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Damit aus dem "Eigentlich" ein "Wirklich" wird

Ist der MINT-Aktionsplan von Anja Karliczek der große Wurf? Bei allen positiven Ansätzen sicher nicht. Worauf es jetzt bei der Umsetzung ankommt: ein Gastbeitrag von Nathalie von Siemens und Ekkehard Winter, den Sprechern des Nationalen MINT Forums.

Foto: Gorodenkoff/Shutterstock.

EIGENTLICH KÖNNTEN WIR zufrieden sein. Neben all der großen Aufmerksamkeit für das Thema Digitalisierung scheint endlich auch das Thema MINT-Bildung in der Politik angekommen zu sein. Dabei sind beide Themen miteinander verknüpft: Ohne MINT keine Digitalisierung.

 

Auf unserem Nationalen MINT Gipfel im vergangenen Sommer und nochmals verstärkt auf unserem Parlamentarischen Abend im Herbst zeigte sich, dass auf allen politischen Ebenen und über alle Parteien hinweg die Bedeutung der Kernkompetenzen Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik im Zeitalter der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz erkannt wurden. Mehr noch: In allen Lagern befasst man sich konkret mit dem Thema. Unsere aktuellen Kernforderungen fanden bis auf Details parteiübergreifend Zustimmung.

 

In der vergangenen Woche dann der Höhepunkt: Die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) stellte den Medien und damit der Öffentlichkeit ihren MINT-Aktionsplan vor. Damit hat sie die Absichtserklärung zur Stärkung der MINT-Bildung im Koalitionsvertrag und dann die Ankündigung auf dem Nationalen MINT Gipfel im vergangenen Sommer eingelöst. >>



Nathalie von Siemensgeschäftsführender Vorstand  der Siemens Stiftung, und Ekkehard WinterGeschäftsführer der Deutsche Telekom Stiftung, sind das Sprecherteam des Nationalen MINT ForumsFotos: NMF, Andreas Süß.


>> Warum sind wir dann nur "eigentlich" zufrieden? Weil noch lange nicht erreicht ist, was wir wie Barack Obama fordern: "Make STEM (STEM = MINT) a national Priority." Der Aktionsplan ist ein erster Baustein dazu, aber der große Wurf ist er nicht.

 

Sein Erfolg hängt jetzt ganz wesentlich davon ab, wie seine konkrete Ausgestaltung aussieht. Und dass die Umsetzung beharrlich verfolgt wird. Natürlich begrüßen wir, dass die Ministerin nicht nur die schon laufenden Aktivitäten wie die Förderung des "Hauses der kleinen Forscher" oder von "Jugend forscht" – beide übrigens unsere Mitglieder – fortsetzen möchte, sondern vier neue Initiativen vorgestellt hat: zur Forschung über MINT, zur gezielten Kommunikation über MINT mit 10- bis 16-Jährigen und, dazu passend, zu speziellen MINT-Angeboten für Kinder und Jugendliche sowie viertens eine sogenannte MINT-E-Plattform.

 

Gezielt, nachhaltig, wirkungsorientiert

 

Wichtig ist uns sowohl bei den neuen wie auch bei den vielen seit Jahren bundesweit aktiven Initiativen, dass sie gezielt, nachhaltig und wirkungsorientiert angelegt sind. Und ob und wie das gerade bei den neuen Initiativen der Fall sein wird, dazu stehen die genaueren Angaben noch aus.

 

In unseren Augen muss der Fokus bei allen MINT-Bildungs-Aktivitäten auf Qualität und Wirkung liegen. Was wir konkret damit meinen, steht in unseren Kernforderungen: Wir brauchen eine MINT-Qualitätsallianz aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft; die in der MINT-Bildung besonders erfolgreichen MINT-Regionen müssen durch eine bundesweite Servicestelle miteinander verknüpft und gestärkt werden; die systematische Begleitforschung zur Wirkungsanalyse von MINT-Initiativen ist zu implementieren.

 

Die Kompetenzorientierung in MINT muss sich in der Schule niederschlagen, sie muss im Unterricht auch digital konkretisiert und gewährleistet werden, und ein integriertes System muss Schule und außerschulische Umwelt miteinander verknüpfen. Bleibt als zentrales Element die Lehrerbildung, die zukunftsorientiert gestaltet sein muss – auch für Quereinsteiger.

