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Wir müssen die Debatte entritualisieren

Die Universität Kiel verbietet einer Studentin die Gesichtsverschleierung, weil ein Professor sich gestört fühlt. Ist das der richtige Weg?

Eine verschleierte Frau (Symbolbild). Foto: Pxhere - cco.

ES GIBT DEBATTEN, die sind wie Rituale. Die über das Tragen von Niqabs in öffentlichen Räumen zum Beispiel. Jeder hat dazu eine Meinung, jeder muss sie auch unbedingt äußern, und doch sind es fast immer pure Emotionen, die hinter den vermeintlichen Argumenten hervorlugen.

 

Der Niqab wird bei Wikipedia als "Gesichtsschleier" beschrieben, der von einigen muslimischen Frauen getragen wird und je nach Form das gesamte Gesicht bedeckt oder den Teil unterhalb der Augenpartie.

 

Niqab-Trägerinnen an deutschen Hochschulen sind äußerst selten, wahrscheinlich bewegt sich ihre Zahl im niedrigen zweistelligen Bereich – bundesweit. Doch könnte man derzeit einen anderen Eindruck bekommen, seit die Universität Kiel ein Niqab-Verbot erlassen hat. Nicht einfach so, sondern weil ein Professor sich durch eine Niqab-Trägerin so stark gestört fühlte, dass er von der Unileitung einen Schleier-Bann verlangte. Das Präsidium kam der Forderung nach, die Debatte schwappte in die Landespolitik über und von da direkt in die bundesweite Öffentlichkeit.

 

Studentin hat Klage angekündigt

 

Landesministerin Karin Prien (CDU) begrüßte die Entscheidung der Uni: Sie wolle ohnehin bis zum Sommer 2020 per Gesetz ein Verschleierungsverbot in den Schulen und Hochschulen des Landes durchsetzen. Wenn schon ein Verbot, dann nur als Gesetz.

 

In dem Punkt hat die Ministerin vollkommen Recht, denn es ist fraglich, ob eine Universität berechtigt ist, in Eigenregie die Grundrechte ihrer Studierenden einzuschränken. Die betroffene Studentin hat bereits eine Klage  angekündigt. 

 

Die Grünen, der CDU-Koalitionspartner in Schleswig-Holstein, sind übrigens gegen das Kieler Verbot. Es dürften also spannende Koalitionsgespräche werden.

 

Eigentlich sollte uns die Geschichte peinlich berühren. Eine Uni-Leitung muss adhoc reagieren in einem politisch verminten Terrain, weil wir als Gesellschaft insgesamt bislang keine tragfähige Haltung zu der Frage Niqab/Burka entwickelt haben. Eine einzelne Studentin muss herhalten, um an ihr ein Exempel zu statuieren, für sie persönlich wird ein Verbot erlassen. Das geht eigentlich gar nicht.

 

Ehrlich, offen und vorurteilsfrei diskutieren

 

Der Fall zeigt, wie dringend wir die Debatte entritualisieren müssen. Trauen wir uns, das Thema ehrlich, offen und vorurteilsfrei zu diskutieren? Oder überlassen wir es den Rechten? Und gehen selbst nur dann daran, wenn es gar nicht mehr anders geht? Auch Priens Gesetzes-Plan kann eigentlich erst Schritt zwei sein. Nach der Diskussion.

 

In der müssten folgende Aspekte enthalten sein: Ist ein Verbot verhältnismäßig wegen ein paar wenigen Trägerinnen? Ist der Verlust an Kommunikation, weil die Mimik unter dem Schleier verschwindet, Grund genug, die Religionsfreiheit einzuschränken? Wie begründet ist die Annahme, viele der Frauen würden sich nicht freiwillig verschleiern? Gäbe es zum Verbot Alternativen? Und wenn nein: Wie wird es durchgesetzt werden?

 

Ich gebe zu: Mir ist nicht wohl, dass eine 21-Jährige jetzt nicht mehr die Uni besuchen kann, weil sie den Niqab aus Glaubensgründen nicht ablegen möchte – oder wäre richtiger: ablegen kann?

 

Am unwohlsten fühle ich mich aber, weil alle schon eine Meinung dazu haben, pro oder contra, aber die entscheidenden Fragen nicht wirklich diskutiert werden.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will’s wissen" im Tagesspiegel.


NACHTRAG AM 26. FEBRUAR

Die betroffene Studentin will sich laut dem Nachrichtenportal t-online.de bei ihrer Klage von der Föderalen Islamischen Union unterstützen lassen, einem Verein, der vom niedersächsischen Verfassungsschutz dem politischen Salafismus zugeordnet wird. Das dürfte nur noch heftigere Reaktionen sorgen. Und das unterstreicht den Punkt, den ich machen möchte: Wir müssen als Gesellschaft diese Diskussion führen, ehrlich, offen und vorurteilsfrei.  Unabhängig von den Einzelfällen.

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Kommentare: 8
  • #1

    Günther K. (Dienstag, 26 Februar 2019 08:17)

    Ist es besser, ein Thema wie dieses den "Linken" zu überlassen, statt den "Rechten"? (Wer ist das überhaupt?)
    Kann die Bekleidung von Personen, insbesondere in öffentlichen Institutionen, egal sein, wenn mit dieser ein antipluralistisches Weltbild transportiert wird?
    Wäre dieses hinzunehmen, nur weil es (angeblich) Teil einer Religionstradition ist?
    Ab welcher Schwelle betroffener Personen wird das Thema "relevant"?

