugeht. Schon 1998, als ich mich in Bielefeld habilitiert habe, musste ich eine Lehrprobe absolvieren. Allerdings wussten die Professoren damals noch gar nicht so richtig, wie sie damit umgehen sollten. Das Zusammenspiel und die Gewichtung der verschiedenen formalen Bausteine beschäftigen viele Kommissionen bis heute, und darum geben wir ihnen einen Katalog der Möglichkeiten an die Hand. Was die Fakultäten davon wählen, wollen und können wir nicht vorschreiben. Entscheidend ist, dass sie überhaupt geeignete Nachweise einfordern, was bislang in längst nicht allen Habilitationsordnungen der Fall ist. Denn es stimmt ja: Es wäre im Jahr 2019 absurd jemand zu bescheinigen, er könne lehren, ohne sich die Lehre des Betreffenden eingehend angeschaut zu haben. 

 

Wie wollen Sie die Verfahren für die Fakultäten transparenter machen?

 

Intransparenz ist in der Tat eine Kritik, die wir oft hören. Weil die Fakultät die Habilitation verleiht, ist es unerlässlich, dass alle Mitglieder der Fakultät am Verfahren mitwirken können, wenn sie dies wollen. Deshalb ist auch mindestens eine fakultätsöffentliche Probevorlesung oder ein Probevortrag erforderlich, inklusive anschließender Diskussion. Darüber hinaus müssen alle Professoren der betroffenen Fakultät das Recht auf Einsicht in die vorgelegten Arbeiten und Gutachten haben. Die Frist dafür muss mindestens drei Wochen betragen. Begründete Einwendungen müssen Berücksichtigung finden. In den Habilitationsordnungen müssen Regelungen enthalten sein, die dem Kandidaten die Gelegenheit zur Nachbesserung einräumen. 

 

Hand aufs Herz: Waren Ihre Empfehlungen am Ende nur der kleinste gemeinsame Nenner, oder haben sie auch irgendwem irgendwo wehgetan?

 

Wir haben hart diskutiert, aber am Ende konnten alle mitgehen. Jetzt ist es wichtig, die Resolution in die Öffentlichkeit zu tragen, damit darüber diskutiert wird und die Überarbeitung der Ordnungen beginnt. 

 

Wann werden Sie sagen: Die Arbeit hat sich gelohnt?

 

Dann, wenn keiner mehr die Habilitation in Frage stellen kann, indem er die Qualität ihrer Verfahren bezweifelt. Bevor die Politik die Notwendigkeit sieht, regelnd einzugreifen, sollten wir selbst das tun. Derzeit besteht die reale Gefahr, dass Modelle, die sich vielleicht in manchen Fächern bewährt haben, vorschnell auf alle ausgerollt werden.  

 

Sie sprechen erneut von der Juniorprofessur.

 

Wir haben vor 15 Jahren schon einmal erlebt, dass die Juniorprofessur eingeführt wurde, um die Habilitation überflüssig zu machen. Das hat nicht geklappt, man konnte sogar den Eindruck bekommen, die Juniorprofessur habe sich in Teilen totgelaufen. Zum Glück hat sie die Krise überstanden, denn ich schätze die Juniorprofessur durchaus. Doch nun ist durch die Etablierung des Tenure Tracks zum zweiten Mal ein Momentum entstanden, das die Habilitation in ihren Grundlagen in Frage stellt. Diese Grundlagen wollen wir sichern, damit sie nicht erodieren. 

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Kommentare: 8
  • #1

    Klaus Diepold (Donnerstag, 10 Januar 2019 11:43)

    Die Habilitation ist einfach, die Rehabilitation ist so schwer ;-)

    Seriously, ich finde die Habilitation in jedem Fall überholt und unnötig. Und die oft angesprochenen Missstände sind sehr wohl ein Resultat des Habilitationsprozesses, weil der/die HabilitantIn akademisch nicht unabhängig und frei ist. Tenure Track Assistenzprofessur ist der Weg in die Zukunft. Juniorprof. ohne Tenure Track ist ein Fehler und deswegen auch gescheitert.

  • #2

    tmg (Donnerstag, 10 Januar 2019 22:12)

    @1 Was hier überholt oder unnötig ist oder scheitern wird, werden wir noch sehen. Die Haltung zur Habilitation hängt vielleicht auch davon ab, ob man diese Qualifikation selbst erreicht hat. Ich bin ferner gespannt, wie oft es zu einer Negativevaluierung kommen wird für einen tenure track-Kandidaten. Bei Juniorprofessoren liegt die Zahl von Negativevaluierungen nach der Halbzeit vermutlich im Promillebereich. Bei tenure track wird es ähnlich werden. Wer möchte schon dafür verantwortlich sein, die Karriere eines Kandidaten für immer zu stoppen, denn das wird beim deutschen Modell die Konsequenz einer Negativevaluierung sein - im Gegensatz etwa zur Situation in den USA.