 

Natürlich freuen wir uns, eine unserer Kernforderungen im MINT-Aktionsplan wiederzufinden: die Förderung systematischer MINT-Forschung. Wir wissen einfach noch zu wenig darüber, unter welchen Bedingungen MINT-Interesse und Kompetenzen erfolgreich vermittelt werden und wie deswegen MINT-Angebote gestaltet sein müssen.

 

Das im Aktionsplan genannte MINT-Kommunikationskonzept mit Fokus auf die 10- bis 16-Jährigen ist ebenfalls sinnvoll. Allerdings besagen die Erfahrungen mit den vielen vorhandenen MINT-Initiativen, dass MINT-Bildung nur dann erfolgreich und klischeefrei gelingt, wenn auch die Eltern und Lehrkräfte eingebunden sind.

 

Auch die Idee, regionale Cluster und damit insbesondere MINT-Angebote für Jugendliche im Alter von 10 bis 16 zu fördern, ist prima. Denn wir wissen seit langem, dass die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen MINT-Bildungsakteuren einer Region die wohl erfolgreichste Form der Organisation von MINT-Bildung ist: Sie ist der Schlüssel für Angebotstransparenz, Koordination, Nachhaltigkeit und Qualitätssicherung. Jetzt ist wichtig, die neuen Cluster und die vorhandenen immerhin rund 120 MINT-Regionen sinnvoll und wirksam miteinander zu verknüpfen, um Doppelstrukturen zu vermeiden.

 

Reicht die MINT-E-Plattform?

 

Schade nur, dass im MINT-Aktionsplan unser Vorschlag dazu nicht aufgegriffen wurde: Die Einrichtung einer bundesweiten Servicestelle für MINT-Regionen, um so Netzwerkeffekte zu verstärken, Neugründungen anzuregen und gute, wirkungsorientierte Praxis voranzutreiben.

 

Die MINT-E-Plattform im MINT-Aktionsplan klingt zunächst ähnlich, hat aber einen anderen Ansatz. Sie war noch im Koalitionsvertrag vor allem als Verweisportal für mehr Transparenz und Information aller bundesweiten MINT-Initiativen angelegt. Im MINT-Aktionsplan ist sie darüber hinaus nun eine Austauschplattform mit eigener Geschäftsstelle geworden. Damit könnten nun auch wichtige Aufgaben wie die Vernetzung von MINT-Akteuren oder Serviceangebote zur Beratung und Qualitätsentwicklung erfüllt werden.

 

Allerdings muss aus unserer Sicht noch deutlicher werden, worin der Mehrwert der Plattform für die allzu breit angelegten Zielgruppen besteht. Wenn man den Qualitätsgedanken ernst nimmt, müssen von der Plattform vor allem die Anbieter von MINT-Bildung profitieren, beispielsweise durch Unterstützung bei der selbstgesteuerten Qualitätsentwicklung. Wir haben deswegen übrigens Ende vergangenen Jahres einen Leitfaden herausgegeben, der zum ersten Mal sozusagen an der Basis MINT-Anbietern hilft, ihre eigene Arbeit zu analysieren und wirkungsorientiert weiterzuentwickeln.

 

Es gibt in Deutschland eine Fülle an Akteuren, Initiativen und Ideen, kurz: eine sehr große Bereitschaft, die MINT-Bildung voranzutreiben. Im Nationalen MINT Forum sind die wichtigsten zivilgesellschaftlichen Akteure aus Wissenschaftseinrichtungen, Stiftungen und Verbänden mit ihren ganz unterschiedlichen Interessen versammelt. Dass aus dieser Vielstimmigkeit eine Stimme der MINT-Bildung entsteht, macht den Wert der inzwischen zahlreichen fundierten Empfehlungen und an die Politik gerichteten Forderungen des Nationalen MINT Forums aus. All dieses Knowhow und Engagement bieten wir der Politik an, um die MINT-Bildung voranzubringen. Insofern ist bedauerlich, dass unser Angebot zu konkreter Beratung bislang von der Bundespolitik kaum abgerufen oder aufgegriffen wurde.

 

Man braucht in Deutschland eigentlich niemandem mehr zu erklären, warum MINT-Bildung so wichtig ist. Alle, egal ob in Politik oder Zivilgesellschaft, sind sich eigentlich darin einig, was zu tun ist. Wir können also eigentlich mit der Entwicklung zufrieden sein. Uns reicht eigentlich nicht. Wir werden genau verfolgen, wie der MINT-Aktionsplan nun umgesetzt wird und wir werden uns weiterhin für die MINT-Bildung engagieren. Damit aus dem "Eigentlich" ein "Wirklich" wird.  

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