  • #2

    Andreas (Dienstag, 26 Februar 2019 10:22)

    Der nächste setzt sich mit Sturmhaube eine Veranstaltung und findet auch einen guten Grund dafür. Wir sollten zwar in unserer Gesellschaft tolerant sein, trotzdem gibt es Regeln, wie wir miteinander umgehen und nicht jedem Minderheitenwunsch muss entsprochen werden. Aus welchen Gründen auch immer.

  • #3

    Josef König (Dienstag, 26 Februar 2019 12:06)

    Es gab einen Fall in der Ruhr-Uni Bochum vor gut 10-12 Jahren. Er wurde im Rektorat diskutiert, der Professor für für Islamische Wissenschaft als Ratgeber dazu gehört, ich war auch zugegen. Dazu ist dann eine Entscheidung gefallen, die versuchte, differenziert die Bedürfnisse der Religionsausübung mit den Erfordernissen von Lehre und Forschung zu vermitteln und auch die Fächerkulturen zu berücksichtigen.
    Es ist nicht allein, aber sehr wohl zB für Geisteswissenschaftliche Seminare und ihre Diskussionskultur üblich, Mimik und Gestik einzubeziehen, es ist auch zu fragen, wie wird die Identität von Prüflingen festgestellt, wenn sie völlig vermummt sind, wie wird Täuschungsversuchen vorgebeugt, was bedeutet die Bekleidung bei der Notwendigkeit von Schutzmasken, Schutzkleidung etc in naturwissenschaftlichen Laboren.
    Von Vorlesungen oder Computergesteuertem Unterricht allein auszugehen reicht nicht. Bei Vorlesungen ist die Frage sogar völlig irrelevant.

  • #4

    Klaus Diepold (Dienstag, 26 Februar 2019 18:32)

    Wie schon jetzt zu sehen ist, haben Sie Herr Wiarda durchaus Recht mit der Befürchtung, dass eine sachliche Diskussion schwer sein dürfte.

    Vielleicht hilft es, wenn wir uns informieren, wie vergleichbare Situationen in anderen Ländern gehandhabt werden, die mehr Erfahrung in diesen Dingen haben. Wie handhaben das z.B. Universitäten in Canada?

    Ich finde auch den Hinweis wichtig, dass die Fallzahl insgesamt sehr niedrig ist und eine gesetzliche Regelung nur schwerlich rechtfertigt.

    Irgendwie kann ich nicht nachvollziehen warum der Kollege sich von einer verschleierten Teilnehmerin seiner Lehrveranstaltung so gestört fühlt, dass er nach Maßnahmen schreit. Meine Tochter würde hier sagen:" chill mal 'nen Meter!" Und dem kann ich mich nur anschließen.

    Ich wäre froh, wenn wir derartige Themen mit einer angemessen entspannten Haltung handhaben könnten.

  • #5

    Edith Riedel (Mittwoch, 27 Februar 2019 08:55)

    Wie sieht es denn mit dem Vermummungsverbot in diesem Fall aus? Wäre eine Vorlesung / ein Seminar ein Veranstaltungstyp, in dem dieses Verbot greift?

  • #6

    Klaus Diepold (Mittwoch, 27 Februar 2019 21:19)

    @Edith Riedel
    Soweit ich weiss, gilt das Vermummungsverbot nur bei Demonstrationen. Passt hier nicht.

  • #7

    T.P. (Freitag, 15 März 2019 23:19)

    Der Nikab ist eine Ausdrucksform des politischen Islam, einer religiösen Ideologie, die ganz sicher nicht im Einklang mit den freiheitlichen Grundwerten eines Ortes der Aufklärung und des säkularen Wissens steht. Zugleich ist es ein Instrument der Sexualisierung sowie der Absetzung zwischen Frau und Mann. Man sollte meinen, dass derartiger religiöser Fundamentalismus an Hochschulen nichts verloren hat.

  • #8

    Christian B. (Samstag, 16 März 2019 21:28)

    Wer Vollverschleierung praktiziert ist kein Feierabendmoslem, sondern fundamentalistisch. Nun schauen wir uns einmal um, wie Fundamentalisten sich so zu benehmen pflegen - darf eine westliche Frau sich in ihren Ländern kleiden "wie sie es gewohnt ist"?

    Diese Leute werden in einer Minderheitenposition immer dahingehend argumentieren dass sie diese oder jene Praktik ja nur für sich anwenden und das deshalb niemanden zu stören braucht bzw. etwas angeht (= eigene Gesetze für jede Gruppe). In einer Mehrheitsposition ist damit ganz schnell Schluss, da gelten auf einmal verschiedene Stufen islamischer Alltagsregeln für alle. Mithin möchten diese Leute, sofern im Westen ansässig, hier an etwas teilhaben dessen Voraussetzungen sie nicht achten und das sie auch selbst nicht zur Verfügung stellen würden.

    Unter unserem eigenen Individualrecht ist das alles aber nicht zu beanstanden, weswegen dem vermutlich mit wiederum eigenen Werten und Haltung ausgestattete Professor nur noch eine verkrampft wirkende Symbolschlacht bleibt. So sieht er dann aus, der überzeugte Kulturchrist mit Aufklärungstradition, wenn ihm bei jeder Keilerei sofort alle Mitstreiter weglaufen - ein einsamer, lächerlicher Kauz der sich mal entspannen soll. Matchpoint Islam.

    Es gibt keine Lösung. Uns werden die eigenen Waffen in der Brust umgedreht.