  • #3

    tutnichtszursache (Freitag, 11 Januar 2019 10:14)

    Der m.E. größte Skandal rund um die Habilitation wird weder in den PhFT-Empfehlungen noch im Interview benannt: Viele Habilitationsschriften werden nie veröffentlicht. Für den universitären Innenbetrieb reicht ja, dass sie vorhanden sind und als Grundlage einer Berufung gedient haben - und danach ist alles egal, jedenfalls vielen.
    Das bedeutet: Viele Jahre wissenschaftlicher Arbeit erblicken nie das Licht der Öffentlichkeit und werden nicht Gegenstand des Kerns wissenschaftlicher Qualitätskontrolle, nämlich des wissenschaftlichen Diskurses. Das geht so nicht. Eine Professur mit unveröffentlichter Habilitation sollte stets befristet sein (max. 3 Jahre) und erst entfristet werden, nachdem eine Veröffentlichung erfolgt ist.
    Das lässt sich heutzutage ggf. gut online erledigen, auch nachträglich. Ein prominentes Beispiel einer 1991 abgeschlossenen Habilitation (mit herausragender Karriere des Habilitierten seither), die 2015 digital publiziert wurde, hier: epub.ub.uni-muenchen.de/24907/

  • #4

    Theo Jung (Freitag, 11 Januar 2019 12:43)

    Dass es absurd ist "jemand zu bescheinigen, er könne lehren, ohne sich die Lehre des Betreffenden eingehend angeschaut zu haben" ist nicht falsch. Ungefähr genauso absurd wie die Beurteilung einer Person mit ca. 8 Jahren Lehrerfahrung auf der Basis einer 'Probe'.

  • #5

    McFischer (Montag, 14 Januar 2019 10:44)

    Auch als nicht-Habilitierter (aber mit solchen im Bekanntenkreis) erscheint mir die Habilitation ein wirklich überholtes Stück deutscher Professorenherrlichkeit zu sein. Der ursprüngliche Gedanke des Nachweises einer "Lehrbefähigung" durch die Habilitation ist absurd. Gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften lehren schon die Doktoranden. Wer sich habilitiert, hat also schon meist etliche Seminare, Hauptseminare, Methodenkurse etc. gelehrt, wurde evaluiert etc. Die im Interview genannte Probevorlesung als Nachweis didaktischer Fähigkeiten ist (somit) lächerlich. Das ist doch nur ein Schaulaufen, zu dem Freunde und akademische Kollegen eingeladen werden.
    Die didaktische Befähigung sollte besser im Rahmen von Berufungsverfahren Thema sein - wird aber auch hier eher nachrangig behandelt.
    Was zählt - und das wird im Interview ja deutlich - ist die Leistung des 'zweiten Buches'. Auch das ist im Zeitalter, in dem internationale Publikationen, Vorsitz in Verbandsgremien, Auslandsaufenthalte usw. längst der Ausweis akademischer Kompetenz sind, ziemlich absurd.

  • #6

    McFischer (Montag, 14 Januar 2019 10:48)

    Noch ein Nachtrag zu "tutnichtszurSache":
    Ist das Argument ""Eine Professur mit unveröffentlichter Habilitation sollte stets befristet sein (max. 3 Jahre) und erst entfristet werden, nachdem eine Veröffentlichung erfolgt ist." wirklich ernst gemeint?
    Die Professur ist meist die erste unbefristete Stellung für deutsche Wissenschaftler/-innen. Das sollte man sicherlich grundlegend ändern, aber falls nicht: dann bitte nicht noch diese Position auch wieder als Zeitvertrag! Irgendwann sollte man/frau auch einmal mit der Lebensplanung beginnen dürfen.

  • #7

    Klaus Diepold (Montag, 14 Januar 2019 13:30)

    @tmg
    In welchem Ausmaß die Tenure Evaluierung ernsthaft durchgezogen wird hängt natürlich von der Kultur der jeweiligen Hochschule ab. Der ganze Prozess repräsentiert einen Kulturwandel und wenn man bedenkt, dass die Hochschule in ihrer wertkonservativen Grundhaltung nur noch vom Militär und dem Vatikan übertroffen wird kann das schon ein bisschen dauern, bis das "neue" System wirklich funktioniert. Bis dahin können wir die Habilitation schon mal streichen. Die Gründe dafür sind allemal bekannt.

  • #8

    tutnichtszursache (Freitag, 18 Januar 2019 14:08)

    zu McFischers Frage an mich Nr. 6:
    Ja, das meine ich ernst. Der Befristungswahnsinn - geschenkt, da sind wir uns alle einig. Persönlich halte ich das Modell Juniorprofessur/tenure track auch um Meilen besser. Gleichwohl wissen wir alle, wie zäh sich die Habilitation in manchen Fachkulturen hält, und im Sinn von bunter Diversität - warum nicht, zumal die Hürden für eine administrative Abschaffung sehr hoch sind.
    Alles, was ich will, ist, dass Habilitationsschriften nicht verstauben, sondern veröffentlicht werden. Immer. Verpflichtend. Und dazu dient meine Idee. Die Habil ist ja schon da, wenn der Ruf erfolgt. Der/die frischgebackene Professor/in muss sie nur noch online stellen. Das wird 99,9% der Betroffenen gelingen, so dass der von mir vorgeschlagene neue Befristungstatbestand keine personalrechtlichen Konsequenzen haben wird. Aber er sorgt dafür, dass die Schriften endlich publiziert werden.
    Und nochmal @PhFT: Die Nichtveröffentlichung ist ein Skandal, und ich fand es enttäuschend, dass der Fakultätentag dies nicht als solchen thematisiert hat.